Am 20. und 21. April kamen auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein UnternehmerInnen, KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und Studierende im Rahmen des Kongresses der Initiative Kreatives Unternehmertum zusammen. Unter dem Titel „Das Neue ist Vergangen“ stand der gegenseitige Austausch über Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft in Workshops, Keynotes und Diskussionen im Vordergrund. Marius Schuler war für uns mit dabei.
Als nach zwei intensiven Tagen voller Diskutieren, Hinterfragen, Nach- und Neudenken der diesjährige Kongress des Kreativen Unternehmertums seinen Abschluss mit einer filmischen Reflexion fand, konnte man in zufriedene und von den zahlreichen Impulsen angeregte Gesichter der 150 TeilnehmerInnen blicken. Und eines stand fest: Was Manuel Binninger und Jonas Nussbaumer, Gründer von KU und Studenten der ZU, gemeinsam mit ihrem Team hier auf die Beine gestellt hatten, beeindruckte ausnahmslos alle, die an diesem „Leuchtfeuer des Kreativen Unternehmertums“ teilnehmen durften.
Doch was genau steckt hinter dieser Initiative? Was drückt das Kürzel KU aus? Es sei ihre Mission, so die Gründer, den Weg in ein neues Zeitalter zu begleiten, in dem Menschen in Entscheidungspositionen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und sich als Gestalter begreifen. In diesem Zeitalter sollen ethische Prinzipien die Grundlage jedes unternehmerischen Tuns darstellen, sodass wir alle gemeinsam voneinander profitieren. Das Ziel ist damit kein geringeres, als unser Zusammenleben zu verändern und Gesellschaft neu zu denken. Konkret versucht die Unternehmung diese Absicht auf drei Ebenen zu verwirklichen. Zum einen ist KU darum bemüht, Menschen mit Visionen und Tatendrang zu unterstützen. So wurden diesen Monat sechs Projekte für das KU Macher Stipendium ausgewählt. Beispielsweise kann hierdurch eine junge Journalistin gefördert werden, die mit eindrucksvollen Fotoreportagen einem Bildungsprojekt für junge Mädchen im Kongo Gehör verschafft. Neben der jeweiligen Fördersumme im vierstelligen Bereich erhalten die StipendiatenInnen ideelle Unterstützung von den Förderunternehmen, zu denen auch die Audi AG zählt. Darüber hinaus ist KU selbst aktiv: Unter dem Titel KU Domo werden neue Verwendungsmöglichkeiten für Großraumzelte als Kreativhubs erprobt. Besonders im Hinblick auf die Situation in den Notunterkünften liegt ein Hauptbestreben des Projekts darin, geflüchteten Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen einen Lebensraum zu bieten, der diesen Namen auch verdient. Auf der dritten Ebene versteht sich KU zudem als Veranstalter, um die „KU Familie“ zusammenzuführen und die Idee hinter der Unternehmung weiter in die Welt zu tragen.
So richtete Vitra, einer der Hauptförderer von KU, den diesjährigen Kongress wie bereits zwei Jahre zuvor auf ihrem Campus im badischen Weil am Rhein aus. Dieser Ort der Kreativität hätte nicht besser gewählt sein können, regt doch allein die architektonisch reichhaltige Umgebung zum produktiven Fantasieren an. Die vormittäglichen Keynotes fanden in der von der kürzlich verstorbenen Architektin Zaha Hadid entworfenen Fire Station statt, der dieses Projekt zum internationalen Durchbruch verholfen hatte. Wer weiß, vielleicht wird sich dieser Austragungsort des KU Leuchtfeuers auch als Ort des Aufbruchs in das angestrebte neue Zeitalter erweisen.
Neben der räumlichen Umgebung bot auch das Programm mit seinen vielfältigen Impulsen eine reichhaltige Grundlage zum gemeinsamen Überdenken von bestehenden Mustern und Strukturen. So konnte man von Prof. Stephan A. Jansen, unserem Universitätsgründer sowie Mentor und Freund der Unternehmung KU, in seinem Vortrag zum Auftakt des Kongresses erfahren, warum asoziale EntscheiderInnen zukünftig nicht nur allein dastehen, sondern auch betriebswirtschaftlich keinen Erfolg mehr erzielen werden. Die nächste Zeit sei geprägt von Kooperationen, hybriden Formen der Organisation zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft sowie der Nachfrage nach systematischen Lösungen statt einfachen Produkten. Dabei seien es vor allem soziale Innovationen, die als „produktive Parasiten“ der bestehenden Probleme und Herausforderungen Chancen auf Erfolg in unserer hochtechnisierten und schnelllebigen Zeit versprechen. Im Anschluss daran war Zeit um ein wenig innezuhalten und Jansens’ oszillierenden Vortrag in sich sacken zu lassen: Zen Meister Hinnerk Syobu Polenski führte in die Kraft der Meditation ein. „In der Kreativität wird der Geist zur Schöpfung, wodurch das Potenzial der Gegenwart zur Geltung kommt“, so Polenski. Weniger spirituell und doch geistreich waren die Überlegungen Götz Werners, Gründer des Drogeriekonzerns dm, zu den Folgen von Erfolg. Man solle sich niemals der Illusion hingeben, so Werner, sich auf dem Status Quo ausruhen zu können. Vielmehr zwinge Erfolg zu ständiger Veränderung, um weiterhin mit der dynamischen Umwelt Schritt zu halten.
Nach dieser unternehmerischen Botschaft, die den Aufruf nach Anstrengung in sich trug, wartete dann glücklicherweise auch schon das Mittagessen. Bereits hier hatte man das Gefühl, mit einer ansehnlichen „Perlenkette von Impulsen“ ausgestattet zu sein, die die Veranstalter und Referenten allen Beteiligten weiterreichen wollten. Nachmittags konnte man sich für verschiedenste Workshops entscheiden, zum Beispiel zu der Frage, wie die innovative Unternehmenskultur des Taschenherstellers FREITAG, wo es keine Hierarchien gibt und die Budgetierung abgeschafft wurde, in der Praxis funktioniert. Dieser unfassbar gehaltvolle erste Tag fand seinen Ausklang nach einem inhaltlichen Abschluss in Form einer Podiumsdiskussion abends dann mit kulinarischen Köstlichkeiten. Außerdem wechselte Stephan Jansen endlich einmal wieder in die Rolle des Schallplattenunterhalters und heizte die Stimmung mit feinstem Electro auf.
Um am nächsten Morgen den Wiedereinstieg in die inhaltlichen Programmpunkte auch für jene möglichst sanft zu gestalten, die am Vorabend den guten Wein sowie das ein oder andere Glas Faradai genossen hatten, sprach zunächst der Bestsellerautor und (selbsternannte) Gründungsfanatiker Rafael Horzon über „Die Gesetze von Reichtum und Erfolg“. Horzons’ Empfehlung: „Wenn ihr reich werden und Erfolg haben wollt, müsst ihr alles so machen wie ich. Also gründet am besten eine Wissenschaftsakademie. In Berlin. Und zwar im Jahr 1996“. Nach diesem auflockernden Einstieg stand die „Kraft sozialer Beziehungen und sozialer Bewegungen“ im Mittelpunkt des Doppelvortrags des Unternehmensphilosophen Dominic Veken und des Unternehmensberaters Stefan Baumann von Sturm und Drang. Gerade im virtuellen Zeitalter sollten Organisationen eine ähnliche Begeisterung bei Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten hervorrufen, wie es auch soziale Bewegungen tun. Genau das zeichne Silicon Valley Unternehmen wie Apple, Netflix, Google, Tesla etc. aus. Nachmittags ging es dann in die letzte Runde der Workshops, wo man unter anderem mit Prof. Josef Wieland und seinem studentischen Team der „Transcultural Caravans“ zukunftsfähige Führungs- und Koordinationskonzepte erarbeiten konnte.
Die wirkliche Besonderheit des Kongresses, neben den unvorstellbar vielfältigen und anregenden Programmpunkten, bildeten jedoch die Zwischenräume, die sich in den Pausen, bei den Mahlzeiten oder auch auf der Tanzfläche ergaben. Hier konnte man in Kontakt treten zu Menschen mit verschiedensten Hintergründen und so in andere Perspektiven wechseln. Etwa in die eines bayrischen Mittelstandsunternehmers oder einer Hamburger Raumausstatterin. Und dabei erkennen, dass man doch mehr mit diesen Menschen teilt, als es differente Lebensumstände oder Generationszugehörigkeiten zunächst glauben lassen. Die Möglichkeit zu solch eher „unwahrscheinlichen“ Begegnungen (frei nach Luhmann, der an dieser Stelle auch seinen Platz bekommen soll) ist hier durch die Verbundenheit zu der Idee gegeben, doch etwas verändern und einen bemerkbaren Unterschied machen zu können in einer Welt, die mitunter so komplex, beschleunigt und unzulänglich wirken kann. Dieses Gefühl der Gemeinschaft sowie die Vorfreude auf den Kongress III., den die beiden Gründer bereits für nächstes Jahr angekündigt haben, scheinen also stark an den zufriedenen Gesichtern bei der Verabschiedung des Kongresses beteiligt gewesen zu sein. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt das Neue bereits schon wieder vergangen war.