Politiker streiten nach Soapbox-Regeln

Moderatorin Donna mit den Landtagskandidaten (von links) Martin Hahn (Grüne), Dieter Stauber (SPD), Susanne Schwaderer (CDU) und Benjamin Strasser (FDP).

In zwei Wochen sind etwa 7,7 Millionen Baden-Württemberger dazu aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Der Wahlkampf geht langsam in die heiße Phase, dabei nicht an der Zeppelin Universität vorbei und sorgt auch hier für heftige Diskussionen.

Die politischen Hochschulgruppen wollten am Samstag die Landtagskandidaten aus dem Bodenseekreis einladen. Nur darüber, welche Parteien bei der Einladung bedacht werden sollten, konnten sie sich lange nicht einig werden. Im Vorhinein stand zunächst im Raum, neben den vier im Landtag vertretenen Parteien auch die Linke und die Alternative für Deutschland einzuladen. Die Jusos erklärten allerdings, sie seien nicht bereit, sich mit der AfD eine Bühne zu teilen. Die Hochschulgruppe Left Choice klinkte sich mit der Begründung aus der Diskussion aus, sie sei keine politische Hochschulgruppe und damit auch nicht für die Einladung eines Vertreters der Linken zuständig.

Also wurde die Veranstaltung ohne Linke und AfD geplant und der Streit begann bereits vor Beginn der Podiumsdiskussion: Auf Facebook wurden schwere Geschütze aufgefahren. Eine Gruppe von Studenten organisierte eigenständig etwa 70 Unterschriften für eine Petition, die die Beteiligung der Linken an der Podiumsdiskussion forderte und von dem Diversitätsbeauftragten in das Student Council eingebracht wurde. Kurzfristig wurde eine Instant Discussion organisiert, um die Wogen zu glätten. Das Ergebnis: Am Samstag trafen die vier Kandidaten der im aktuellen Landtag vertretenen Parteien in der Black Box vor einem Publikum aus Studenten und Häflern aufeinander. Die Hochschulgruppe der Jusos, der LHG, der RCDS und Rework hatten Martin Hahn (Grüne), Dieter Stauber (SPD), Susanne Schwaderer (CDU) und Benjamin Strasser (FDP) eingeladen.

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Die Soapbox-Veteranen Donna Doerbeck und Douglas Reiser leiteten die Diskussion nach strengen Regeln.

Man merkte den vier Diskutanten an, dass sie sich schon seit einigen Wochen im Wahlkampf befinden. Routiniert bezogen sie zu den fünf vorbereiteten Themenblöcken Stellung. Wer mit der Hoffnung auf neue Erkenntnisse in die Podiumsdiskussion gegangen war, wurde enttäuscht. Dafür durfte er Zeuge werden, wie sich die Politiker mit den strengen Regeln des Diskutier-Formats herumschlugen. Jeder von ihnen hatte anderthalb Minuten Zeit für ein eröffnendes Statement zu jedem Themenkomplex. Donna Doerbeck und Douglas Reiser, die beide durch die harte Debattier-Schule der Soapbox gegangen sind, pochten streng auf die Einhaltung dieser 90 Sekunden. Dabei wurden sie durch das Publikum unterstützt, das den Kandidaten nach Ablauf der Redezeit mehrfach das Wort mit Beifall abschnitt.

Beim Thema Bildung waren die Fronten schnell geklärt. Susanne Schwaderer und Benjamin Strasser sprachen sich für ein mehrgliedriges Schulsystem aus und warfen den Vertretern der Regierungsparteien vor, die Gemeinschaftsschule systematisch bevorzugt zu haben. Martin Hahn konterte, man müsse nun mal in den Aufbau einer neuen Schulform investieren. Dieter Stauber reagierte auf Schwaderers Vorwurf der Konzeptlosigkeit mit einem Gegenangriff: CDU und FDP hätten ihrerseits kein Konzept für die Realschule gehabt und sie somit immer unattraktiver gemacht. Auch in Sachen Hochschulpolitik gerieten ehemalige und aktuelle Regierungsparteien routiniert-schnell aneinander. Schwaderer beklagte, die Dualen Hochschulen in Baden-Württemberg würden von Grün-Rot benachteiligt: obwohl man bei ihnen 10 Prozent der Studierenden fände, erhielten sie lediglich 3 Prozent der Hochschul-Fördergelder. Sie kabbelte sich mit Hahn, der die Zahlen als „aus der Luft gegriffen“ bezeichnete und seinerseits Strasser vorwarf, dieser betreibe „Privatschullobbyismus“.

In Fragen der Infrastruktur spulten die vier Kandidaten ihr jeweiliges Wahlprogramm ab: Schwaderer pochte darauf, dass die Bodenseegürtelbahn vorangetrieben werden müsse, Hahn und Stauber resümierten die bisherigen Projekte der Landesregierung, insbesondere den Ausbau der B30 und B31. Strasser kündigte an, eine Milliarde Euro aus der Landesstiftung unter anderem in den Ausbau schnellen Internets stecken zu wollen. Martin Hahn warf ihm daraufhin „Finanzjongleurismus“ vor, das Geld in der Stiftung stamme aus dem Verkauf der EnBW-Aktien, die das Land mittlerweile wieder für 4,7 Milliarden Euro zurückgekauft hätte. Beim Thema der regionalen Entwicklung gerieten die beiden wieder aneinander: Während sich Strasser gegen die Mietpreisbremse aussprach und forderte, privaten Wohnungsbau durch Deregulierung zu ermutigen, betonte Hahn, Wohnraum müsse auch als solcher genutzt werden, anstatt als Kapitalinvestition leer zu stehen. Ihm schloss sich Stauber an: Die Landesbauordnung sei weder eine Erfindung von Grün-Rot, noch habe sie Schuld an der Wohnungsknappheit in der Region. Der Sozialdemokrat will stattdessen den sozialen Wohnungsbau forcieren.

Beim Reizthema Integration ergaben sich zum ersten Mal Schnittmengen über die Parteigrenzen hinweg. Alle vier Kandidaten betonten die gleichen Stellschrauben, an denen eine erfolgreiche Integrationspolitik drehen müsste: Ehrenamtliche spielten eine wichtige Rolle, Geflüchtete müssten Sprache und Kultur lernen und ihnen müsste ein schneller Einstieg in einen Beruf ermöglicht werden. Strasser lehnte sich aus dem Fenster und kritisierte den Mindestlohn, der den Geflüchteten diesen schnellen Berufseinstieg erschweren würde. Für diesen Vorstoß bezog er heftige Kritik aus dem Publikum, er würde damit Deutsche gegen Flüchtlinge aufbringen, indem er dem Vorwurf „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ einen Grund gebe. Außerdem wurden er und Schwaderer mit dem Vorwurf konfrontiert, sich in der Flüchtlingskrise eher auf einer Linie mit Horst Seehofer als mit Angela Merkel zu befinden. Während sich Hahn und Stauber hinter die Bundeskanzlerin stellten – wobei Hahn nur das eben beschlossene Asylpaket II ausnahm – kritisierte Strasser Merkels Politik scharf. Schwaderer zog sich aus der Affäre, indem sie sich gleichzeitig zu Guido Wolf und Angela Merkel bekannte und im gleichen Atemzug für Verständnis für die Bayrische Position warb.

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Nach den Publikumsfragen konnten die Anwesenden in einer Liveabstimmung die Landtagswahl simulieren. Das Ergebnis war ebenso knapp wie überraschend: Die FDP wurde in der ZU mit 26 Prozent stärkste Kraft, knapp gefolgt von der SPD mit 24 Prozentpunkten. Die Grünen kamen auf 21 Prozent, die CDU auf 19 und die Linke schnitt mit 5 Prozent am schwächsten ab. Ergo: Grün-Rot wäre in der ZU abgewählt, Rot-Grün würde auf 45 Prozent kommen. Ebenso stark wäre eine Koalition aus FDP und ihrem Juniorpartner, der CDU. Eine stabile Regierung könnte hier entweder Rot-Rot-Grün bilden, oder aber eine Ampelkoalition aus Grünen, SPD und mit der FDP an der Spitze – wobei Strasser als einziger Diskutant diese Variante vor der Abstimmung bereits ausgeschlossen hatte.

 

 

1 Comment

  • Max Rogall sagt:

    Vielen Dank für das ausführliche Protokoll! Ich konnte nicht dabei sein und bin froh, einen Eindruck von der Diskussion bekommen zu haben. Liebe Grüße!

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