Wahlkampf Déjà-vu: Ein erfahrener Senator begleitet die neuen Bewerber

Kandidaten des Senatorenamtes bei ihrer Vorstellung im CCM-Programmschaftstreffen

Es ist kurz vor acht Uhr abends. Draußen ist es schon dunkel, aber in den Glaskästen im ersten Stock des ZF-Campus finden noch Vorlesungen statt; Studenten sitzen bei Gruppenarbeiten zusammen, Initiativen treffen sich. Im Raum 1.06 haben sich nicht mehr als ein halbes Dutzend Studenten zum CCM-Programmschaftstreffen eingefunden. Auf der Tagesordnung stehen die Wahl der neuen Sprecher, der Stand der Alumniarbeit und die Vorstellung der aktuellen Kandidaten für das Senatorenamt.

Vier Kandidaten bewerben sich, um die Nachfolge von Narku Laing und Benedikt Fritz anzutreten: Julia von Dosky, Laura Vernazza, Jannis Kappelmann und Christine Weimann. Begleitet und moderiert wird die Vorstellung von ihrem künftigen Teammitglied und bereits amtierenden Senator, Lars Hangenlocher.

Und bald schon tritt er lässigen Schrittes ein, gefolgt von den Kandidaten. „Typisch CCM“ Er macht eine flapsige Bemerkung über die dürftige Beteiligung an dem Treffen. Man schmunzelt kurz, das war wohl vor allem als Auflockerung für die Kandidaten gedacht. Dann moderiert er die Vorstellungsrunde routiniert-spontan an, lehnt sich lasziv ans Fensterbrett und lässt die Stoppuhr auf seinem Mobiltelefon laufen.

In der Hand hält er zwar ein bedrucktes Blatt, wirft aber nur einen flüchtigen Blick darauf, als kenne er dessen Inhalt schon längst auswendig. Obwohl die sichtlich nervösen Kandidaten ihm immer wieder kurze, fragende Blicke zuwerfen, liegt Lars‘ Aufmerksamkeit nicht ständig auf ihnen. Als habe er das alles schon oft genug gemacht – been there, done that, alles nicht so wild – Er weist kurz auf das Zeitlimit hin, denn die Vorstellung jedes Bewerbers darf nicht länger als eine Minute sein.

Die Bewerber haben allen Grund, nervös zu sein; Lars bleibt hingegen gelassen und spricht mit seiner gewohnt unaufgeregten Stimme. Vor einem halben Jahr war er schließlich in der gleichen Situation und er weiß, dass in den Treffen der SPE- und PAIR-Studenten noch genug neugierige und kritische Fragen lauern werden. Als ich mich am nächsten Tag mit ihm treffe, besinnt er sich auf die letzten Wahlen zurück. „Man kommt in so ein pseudopolitisches Wahlkampfverhalten“, meint er. „Die Plena waren sehr, sehr anstrengend, man steht konstant unter großem Druck. Von daher hatte ich absolut Empathie mit ihnen.“

Studentischer Senator Lars Hagenlocher misst die Redezeit der Kandidaten

Studentischer Senator Lars Hagenlocher misst die Redezeit der Kandidaten.

Auch Lars hat einige Zeit gebraucht, bis er sich an das Amt gewagt hat. Sich für eine Gruppe zu engagieren, Sprecher zu sein, das kennt er seit dem ersten und zweiten Semester. Weil er sich als Zeppelinjahrsprecher gut gemacht hatte, wurde er gefragt, ob er sich nicht an das Senatorenamt trauen möchte. Damals sei er noch zurückgeschreckt, und hat sich stattdessen als CCM-Programmschaftssprecher aufstellen lassen. „Das war ein megacooles Amt, ich hab‘ es gerne gemacht und bin sehr froh darum.“ Die Erfahrungen, die er hier machen konnte und die Einblicke in die organisationale Struktur der Universität schenkten ihm dann genug Selbstvertrauen, sich als Senator zu beweisen.

Wenn man sich diese hochschulpolitische Laufbahn anschaut, will man fast ein bisschen Eigennützigkeit und CV-Politur vermuten. Die provozierende Stoßrichtung dieser Frage perlt an ihm ab wie Wasser an Teflon: „Ich übernehme gerne Verantwortung, das war schon immer so. Und ich glaube, dass ich ganz gut Verantwortung übernehmen kann. Wenn man jetzt nach einem selbstsüchtigen Aspekt sucht… Ich glaube, es ist für meine persönliche Entwicklung sehr gut.“ Eine sehr bodenständige Antwort von einem, der verstanden zu haben scheint, dass Veränderung zum Wohle aller eben nur durch Engagement hervorzubringen ist.

„Ist echt nicht meine Rolle, den bösen Abschneider zu spielen“ sagt er, als er einen sorgsam formulierten Satz von Jannis unterbrechen muss. Das macht ihn augenblicklich sympathischer in der Rolle des Zeitstoppers. Er achtet darauf, dass die Regeln eingehalten werden, wirkt dennoch nicht wie ein strenger Oberlehrer. Trotz seiner betont lasziven und selbstsicheren Art wird schnell deutlich, dass er sich viel Mühe gibt, die Kandidaten professionell an die Hand zu nehmen.

Seine Gewissenhaftigkeit zeigte sich auch beim Welcome Event im Graf von Soden-Forum Anfang der Woche. Zu Beginn saß Lars in der ersten Reihe und ging innerlich die Notizen auf seinem Blatt noch einmal durch. Nach den Absprachen von Frau Sjurts und Martin Bukies, ging er ruhig und besonnen ans Pult und begann mit warmer Stimme zu sprechen. Er sollte Frau Tanner die Auszeichnung des Best Teaching Award überreichen. Wo andere Studierende vielleicht doch zum Jackett gegriffen hätten, hatte Lars sich für ein grau meliertes Sweatshirt, Sneakers und kantige schwarze Brille entschieden und fühlte sich offensichtlich wohl in seinem Look.

Mit gewählten Worten zog er einen anschaulichen Vergleich, wie er die Uni sieht: Die Dozenten als Stellvertreter der Lehre seien die Architekten und gäben die Rahmenbedingungen vor. Daher liege es an den Studierenden, für die Inneneinrichtung zu sorgen und die Räume mit Leben zu füllen. Er verstehe darunter: Initiative zu ergreifen, sich zu engagieren und mit Herzblut Opfer zu bringen. Wie aus einem Zwiegespräch hervorgeht, ist das für ihn schon seit der Schule eine Selbstverständlichkeit, auch im Sportverein hat er Ehrenämter übernommen.

Senator Lars Hagenlocher überreicht den Best Teaching Award beim Welcome Event.

Lars überreicht den Best Teaching Award beim Welcome Event.

Einen kurzen Moment des Grinsens verursacht bei der Veranstaltung ein Blumenstrauß, der traditionell übergeben wird und von Lars vergebens an falscher Stelle erwartet wurde. Er wird kurz rot, läuft vor und zurück, bis ein Dozent ihm behilflich wird und ihm die Blumen reicht. Trotz der kleinen Irritation bleibt Lars souverän. Sowas kann passieren. Aus Kursen wie auch aus seiner Senatorenarbeit kennt man ihn im Normalfall als vorbereitet, professionell und effizient. Das kleine Missgeschick macht ihn nur menschlicher und sympathischer.

Später an diesem Tag nimmt Lars die vier Bewerber auf die Senatorenämter beim Termin für die Wahlvideos an die Hand. Er gibt Tipps und ermuntert: „Wenn du dich verhaspelst, mach einfach weiter, es kann sein, dass es trotzdem der beste Take wird. Ich hatte damals auch kurz nach oben geguckt, weil ich den Text vergessen hatte.“ Für Jannis, der gerade sichtlich nervös vor der Kamera in Pose geht, sind das beruhigende Worte. Lars macht noch eine beschwichtigende Geste, dann heißt es: „und bitte!“

Nach dem Take gibt es Lob, und weil noch genug Zeit übrig war, spricht Jannis seinen Text auf Lars‘ Vorschlag hin noch einmal in aller Ruhe vor. Auch Laura berichtet, dass Lars durch seine eigenen Erfahrungen und seine ruhige Art eine entspannte Atmosphäre beim Dreh schaffen konnte, in der sie sich sehr wohl fühlte. Er legt offensichtlich Wert darauf, die vier Kandidaten in dieser ersten spannenden Phase zu unterstützen. Im Endeffekt soll es ja um Teamarbeit und nicht Profilierung und Konkurrenz gehen. Außerdem werden die Gewinner mit ihm noch ein halbes Jahr zusammenarbeiten.

Jasper Schubert filmt das Bewerbervideo des Kandidaten Jannis Kappelmann.

Jasper Schubert filmt das Bewerbervideo des Kandidaten Jannis Kappelmann.

Wenn man ihn in seinem Senatorenalltag begleitet, will man ab und zu eine leichte Gleichgültigkeit, zumindest aber ausgeprägte Coolness in seinem Auftreten vermuten. Wie sich im Gespräch herausstellt, gibt es aber Themen, die auch ihn persönlich irritieren, verärgern und Sorge bereiten. Ein Beispiel? „Naja, diese Facebookdiskussionen etwa. Ich finde es schade, dass da so viel Energie verloren geht, die in richtiges Engagement gesteckt werden könnte.“ Zumal sich durch die beschränkten Möglichkeiten der Kommentare ja nicht einmal ein richtiger Dialog entspannen könne.

Er beobachtet auch mit zunehmender Sorge, wie in der öffentlichen Universitätskommunikation der Aspekt des Arbeitsmarktanschlusses der Studiengänge immer häufiger betont würde. „Klar wollen wir alle später im Arbeitsmarkt anschlussfähig sein. Auf der anderen Seite sage ich, wir wollen vor allem unseren Horizont erweitern, wir wollen anders denken lernen. Ich habe einfach ein bisschen Angst, dass das diesem Arbeitsmarktaspekt untergeordnet wird.“ Deswegen sei es umso wichtiger, dass die Senatoren sich in den Gremien, beim wöchentlichen Routinetreffen und im Austausch mit dem Präsidium unermüdlich mit solchen Fragestellungen auseinandersetzen.

Dabei sollte man meinen, dass Lars auch ohne das Amt ein straffes Zeitmanagement betreiben muss: Er studiert neben CCM Philosophie in Konstanz, führt eine instagramtaugliche Beziehung und hält sich mit Training fit. Es hat sie auch gegeben, diese Momente, wo alles zu viel wurde. Da habe er dann tief Luft holen müssen und sich gesagt: „Du wusstest, dass das ein Riesenhaufen Arbeit ist; ich kann das nicht gibt es jetzt nicht. Ich habe mir eisern vorgenommen, nicht zu vergessen, warum ich das mache. Und ohne wäre ich wahrscheinlich unglücklicher.“ Schon alleine die Menge an Terminen in dieser Woche – Welcome Event, Bewerbungsvideos, Programmschaftsplena, Vorstellung der Bewerber in der Mensa, Präsidiumssitzung und Wahlverkündigung – geben einen Eindruck von der Ausdauer und dem Zeitmanagement, das man für das Amt aufbringen muss.

Die Fragerunde beim CCM-Programmschaftstreffen ist zu Ende, Lars hat den Antworten anerkennend und aufmerksam zugehört, ohne seinen Blick von der Zeitanzeige seines Handys zu wenden. Den anderen Kohorten wollen die Kandidaten schließlich auch vorgestellt werden. Er verabschiedet sich auf seine unverbindliche aber sympathische Art – „Ciao, viel Spaß noch!“ – und begleitet die Bewerbergruppe zum nächsten Treffen.