Überfälle im öffentlichen Raum
Es ist spät in der Nacht – die Stadt ist ausgestorben und der Heimweg von der Feier lang und dunkel. Den meisten Studierenden ist diese Situation nicht fremd, auch wenn sie von jeder Person anders wahrgenommen wird. Die Eine dreht sich möglicherweise bei jedem Geräusch panisch um, die 110 bereits gewählt und zum Notruf bereit, während der Andere den Nachtspaziergang für eine entspannte Folge Gemischtes Hack zum Tagesabschluss nutzt. Statistisch gesehen sind es tatsächlich eher Frauen als Männer, die einen Übergriff befürchten und nur mit einem mulmigen Gefühl im Bauch den Heimweg antreten. Gerade diese Angst und die damit einhergehende Vorsicht führt aber auch dazu, dass Männer häufiger Gewalttaten zum Opfer fallen.
Wie schnell es zu einer gefährlichen Situation kommen kann, mussten zwei Studenten der Zeppelin Universität vor knapp einer Woche am eigenen Leib erfahren.
In der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober kam es im Abstand von wenigen Stunden zu zwei Überfällen auf die beiden Studenten, die sich auf dem Heimweg von einer Party in der Werastraße befanden. Im ersten Fall waren es nur knapp zehn Minuten Fußweg, die zwischen der Party-Location und der Wohnung des Studenten lagen – eine viel zu kurze Distanz, um ein Taxi zu rufen. Nach eigener Aussage war er den ersten Teil des Weges in Begleitung eines anderen Studenten, musste gegen Ende jedoch allein in eine Seitenstraße abbiegen. Dort, berichtet er, saßen drei junge Männer um die zwanzig Jahre alt, die ihn nach einer Zigarette fragten. Als sie diese tatsächlich erhielten, wurden sie aggressiv, umringten den Studenten und bedrohten ihn mit einem Klappmesser, das sie ihm an Gesicht und Hals drückten. Handy oder Geldbeutel wollten die Angreifer nicht an sich nehmen, stahlen nur das Bargeld. Da er nur wenige Münzen bei sich hatte, forderten sie den Studenten auf zur Bank zu gehen, um ihnen einen höheren Betrag abzuheben. Als dieser sich weigerte, so beschreibt er, wurden die jungen Männer nervös und ließen ihn stattdessen von einem nahegelegenen Automaten noch zwei Packungen Zigaretten kaufen, bevor sie ihn schließlich laufen ließen. Wenige Stunden später kam es zu einem zweiten Überfall auf einen anderen Studenten, dem ein Betrag im dreistelligen Bereich entwendet wurde. Beide Vorfälle wurden der örtlichen Polizei in den darauffolgenden Tagen gemeldet. Aus ermittlungstaktischen Gründen teilt die Polizei ihr weiteres Vorgehen zwar nicht mit, üblich bei solchen Fällen seien jedoch Maßnahmen wie Vernehmungen, Tatortbegehungen und Zeugenaufrufe in der Presse.
Personen, die einem Angriff wie diesem oder auch Belästigungsversuchen zum Opfer fallen, tragen keine Mitschuld. Was zunächst wie eine banale Aussage scheint ist in diesem Kontext nicht genug zu betonen. Allein nachts unterwegs zu sein ist keine Erlaubnis für Übergriffe oder Gewalttaten. Dennoch zeigen Vorfälle wie diese, dass es immer wieder zu gefährlichen Situationen kommen kann. Manche davon können vermieden werden, manche aber auch nicht. Für Studierende ist dieses Thema in der vergangenen Woche erschreckend nahe gerückt und viele stellen sich nun die Frage, wie sie selbst solch eine Situation auf dem Nachhauseweg vermeiden oder im schlimmsten Fall auch bewältigen können.
Florian Suckel aus dem Referat Prävention des Polizeipräsidiums Ravensburg verweist bei der Beantwortung dieser Frage auf die Inhalte des Präventionsprogramms „Sicher. Unterwegs. – Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum“, das federführend vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg entwickelt und 2019 eingeführt wurde. Das Programm richte sich in erster Linie an Frauen ab 16 Jahren, da diese häufiger Angst vor einem Übergriff verspüren, so Suckel. Die Hinweise seien jedoch von Frauen wie Männern auf fast jede gefährliche Situation übertragbar. Das Programm verweist zunächst auf die Möglichkeit, brenzlichen Situationen zu später Stunde vorzubeugen. Bei längeren Wegen Geld in eine Taxifahrt zu investieren, statt nachhause zu laufen und pöbelnden Gruppen aus dem Weg zu gehen kann die Gefahr auf dem Heimweg verringern. In manchen Fällen ist eine derartige Prävention aber nicht zwingend möglich. Wie die jüngsten Vorfälle zeigen, ist potenziell jeder Weg und sei es nur zur Wohnung eine Straße weiter, lang genug, um in eine solche Situation zu geraten. Wie verhält man sich am besten, wenn man erst einmal in so einer Situation steckt? Auch dafür liefert das Programm Tipps: Reden, Schreien, Flüchten scheint hier die zentrale Aussage. Distanz zu wahren ist wichtig. Sollte dies räumlich nicht möglich sein, dann in jedem Fall verbal. Um potenziellen Helfer:innen nicht den Anschein eines persönlichen Konfliktes zu vermitteln, sollten Angreifer:innen oder aufdringliche Menschen immer gesiezt werden, während am besten frühzeitig und direkt die eigenen Grenzen artikuliert werden. Wie sich auch im Bericht des ersten Überfalls zeigt, können klar gesetzte Grenzen, wie „Nein, ich hebe nichts von meinem Konto ab“ die Täter:innen verunsichern. Sollte das nicht reichen, dann ist die eigene Stimme eine wirksame Waffe. Es kostet meist viel Überwindung, aber Rufe, insbesondere direkt an Menschen in der Nähe gerichtet, können in dieser Situation hilfreich sein. Auch wenn niemand vor Ort zu sein scheint rät Suckel dazu, laut zu sein, um Hilfe zu rufen und so eventuell doch auf sich aufmerksam zu machen. Selbst auf einer leeren Straße kann dies die Täter:innen nervös machen und von ihrem weiteren Vorgehen abhalten oder auch nur lange genug irritieren, um eine Flucht zu ermöglichen. Gleichzeitig betont Suckel jedoch, dass vom Gebrauch eigener Waffen in jedem Fall abgeraten wird. Pfefferspray und Co. können strafrechtliche Folgen haben, die Täter:innen aggressiver machen oder dem in der Anwendung ungeübten Opfer schnell entwendet werden, sodass eine Waffe die eigene Situation eher verschlimmern könnte.
Auch an Zeugen einer Straftat im öffentlichen Raum wendet sich eine Initiative der Polizei. Wer eine Situation beobachtet, die für Beteiligte gefährlich sein könnte, sollte sich bemerkbar machen, wird in der Broschüre geraten. Oft reicht das Wissen, dass man beobachtet wird, um Angreifer:innen abzuschrecken. Sich selbst in Gefahr zu bringen ist jedoch nicht hilfreich. Bei einer Person, die körperlich offensichtlich überlegen ist, gilt es Distanz zu wahren. Auch aus einiger Entfernung kann das Opfer angesprochen und zu sich gerufen und natürlich ein Notruf abgesetzt werden. Beobachter können sich auch Details der Angreifer:innen einprägen – wie Statur, Sprache, Kleidung oder Besonderheiten wie Tattoos -, die der Polizei helfen können, die Straftat aufzuklären.
Verbrechen geschehen oft in Sekundenbruchteilen und die hier beschriebenen Verhaltenshinweise erfordern Überwindung und Übung, die Studierende oft nicht haben. Ein Informationsvortrag, den die Polizei im Zuge des Präventionsprogramms auch für Hochschulen und Universitäten anbietet, könnte ein Fundament darstellen, auf das in solchen Situationen gebaut werden kann. Der Vortrag soll Fakten und Hinweise vermittelt, ist jedoch auch kein Selbstverteidigungskurs. Was also sollen wir als Studierende für die Zukunft mitnehmen? Die nächste Party, und damit auch der nächste Nachhauseweg, kommt schnell und wenn wir ganz ehrlich sind, dann ist klar, dass die meisten sich auch in Zukunft für einen Fußweg von zehn Minuten kein Taxi bestellen werden. Die Vorfälle der vergangenen Woche hinterlassen bei einigen Studierenden Unsicherheit, die schnell in Angst und Vermeidungsverhalten umschlagen kann. Sicherheit ist ebenso wichtig wie das Wissen über ein angemessenes Verhalten in potenziell gefährlichen Situationen. Dieser Text soll darauf aufmerksam machen. Doch genauso wichtig ist eine realistische Risikoeinschätzung und der richtige Umgang mit den vermittelten Informationen und Tipps. Die zentrale Aussage darf daher nicht sein, die eigene Wohnung aus Angst gar nicht erst zu verlassen, sondern vielmehr wachsam und vorbereitet zu sein, sollte es doch einmal gefährlich werden. Also habt Spaß auf der Party, seid vorsichtig auf dem Heimweg und merkt euch für den Ernstfall: Reden, Schreien, Flüchten.