Am Abend des 13. März 2013 erscheint ein Mann auf der Benediktionsloggia des Petersdoms, mit dem eigentlich niemand mehr gerechnet hatte. Jorge Mario Bergoglio war – glaubt man den geheimen Aufzeichnungen eines Kardinals vom Konklave 2005 – der liberale Gegenkandidat zu Joseph Ratzinger und bat schließlich seine Wähler, ihn nicht mehr zu unterstützen und dafür den späteren Benedikt XVI. zum Papst zu ernennen. Dies, so wissen wir heute, ist dann auch so geschehen und zog ein achtjähriges Pontifikat nach sich, welches in einem spektakulären Rücktritt im Februar 2013 endete und das Papstamt entmystifizierte.
Die letzten Worte von Papst Benedikt waren „buona notte“, Papst Franziskus beendete die Sedis Vakanz (die Zeit des unbesetzten Stuhles) mit den passenden und anschließenden Worten „buona sera“. Gute Nacht zur Verabschiedung – guten Abend zur Begrüßung: Bereits am Abend der Papstwahl überschlugen sich die Spekulanten mit beinahe schon prophezeiungsähnlichen Ausblicken in die nähere und fernere Zukunft. Ohne mich als Vatikan-Kenner im zarten Alter von 23 Jahren ausweisen zu wollen, habe ich jedoch damals schon vermutet, dass dieser Papst ebenso katholisch sein wird, wie sein Vorgänger – auch wenn diese Beobachtung beinahe banal und paradox klingen mag. Lehrverändernde Maßnahmen wird auch Franziskus nicht treffen. Denn dafür fehlt auch dem 365. Nachfolger des Apostels Petrus und Stellvertreter Christi auf Erden die Bevollmächtigung, was vielen als kontrovers erscheinen mag. Auch als Papst gilt keine vollendete Deutungshoheit und schon gar keine Unfehlbarkeit in allen Belangen: das erste Vatikanische Konzil beschloss im auslaufenden 19. Jahrhundert, dass der Papst lediglich in Normen- und Sittenfragen ex cathedra (vom Throne herab) einen Glaubensgrundsatz als unverrückbar in der katholischen Lehre festlegen kann. Dies geschah allerdings innerhalb der Dogmengeschichte beginnend mit dem ersten Vatikanum erst zwei Mal.
Anhand dreier Beispiele, die in den Medien zumindest vielfach diskutiert werden aber nicht einmal ansatzweise repräsentativ sind für die Gesamtheit der katholischen Kirche, möchte ich nun exemplarisch aufzeigen, dass auch Papst Franziskus keinen absoluten Revolutionär innerhalb der katholischen Kirche darstellt, sondern sich in die Kontinuität seiner Vorgänger stellt. Dass er doch in den letzten vier Jahren auf seine ganz eigene und lateinamerikanische Weise die Kirche maßgeblich gestaltet und auch verändert hat, möchte ich jedoch ebenso hervorheben, wie den beinahe geradlinigen Verlauf der katholischen Lehre.
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Homosexualität
Im Katechismus (Absatz 2358), sozusagen dem Handbuch der katholischen Lehre, steht folgendes zur Homosexualität geschrieben: “Eine nicht geringe Anzahl von Männern und Frauen sind homosexuell veranlagt. Sie haben diese Veranlagung nicht selbst gewählt; für die meisten von ihnen stellt sie eine Prüfung dar. Ihnen ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen. Auch diese Menschen sind berufen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen und, wenn sie Christen sind, die Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Veranlagung erwachsen können, mit dem Kreuzesopfer des Herrn zu vereinen.” Ich bin davon überzeugt, dass der Großteil der Menschen, die diese Worte lesen, sich zunächst einmal an den vorgeschlagenen Umgangsformen mit Homosexuellen stören wird, die damals Joseph Kardinal Ratzinger angeordnet hat. Dass Achtung, Mitleid und Takt jedoch nicht als eine Art Bemitleidung zu verstehen sind, weil diese Menschen eine homosexuelle Veranlagung aufweisen, ist sicherlich zu Anfang schwer zu begreifen. Mitleid bedeutet aber in diesem Zusammenhang lediglich, dass man als Christ und als Katholik mit diesen Menschen, die man eben nicht zurücksetzen darf aufgrund ihrer Sexualität, mitleiden soll, da diese in der Gesellschaft – und vielfach auch innerhalb der Kirche – Bedrohungen oder Diskriminierung ausgesetzt sind. Eine Bemitleidung aufgrund ihrer Situation soll daher nicht erfolgen, sondern man sei verpflichtet mit diesen Menschen zu fühlen, dass diese immer noch ungerechterweise anders behandelt werden, als heterosexuelle Menschen. Dies war innerhalb der katholischen Soziallehre bereits 1992 mit dem Katechismus unmissverständlich festgesetzt worden, wo doch im deutschen Strafgesetzbuch erst 1994 der Paragraph § 175 außer Kraft gesetzt wurde, und somit erst Mitte der 90er Jahre eine Entkriminalisierung der Homosexualität stattfand. Zwar kann korrekterweise angemerkt werden, dass sich auch kirchliche Amts- und Würdenträger nicht immer an ihre eigene Lehre gehalten haben und auch in der Kirche homosexuelle Menschen ungerechterweise zurückgesetzt worden waren, jedoch scheint dies in jeder Organisation oder Gesellschaft tragischerweise der Fall zu sein, da auch die Katholische Kirche nur aus ihren Gläubigen besteht, die nun einmal fehlerhaft sind.
Beim Rückflug aus Rio de Janeiro im Jahre 2013, wird Papst Franziskus von einem Journalisten gefragt, was dieser zu homosexuellen Priestern sagen würde. „Wer bin ich zu urteilen“ war die Antwort des Papstes, was mittlerweile beinahe schon zum geflügelten Ausspruch geworden ist. Wenn jemand Gott suche, sei der Papst nicht da, diesen zu verurteilen, nur weil dieser eine homosexuelle Neigung hat. Obwohl der Papst hierbei nichts Sensationelles von sich gibt, da die kirchenrechtlichen und auch lehramtlichen Aussagen schon lange vor seinem Amtsantritt feststanden, gingen seine Worte um die Welt. Auch Benedikt, der den Katechismus maßgeblich mitgeprägt hat, war dieser Überzeugung. Hier lässt sich vielleicht das erste Mal anmerken, dass der Ton die Musik macht! Franziskus greift nicht in die Soziallehre der Kirche ein, verändert aber mit seiner Aussage den Blickwinkel der kirchlichen Institution auf Menschen, die homosexuell sind. Eine pauschale Verurteilung darf nicht stattfinden, wäre so auch nicht vom kirchlichen Lehramt gedeckt und wird nun durch einen aktiven Ausspruch des Papstes unterstrichen. Das dies beinahe euphorische Zustimmung – auch von Schwulen-Verbänden nach sich zieht – ist durchaus verständlich. „Vielleicht zum ersten Mal kommen von einem Papst nicht offen homophobe Worte“, sagte der italienische Abgeordnete und Schwulen-Aktivist Alessandro Zan. Ob die Äußerungen von den vorangegangenen Päpsten homophob oder lediglich scharf waren, sei einmal dahingestellt.
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Eucharistie & Ökumene
Die Bischofssynoden im Herbst 2014 und 2015 wurden auch medial viel diskutiert und viele witterten bereits einen radikalen Umschwung innerhalb der Katholischen Kirche zum Thema Eucharistie und ökumenischer Annäherung. Eine genaue Analyse der Synoden und des nachsynodalen Schreibens (Amoris laetitia) würde über diesen Artikel hinausgehen. Gesagt werden kann jedoch, dass Papst Franziskus die Ortskirchen und die individuellen Priester in den Pfarreien stärken möchte. Diese sollen konkret in einzelnen Lebenssituationen über die Handhabung der Betroffenen entscheiden – immer vor dem Hintergrund der geltenden Lehre. Papst Franziskus hebt jedoch ganz deutlich folgenden Grundsatz hervor: „Die Kirche ist im Besitz einer soliden Reflexion über die mildernden Bedingungen und Umstände. Daher ist es nicht mehr möglich zu behaupten, dass alle, die in irgendeiner sogenannten ,irregulären‘ Situation leben, sich in einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben“ (AL 301). In einer irregulären Situation leben nach kirchlicher Lehre all jene, die eine neuen Zivilehe eingehen, die durch eine sexuelle Komponente geprägt ist, da die katholische Ehe faktisch und kirchenrechtlich immer noch besteht und man durch eine neue Partnerschaft einen Ehebruch begeht. Im Schreiben „Die Freude der Liebe, die in den Familien gelebt wird, ist auch die Freude der Kirche. Einladung zu einer erneuerten Ehe- und Familienpastoral im Licht von Amoris laetitia“ der Deutschen Bischofskonferenz steht hierzu: „Amoris laetitia bleibt aber dennoch nicht beim kategorischen und irreversiblen Ausschluss von den Sakramenten stehen.“ Eine pauschale Schuldzuweisung sieht das kirchliche Lehramt daher sehr kritisch und schließt nicht grundsätzlich von der Eucharistie als solche aus. Dennoch wird die Unauflöslichkeit der Ehe als Sakrament nicht infrage gestellt, sondern vielmehr lobend hervorgehoben. Auch anhand dieses Beispiels lässt sich erkennen, dass der Papst auf ein subtiles Umdenken setzt, als auf lehrverändernde Maßnahmen. Denn dass die Eucharistie für alle Geschiedenen zukünftig empfangbar ist, ist nicht einmal ansatzweise im Sinne der katholischen Sakramentenlehre, des Papstes und offen gestanden auch nicht in meinem. Dennoch erinnere ich gerne an einen Satz, den Ministerpräsident Erwin Teufel immer wieder gerne zitiert: „Die Eucharistie ist keine Belohnung für die Frommen, sondern eine Stärkung für die Schwachen.“
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Als der Papst die Lutherische Gemeinde in Rom 2015 besucht, stellt eine Protestantin, die seit über 30 Jahren mit einem Katholiken verheiratet ist die Frage, wann sie endlich mit Ihren Ehemann gemeinsam zur Eucharistie und zum Abendmahl gehen könne. Dies ist für mich ein unglaublich kraftvoller Augenblick, denn der Papst ist in jenem Moment beides: höchste Lehrautorität innerhalb der Römisch-Katholischen Kirche, aber auch Pfarrer und Bischof von Rom, der primär für die Seelsorge verantwortlich ist. Nachdem die Frau ihre Frage gestellt hat, scherzt der Papst zunächst einmal, dass er sich davor fürchte zu antworten, da es innerhalb der Kirche sehr gebildete Theologen wie Kardinal Walter Kasper gebe, der an eben jenem Tag anwesend ist und bis vor wenigen Jahren der Präsident des Rates zur Förderung der Einheit der Christen war – also sozusagen der Ökumenebeauftragter des Heiligen Stuhls. Nach einem Schmunzeln der Kirchgänger sowie des Kardinals fährt der Papst jedoch ernst fort und erinnert zunächst einmal an ein Pauluswort: „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe.“ Während dieser Worte lächelt der Papst bereits in einer Weise, die ich beinahe schon als eine Art verstecktes Augenzwinkern wahrgenommen und interpretiert habe. Als Oberhaupt der Katholischen Kirche sagt der Papst richtig: „Ich werde nie wagen, Erlaubnis zu geben, dies zu tun, denn es ist nicht meine Kompetenz. Eine Taufe, ein Herr, ein Glaube.“ Der Papst unterstreicht, dass es nicht innerhalb seines Machtbereiches liegt, die Kommunion als das zentralste Sakrament in einer solchen Art und Weise preiszugeben. Als Pfarrer und Bischof von Rom fügt der Papst jedoch grinsend hinzu, dass jeder nach seiner persönlichen Gottesbeziehung handeln sollte: „Sprecht mit dem Herrn und geht voran. Ich wage nicht mehr zu sagen.“
Für mich ist dies Ausdruck der Führung des Pontifikates von Franziskus. Für ihn ist es wichtig, eine neue und subtilere Art der Veränderung einzuläuten, die sich in den nachfolgenden Pontifikaten durchsetzen und in ferner Zukunft einmal zu einer gewissen Veränderung innerhalb der Katholischen Kirche führen kann. Immerhin waren im November 2016 44 der 120 wahlberechtigten Kardinäle bereits von Franziskus ernannt worden, was eine ungeheure Macht und berechtigte Einflussnahme in ein späteres Konklave bedeutet. Franziskus ist sich bewusst, dass die Kirche für einen theologischen Umschwung nicht bereit ist. Zu viel Angst und Befürchtungen liegen in einem etwaigen Schisma, wie es dies nach dem zweiten Vatikanischen Konzil in den 60er Jahren mit den Piusbrüdern gegeben hat. Dennoch ist sich Papst Franziskus auch bewusst, dass zwar ein Rücktritt für ihn in Frage kommt – und sicherlich auch umgesetzt wird – aber dieser erst in einigen Jahren sinnvoll vollzogen werden kann. Schließlich ist hierbei zur Gültigkeit verlangt, dass der Rücktritt frei geschieht und hinreichend kundgemacht wird (vgl. Codex Iuris Canonici Can. 332, § 2). Franziskus wird – so bin ich mir sicher – diesen Weg gehen, nicht jedoch bevor er wichtige Akzente in einem gewissen Umdenk- und Umstrukturierungsprozess noch weiter und intensiver gesetzt und verankert hat. Zu groß wäre die Gefahr, dass konservative Kräfte innerhalb der Kurie oder der zukünftige Papst seine administrativen Schritte aufheben und ein anderes Klima innerhalb der Kirche wieder eintreten könnte. Zu erwarten sind daher keine sensationellen Öffnungen der Kirche, hin zu einem Frauenpriestertum, der „Ehe“ für alle oder einer Akzeptanz von ausgelebter Homosexualität. Solch eine Erwartungshaltung schadet der Kirche an sich mehr, als dass sie nutzt, da in der breiten Gesellschaft und den Medien noch die weit verbreitete Meinung dominiert, dass dieser Papst den gesamten kirchlichen Apparat reformieren wird. Immerhin war es schon seit jeher Aufgabe der Katholischen Kirche, gegen den Strom zu schwimmen, aufzufallen und sich nicht ungefragt an den modernen Zeitgeist der Gesellschaft anzupassen.