Von Wäscheständern und dem Negerbad – willkommen ZUhause

Ich hatte mir nie viele Gedanken über Wäscheständer gemacht. Sicher, sie stellen praktische Alltagshelfer dar, lassen die Wäsche gleichmäßig trocknen und helfen ein Bild von Ordnung zu suggerieren – Nicht mehr und nicht weniger. Doch schon bald sollte mein Wäscheständer zum Sinnbild spießbürgerlicher Häflermentalität aufsteigen.

Die gesellschaftspolitische Karriere meines Wäscheständers begann mit einem Brief der Hausverwaltung. Ich wurde höflich aber bestimmt darum gebeten, das sichtbare Aufstellen meines Wäscheständers am Ruhetag Sonntag zu unterlassen, da sie diesbezüglich Beschwerde aus der Nachbarschaft erreicht habe. Die nächsten Minuten verstrichen mit stetig wechselnden Reaktionen meines überforderten Gemüts. Von Lachen über Unglauben bis hin zu Verblüffung brachte mir das grande finale schließlich nichts als altbekannte Entnervung über das Festhalten an kleinbürgerlichen Prinzipen. Entnervung über den Fakt, dass sich Nachbarn, für die man scheinbar durch die sonntägliche Verrichtung von Haushaltsarbeit zum Antichrist aufsteigt, tatsächlich und mit aller Ernsthaftigkeit die Mühe machten wegen eines Wäscheständers Beschwerde einzureichen.

Friedrichshafen ist, wie so viele süddeutsche Kleinstädte, konservativ. Daran ist nichts neu oder überraschend, doch die Intensität mit der sich die Stadt am See gegen alles scheinbar Fremde, Neue oder auch nur Zeitgemäße sträubt wirft einige Fragen auf – allem voran die Frage nach dem wieso.
Die permanente Beibehaltung des Status quo scheint das allem übergeordnete Ziel zu sein, was alles andere als ungewöhnlich für ein konservatives Weltbild ist. So ist es nicht verwunderlich, dass sich auch in der Politik das Althergebrachte widerspiegelt: Mit 35,3% erreichte die CDU bei der letzten Bundestagswahl mit gewaltigem Abstand den größten Stimmenanteil im Hafen. Der Versuch einer Erklärung könnte sich in der städtischen Demografie finden. In der Regel ergreift die Häfler Jugend nach erfolgreichem Schulabschluss wie von der Tarantel gestochen die Flucht. Beliebte Exile sind München, Stuttgart oder (für besonders weltoffene Kosmopoliten) Berlin. Hauptsache weg aus der schwäbischen Provinz. Die Konsequenz: Kaum Lebensdurstige in ihren Zwanzigern. Die junge Kultur geht nicht über 16-Jährige Shisha-Fans oder hingebungsvolle Metro-Pilger hinaus. Versucht man, von der Illusion eines studentisch geprägten Friedrichshafens geblendet, diese Situation zu ändern, so wird man nach 22:00 Uhr im Außenbereich des Rathauscafes schnell wieder auf den Boden der Tatsachen geholt. Den Abend dort mit ein, zwei oder sechs Bier ausklingen lassen? Unmöglich. Vernehmen in der Innenstadt nach Anbruch der Nachtruhe wachsame Nachbarn auf Fensterstreife Stimmen oder gar lautes Gelächter, so werden unverzüglich die echten Kollegen auf Straßenstreife benachrichtigt. Menschliche Interaktion nach 22:00 Uhr ist neben dem sonntäglichen Aufhängen von Wäsche das große Feindbild des Prototyps Häfler.

Ebenfalls brandgefährlich: Veränderung. Beim Schutz vor dieser Spukgestalt wird auch nicht vor Fremdenhass zurückgeschreckt. Das wohl prominenteste Beispiel hierfür ist die ewig währende Debatte um einen Strandabschnitt in Fischbach, der allgemein unter dem Namen „Negerbad“ bekannt ist. Erst letztes Jahr löste ein Artikel der Schwäbischen Zeitung, in dem die Umbenennung des Strandabschnitts thematisiert wurde, laute Empörung des Häfler Facebook Kollektivs aus. Aus den meist widerlichen, rassistischen und schlichtweg menschenverachtenden Kommentaren unter dem Artikel ließ sich eine immer wiederkehrende Argumentationsstruktur herausfiltern.

Die Paradebeispiele:

„Das hieß schon immer so, dann muss man es doch nicht plötzlich ändern“,

„Ich habe es schon in meiner Jugendzeit so genannt“

„Nur weil es so heißt, ist das doch nicht gleich rassistisch gemeint“.

Doch, das ist es. Es kann noch so oft betont werden, dass schon der eigene Großvater es so betitelt hat: Kein Aber, kein noch so verklärtes Traditionsverständnis kann die Namensgebung hinreichend rechtfertigen. Ein diskriminierender Begriff bleibt ein diskriminierender Begriff. Nur, weil es im Häfler Volksmund so üblich ist sollen sich Menschen dadurch nicht mehr angegriffen fühlen? Beim Lesen weiterer, noch weitaus unverfrorener Kommentare schäme ich mich für die Stadt, die ich seit rund 21 Jahren mein Zuhause nenne. In solchen Momenten kann ich die verständnislosen Blicke meiner Kommilitonen nachvollziehen, wenn ich mich als gebürtige Häflerin oute. Der Vorgang erinnert tatsächlich mehr an ein Outing als an einen beiläufigen Gesprächsbaustein beim Smalltalk. Man stößt auf Unverständnis, Vorurteile und das obligatorische „Hä? Wolltest du nicht so schnell wie möglich weg aus dieser Stadt?“  Doch, wollte ich. Auch mich ergriff schon in der Oberstufe der berühmte Fluchtinstinkt. Damit bin ich unter der noch etwas exotischen Spezies der Häfler ZU’ler nicht alleine.

Es ist aber auch zu bezweifeln, dass die Mehrheit der zugezogenen Studierenden der Stadt verfallen und deswegen Hamburg, Berlin oder München gegen den See getauscht hat. Die Entscheidung die ZU als Alma Mater zu wählen wird vordergründig auf dem ungewöhnlichen Unikonzept, dem spezifischen Studiengang oder schon hier wahlbeheimateten Mitkommilitonen gegründet, während Friedrichshafen selbst als kleinstädtisches Laster eher zähneknirschend akzeptiert wird. So leben Studierende in homogenen Wohngemeinschaften zusammen, veranstalten exklusive Feiern und sind tagtäglich in der Universität aufzufinden – und sei es nur für einen Kaffee oder die obligatorische Zigarette auf dem Unidach.  Die ZU erinnert so viel mehr an eine geschlossene Gesellschaft als an die elitäre Bildungsausbildungsstätte, als die sie die Häfler Bevölkerung meist abstempelt. Natürlich gibt es auch Momente der Vereinigung, wie die Dialogplattform „Frühlingserwachen“ oder die Kellerparty, die sich auch unter Einheimischen großer Beliebtheit erfreut. Doch ob das nun Schranken alter Vorurteile niederreißt, sei dahingestellt. Friedrichshafen gestaltet sich bei Tageslicht doch etwas anders als ein Hexenkessel voller Strobolicht und Bassgewitter, in dem jeder Unterschied zu verdampfen scheint. Erschwerend kommt hinzu, dass der im Keller der F61 fabrizierte Techno als Requiem letzten November für immer verstummte.

Wie so oft gibt es auch bei der kümmerlichen Symbiose zwischen der ZU und Friedrichshafen nicht schuldig und unschuldig, nicht Gut und Böse. Die Debatte ist nicht schwarz-weiß und als diese auch nicht leicht auszutragen, geschweige denn zu lösen. Klar ist allerdings, dass nicht jede kleinste Abweichung von geltender Norm mit erhobenem Zeigefinger von der Stadt geahndet werden muss. Auch nach zweieinhalb Jahren ZU wünsche ich mir weiterhin, dass eine gesunde Beziehung, von der beide Parteien lernen und profitieren können, nicht länger nur Illusion oder ferne Zukunftsmusik bleibt. Bis dahin werde ich jeden Sonntag meinen Wäscheständer auf dem Balkon aufstellen – als Akt einer stillen Revolution.

1 Comment

  • anon sagt:

    RE: In Causa Häfler

    „Das schlechteste Dorf ist ein kleines Reich“, sagt Chamisso. Vielleicht könnte man noch weitergehen und behaupten, jedes Dorf sei ein eigener Mikrokosmos, und tatsächlich muss man nicht lange an der ZU gewesen sein, um sich zwischen den Fronten eines manichäischen Prinzipienstreit wiederzufinden, der seit Anbeginn der Zeiten im Vollzug zu sein scheint. Schon in der Einführungswoche wird man gewarnt, dass man – welch Impertinenz! – sein neues Domizil nicht allein bewohnt und über das Fleckchen Erden, dass man in seiner misslichen Lage nunmehr Heimat zu nennen sich gezwungen sieht, nicht frei nach dem eigenen Willen verfügen kann, wie es einem beliebt. Denn es gibt da noch „den Nachbarn“, „den Anderen“ schlechthin; es ist jene Macht des Bösen, die nur mit der Schreckensvokabel des „Häflers“ belegt wird; ein Wort, dass, wenn überhaupt, mit herablassendem Intonation ausgehaucht wird und geeignet ist allem was Gut und Heilig ist die Patina des Verächtlichen zu geben.

    Wer aber ist der Häfler? Nun, der Häfler ist ein unbequemer Gesell‘, dessen einzig Glück und Trost es ist, dem Studenten sein Leben schwer zu machen. Sie gleichen ein wenig den sadistischen Teufelchen der Commedia, die die Sünder mit Peitschen und Pieken drangsalieren, um sich an ihrem Leiden zu ergötzen, während diese, gleich dem Studenten, noch lamentieren was sie denn verbrochen, um diesen Ort der ewige Verdammnis verdient zu haben (so ist es dann auch nur konsequent, dass er sich nur „zähneknirschend“ mit diesem Schicksal arrangieren kann; ein Bild, welches unwillkürlich Reminiszenzen an Matthäus 13:42 hervorrufen muss.)

    Ja, vor den Schikanen des Häflers ist man nie in Sicherheit. So kann es vorkommen – man mag es sich kaum ausmalen! – dass dieses teuflische Gesocks die Unverfrorenheit besitzt, „höflich aber bestimmt“ darum zu bitten, dass Wäscheaufhängen am Tag des Herrn zu unterlassen; wüsste man es nicht besser, man könnte meinen der Herrgott habe ausgerechnet den dezidierten Wäschetag erkoren, sich aus dem Grab zu bequemen und der Menschheit ihr Heil zu bringen, einzig und allein um den Studenten zu kujonieren. Ja, man muss es leider sagen; der Häfler scheint noch etwas auf Sitte und Anstand zu halten, was natürlich an Lächerlichkeit kaum zu überbieten ist (schließlich ist es 2019).
    Man irre nicht! auch der Student hat Moral. Dass der Häfler sich in seinem ungezügelten Menschenhass dagegen sträubt, das „Negerbad“ in Fischbach umzubenennen, ist dem Studenten z.B. Todsünde und ein Gräuel vor dem Herrn. Er war zwar noch nie dort, aber die schiere Existenz dieses Bad der Sünde und die Unwilligkeit der ewig-gestrigen Häfler sich von einer (Großteils allochthonen) Minderheit die Sprachzensur diktieren zu lassen ist genug, dass er zum Himmel schreien möchte, der Herr möge doch endlich „Rache üben mit Grimm und Zorn an allen Heiden, so nicht gehorchen wollen“.

    Denn auch wenn er sich mit christlicher Eschatologie nicht mehr ganz so gut auskennt, weiß der/die ewig-morgige Studierende einiges über unterdrückende Machtregime, savoir-pouvoir Relationen und die heilsbringende Macht des Wortes, denn er/sie meint sich zu erinnern im Zuge eines Seminars schon einmal etwas von Poststrukturalismus gehört zu haben (dass er trotz diesem respektablen savoir noch nicht die nötige pouvoir aufbringen konnte um den Häfler eines Besseren zu belehren ist ihm allerdings noch ein Rätsel). Er weiß jedenfalls genug, um zu wissen, dass man nur ein paar Worte verändern müsste, um den Problemen dieser Welt ein für alle Mal Herr zu werden und dass die Häfler das nicht einsehen wollen, bestätigt die latente Vermutung, dass schwarz-braune Gesinnung und vielleicht sogar ein Rest militantes Preußentum trotz aller volkspädagogischen Bemühungen in diesen Breitengraden noch immer ihr Unwesen treiben.

    Aber nicht nur hier zeigt sich die ihnen eigene Mischung von plebejischer Unbildung und blindem Hass. Denn wenn sie sich nicht gerade in rassistischen Ergüssen auf Facebook ergehen, wählt eine Mehrheit dieses Gesellschaftsbodensatzes doch tatsächlich die CDU und selbst auf die Nachtruhe bestehen diese Philister mit einer autoritären Insistenz, die ihre wahren Farben kaum zu verbergen weiß.

    In summa: Der Häfler ist ein Bürger; und man ist Marxist genug, um zu wissen, dass der Bourgeois ein erklärter Feind des Menschengeschlechts ist und ein Spießer noch dazu. Dass der Student meistens selbst dem liberalen Bürgertum entstammt, weiß er, aber er gibt sich alle Mühe dies zu verdrängen. Noch schlimmer, wenn – Gott bewahre! – man selbst aus den Reihen dieser Kainsbrut entsprossen und also ebenfalls in die Erbsünde des Kleinbürgertums verstrickt ist. Zwar kann man von Glück reden, dass man nach solch einem „Outing“ nicht gleich in die Wüste geschickt wird, aber eine Rechtfertigung fordert die Provenienz aus diesem unsäglichen Geblüte dann doch, schließlich lässt es auf unlautere Motive schließen, wenn man noch nicht längst die Flucht ergriffen hat, um aus diesem Babylon in sein großstädtisches Jerusalem zu emigrieren.

    Aber jetzt ist man nun mal hier, daran lässt sich nichts ändern. Allerdings ist der Student weit davon entfernt sich durch amor fati oder apathische Stoizismen in seinem sozialen Sendungsbewusstsein behelligen zu lassen. Ein bisschen Kapitalismuskritik, ein wenig political correctness und eine Prise Weltbürger-Pathos; das gehört nicht nur zum guten Ton (und ist ein Luxus, den man sich bei vierstelligen Studiengebühren ruhig mal gönnen kann), sondern gereicht schließlich auch zu Segen und Erleuchtung des zurückgebliebenen Pöbels. Dass man damit immer mehr dem gesamtgesellschaftlichen Konsens die Fahne trägt ist allerdings ein Ärgernis, denn unter solchen Bedingungen fällt das Rebellieren herzlich schwer. Auf’s Rebellieren jedoch ganz zu verzichten ist natürlich ausgeschlossen, denn dann wäre man ja schließlich auch nur ein Bürger. Und wo sich der eigene Freiheitsbegriff in einem egozentrischen „noli me tangere“ erschöpft und die großen Ideen zu einem substanzlosen Moralismus verkommen sind, da wird dann das Wäscheaufhängen zum revolutionären Akt. Vive la Liberté!

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