Nora hat ihr letztes Semester an der UC Berkeley verbracht. Welche Erfahrungen sie in dem Kurs „Feminism & Sexuality“ gemacht hat, welche Highlights ihr besonders in Erinnerung geblieben sind und wieso es sich lohnt auch mal verletzlich zu sein, teilt sie hier mit Futur drei.
Ich habe mein Auslandssemester an der UC Berkeley verbracht und ein Kurs ist mir ganz besonders in Erinnerung geblieben: FemSex. Der Kurs wird von Studentinnen gehalten und hat das Ziel einen „Safe Space“ zu schaffen, in dem die Studierende etwas über ihren Körper lernen, ihre Grenzen, Wünsche und Erfahrungen erforschen und ihr Verständnis von Macht und Privilegien erweitern können. Bei der Anmeldung musste ich neben einem Fragenkatalog zu meiner Motivation auch unterschreiben, dass keine Gespräche in Verbindung mit Namen nach außen getragen werden und jede Aussage mit Respekt und Akzeptanz behandelt wird.
Die Themenfelder, mit denen wir uns befasst haben waren: Anatomie, Sex und Gender, Macht und Privilegien, Gesundheit und Menstruation, Safer Sex, Elternschaft & Schwangerschaft, Body Image & Gender Repräsentation in den Medien, Sexualität, Selbstbefriedigung, Pornographie, Beziehungen & geschlechtsspezifische Gewalt. Außerdem war das Besuchen von Veranstaltungen während des Semesters verpflichtend – ich habe eine Führung durch einen Sexshop mitgemacht, gemeinsam einen Stripclub besucht und war bei der Veranstaltung Vagina Monologue (dazu hier mehr).
Es war ein sehr befreiendes Gefühl, über sehr intime und polarisierende Themen gemeinsam zu diskutieren ohne den Druck zu verspüren, private Geschichten preisgeben zu müssen. Aber sofern ich etwas äußern wollte, immer der Offenheit zu begegnen, dass in dem Raum keine Wertung stattfindet. Dieses angenehme Gefühl konnte auch durch unsere Gesprächsmethoden entstehen. Eine dieser Methoden nannten wir „Obstsalat“ – es wurde eine Frage gestellt (z.B. wie fühlt sich für dich ein Orgasmus an? Oder wie befriedigst Du dich selbst?) und jede Person hat eine persönliche Antwort auf einen Zettel geschrieben, die wir in die Mitte eines Stuhlkreises warfen und durchmischten. Nun konnte jeder einen Zettel herausziehen und anonymisiert eine Antwort vorlesen, über die diskutiert werden konnte.
Eines meiner Highlights war auf jeden Fall der Kurs zu Menstruation. Wir haben uns über unsere erste Periode, die Einstellung zu Sex während der Periode und missglückte Situationen unterhalten. Wieso ist es immer noch unangenehm öffentlich nach einem Tampon zu fragen? Und wieso wird die Tamponübergabe dann meist wie ein Drogenaustausch hinter verschlossener Hand gehandhabt? Es wurden bereits so viele Themen in unserer Gesellschaft tabuisiert, aber die Menstruation scheint immer noch bei vielen als „ekelhaft“ und beschämend angesehen zu werden.
Eigentlich ist es ja ein Thema, das die Hälfte der Menschheit (ausgenommen Kinder und ältere Frauen) angeht und deshalb auch normalisierter in Gesprächen fungieren sollte. Auch in Anbetracht der Werbung für Hygiene-Artikel wird deutlich, dass öffentlich die Meinung, dass Blut okay und natürlich ist, nicht kommuniziert wird. So wurde bisher z.B. anstelle von realistisch aussehendem Blut blaue Farbe dargestellt. Das ist für uns ein Zeichen gewesen, dass echtes Blut nicht ästhetisch genug ist, zu zeigen. (In den UK wurde jetzt übrigens das Perioden-Tabu gebrochen und erstmalig in einem Werbespot realaussehendes Blut gezeigt).
Ein weiteres Highlight war die Session zu dem Thema Body Image. Jede hatte die Aufgabe eine Kurzpräsentation über ihre persönliche Körperwahrnehmung vorzubereiten. Die Umsetzungen gingen stark auseinander. Eine Teilnehmerin las ein Gedicht vor, die andere einen Eintrag in ihrem Tagebuch, eine Weitere zeigte Fotos und erzählte ihre Gedanken zu dieser Zeit. Eine weitere entschied sich dafür einen Text darüber vorzulesen, der davon handelte, dass sie mehr ist als nur ihr Körper ist und sie die ständige Sexualisierung und Objektivierung stört. Sie hat diesen Körper in erster Linie, um zu leben, um zu rennen, um Dinge umzusetzen und nicht, um anderen zu gefallen. Um dies zu betonen, hat sie sich währenddessen ausgezogen.
Was jedoch in dieser Stunde besonders deutlich wurde ist, dass der Schein, dass sich eine als besonders hübsch empfundene Frau auch dementsprechend makellos fühlt, oft täuscht. Die Eigen- und Fremdwahrnehmung unterscheidet sich in vielen Fällen.
Spannend war auch, wie unterschiedlich die persönlich empfundenen Problematiken zu dem Thema waren. Beispielsweise hatte eine Frau das Gefühl, in ihrer Familie mit einer dunkleren Hautfarbe als die Anderen als minderwertig angesehen worden zu sein. Außerdem wurden Mobbingerfahrungen berichtet und versucht, gemeinsam zu verstehen, wieso besonders Frauen sich diesen unnötigen Stress so oft machen. Wir sahen uns in einer anderen Stunde auch an, wie Frauenkörper in der Werbung dargestellt werden. Bei der Analyse wurde besonders deutlich, wie unecht, bearbeitet und künstlich die Körper sind und wie uns diese Bilder unbewusst besonders im Teenageralter beeinflusst haben (Wer sich übrigens für gendergerechte Werbung und den Einsatz gegen Sexismus in der Werbung interessiert, kann ich nur empfehlen bei PinkStinks mal vorbeizuschauen).
Neben diesen zwei Highlights gab es noch viele weitere Momente, in denen ich persönlich sehr viel für mich mitnehmen konnte. Sei es in der Stunde, wo wir über toxische Männlichkeit und Gender-Stereotypen sprachen.Oder in der Session, wo wir eine Dokumentation über Intersexualität sahen. Das magische oder besondere an diesem Kurs war, dass sich jede Teilnehmerin verletzlich gemacht hat und wir durch diese vielen intensiven Gespräche und Geschichten so stark zusammengewachsen sind. Es lohnt sich einfach, sich zu öffnen und ich denke einfach, dass Schwächen zugeben Mut und Stärke beweist! Außerdem haben mir die verschiedenen Themenfelder gezeigt, wie facettenreich Feminismus und Sexualität definiert werden kann und in wie viele Lebensbereiche diese hineinspielen – nicht nur bei Frauen.