Heute wegen gestern geschlossen.

Ich will kein Bananenbrot mehr backen. Ich will auch nicht mehr spazieren gehen. Ich will keine Pamela Reiff Workouts machen und auch nicht stricken lernen. Ich will keine Auberginen neu interpretieren und auf kein „Könnt ihr mich hören“ mehr in Zoom-Calls antworten. Ich will keine Events, die in Wirklichkeit Spaß machen, in einen online Raum verbannen und mir einreden, dass das doch fast das Gleiche ist. Ich will keine Stille mehr in BBB-Räumen, will aber auch keine Diskussionen mehr darin. Ich will am liebsten gar keinen BBB-Raum mehr. Ich will nicht mehr beim Abendessen mit meinen Freunden und Freundinnen über Moral und Ethik diskutieren und unserer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Ich will mich nicht mehr jeden Tag selbst motivieren und darauf hoffen, dass bald alles wieder normal ist. Ich will nicht ein zweites Weihnachten ohne meine Oma verbringen und nicht am Winterhuder Marktplatz vorbei spazieren, wo vor zwei Jahren noch mein Lieblingscafé stand. Ich will jetzt gerade einfach nur traurig sein. Traurig und wütend und enttäuscht. Enttäuscht von einer Politik, die sich weigert, Verantwortung zu übernehmen und vor lauter Steuerungsunfähigkeit jegliche Verantwortung auf den Schultern von Individuen austrägt. Enttäuscht von einer Politik, die die Schuld von sich weist, nicht zu Fehlern steht und mindestens sechs Monate zu spät handelt. 

Winfried Kretschmann sagt in einem Gespräch, Studierende sollten „ihre Situation mit der anderer Menschen vergleichen, dann würde auffallen, dass es keinen Grund dafür gibt, depressiv zu werden.“ So weit, so gut. Dass diese Aussage unangebracht ist, allein schon weil sie ein Schlag ins Gesicht für Erkrankte ist und grundsätzlich Menschen mit Depressionen diskreditiert, ist klar. Aber eigentlich geht es um den fehlenden Raum für den Frust Studierender. Immerzu muss relativiert werden, wie es uns gerade geht. „Du darfst dich in deiner privilegierten Position nicht beschweren“ ist die Stimme in meinem Kopf, die immer genau dann einsetzt, wenn ich einfach nur noch frustriert bin. „Konstruktiv bleiben, hey, bringt doch jetzt auch nichts schlechte Laune zu haben. Davon geht die Pandemie auch nicht vorbei. Vielleicht noch einmal Joggen gehen? Vielleicht klappt es dann ja wieder mit der Konzentration?“ Ja, wir sitzen in unseren warmen Wohnungen und haben es vergleichsweise gut – auf jeden Fall. Das ist nicht klein zu reden. Und trotzdem fehlt mir gerade die Motivation, mich in den nächsten von Selbstoptimierung getriebenen Lockdown zu stürzen. Ich will in meiner Studienzeit, der angeblich besten Zeit des Lebens, anregende Diskussionen führen, statt Podcasts zu hören. Ich will in der Bahn wieder Menschen anlächeln und zwischen Fremden im Café sitzen. Ich will abends im Bett liegen und nicht schlafen können, weil ich über die Party am bevorstehenden Tag nachdenke und nicht weil meine Augen tagsüber zu viel Blaulicht abbekommen haben.

Ich erwarte mehr von der Politik als ein Jens Spahn, der achselzuckend seinen Kopf schief legt und fragt „Wenn die Menschen einen kostenlosen Impfstoff nicht wollen, was sollen wir denn dann noch machen?“ 
Ich wünsche mir, dass seitens der Politik proaktiv überlegt wird, was in einer durchkapitalisierten, von Werbung und Medien durchdrungenen, konsumsatten Gesellschaft, funktionieren könnte. Wo bleibt das Team aus klugen Strateginnen und Strategen, die über den Sommer Studien erheben, um herauszufinden wer sich warum nicht impfen lässt um anschließend zu fragen: Wo und wie erreicht man diese Menschen? Braucht es mehr Aufklärung? Haben zu viele Menschen Angst? Fühlen sich Menschen abgehängt? Haben einige es bisher einfach nicht geschafft? Sind sie zu faul? Brauchen wir monetäre Anreize?
Wir haben eine Impfquote von 68%. Dass 32% nicht geimpft sind, verstehe ich nicht. Trotzdem muss sich die Zeit genommen werden, um nachzuvollziehen, wie diese restlichen 32% aussehen und was sie umtreibt. Sie bockig in die Ecke von Querdenker:innen zu verbannen wird der Situation nicht helfen.Es ist mir ein Rätsel, wie es dazu kommen kann, dass eine Impfkampagne dermaßen schlecht beworben wird. Wo sind die Aufklärungen über die Booster-Impfungen? Wenn ich als junger Mensch schon das Gefühl habe, nicht mehr durchzublicken in der Flut von Informationen, wie bekommen denn ältere, weniger Technik-affine Menschen all die Informationen? Warum wird jeder Tatort besser beworben als ein Impfstoff, der den Weg aus der Pandemie raus darstellt? Warum schafft es ein Discounter mit einem emotionalen Werbespot massive mediale Aufmerksamkeit zu erhalten, in Baden Württemberg steht vor Kaufland aber lediglich ein Plakat, dass die Grippe-Impfung bewirbt. Links oben steht in einem kleinen Kreis „Auch die Corona Impfung ist wichtig“. Perfekt. Wo sind die Sportvereine, die man hätte einbinden können? Wo sind die Fußballspieler, die „Lasst euch impfen“ auf ihren Trikots stehen haben? Es gibt doch so viele Möglichkeiten, Menschen nachhaltig zu erreichen. Uschi Glas, die einmal vor „Wetten-dass“ sagt, man solle sich impfen lassen, reicht nicht aus, um eine komplexe Gesellschaft zu erreichen. Es wurde einfach zu wenig Geld in die Impfkampagne gesteckt. Das Resultat: Die vierte Welle. Also bleiben wir zu Hause, dürfen nicht zu elft in den Kurs, aber hey – 25.000 Menschen dafür ins Fußballstadion.

Was mich daran am wütendsten macht, ist diese „Ach, das konnten wir nicht wissen“-Haltung. Denn das stimmt nicht! Ein Markus Söder, der sagt, die Politik hätte nicht wissen können, mit welcher Intensität die vierte Welle bricht, lügt schlicht und ergreifend. Was soll das heißen, er habe es nicht gewusst? Am 26.07. hat die wissenschaftlich wichtigste Instanz in dieser Frage, das RKI, Modellierungen veröffentlicht, die Aufschluss darüber gaben, wie die vierte Welle bei verschiedenen Impfquoten verlaufen könnte. Sie haben die vierte Welle bis auf zwei Wochen Verzögerung genauestens vorausgesagt. Also womit haben wir es zutun, wenn seitens der Politik Stimmen laut werden, die sagen „das wurde so nicht vorhergesagt, eine vierte Welle war so nicht abzusehen“ – ist das Ignoranz oder Inkompetenz? 

Langfristig werden wir eine Umgangsweise mit dem Virus finden müssen. Es geht nicht um die vierte Welle. Es geht um die Fünfte, Sechste, Siebte, in der es, wenn es so weitergeht, wieder heißen wird „Oh, das haben wir nicht kommen sehen”. Und dann backen wir wieder Bananenbrot in den Pausen unserer BBB-Diskussionen, in denen wir analysieren, was hätte anders laufen können.