Unrettbar verloren

Vor kurzem wurde Ursula Haverbeck, Holocaust-Leugnerin, wegen Volksverhetzung zu einer Haftstrafe von 10 Monaten verurteilt. Seit Jahren tritt die Rechtsextremistin selbstbewusst öffentlich auf und erzählt Märchen von der jüdischen Verschwörung und dem Unrecht, das Deutschland durch den Vorwurf des Holocaust angetan wurde. Tim Miller war diesen Sommer in schriftlichem Kontakt mit Frau Haverbeck und erlebte vor allem eines: rechtsradikale Ausflüchte.

 

„Zugegeben, zu Anfang war meine Intention, mich mit so einer Person und solch einem schwerwiegenden Thema zu widmen, wohl größtenteils Frust und Fassungslosigkeit. Ich hatte das Interview, welches im Auftrag von Panorama geführt worden war, im Sommer 2015 gesehen, als ich gerade für sechs Wochen meine jüdische Gastfamilie in New York besuchte.

Mit war nicht primär daran gelegen, die mühsam zusammengesuchten historischen „Tatsachen“ von Ursula Haverbeck zu falsifizieren, wobei ich in meinem ersten Brief trotzdem einige Versuche unternahm. Ich wollte sie eher darauf hinweisen, dass sie mit ihren Aussagen weder zu einer gewalt- und vorurteilsfreien Gesellschaft beitragen würde, noch, dass sie andere Völker dieser Erde mit dem gleichen Respekt behandelte, wie das deutsche. Zwar lässt sich gewiss sagen, dass Frau Haverbeck mehrere Jahre ihres Lebens damit verbracht hat, historische Ungereimtheiten aufzuarbeiten, doch meines Erachtens ist der Hintergrund vor dem sie dies tut, entscheidend und spielt eine enorm wichtige Rolle. Der Ton macht eben doch die Musik.
So antwortete sie mir beispielsweise auf meinen ersten Brief an sie mit dem Argument, dass der Hass der Juden, der uns Deutschen entgegen gebracht wird um ein vielfaches größer wäre als der, mit dem die Deutschen Juden bedacht hatten. Zwar antwortete ich ihr daraufhin, dass ich durch meine jüdische Gastfamilie – mit der ich übrigens ein ganzes Jahr zusammen wohnte – nicht ein einziges Mal das Gefühl vermittelt bekam, gehasst zu werden. Dies schien sie aber nicht von ihrem Standpunkt abbringen zu lassen. Selbst nicht, als ich anfügte, dass ich oftmals in den nahe gelegenen Tempel gefahren bin, wo meine Gastfamilie mit anderen Juden ihren Gottesdienst feierten, wurde ich selbst als Deutscher unglaublich freundlich aufgenommen.

Zurück zu meinem ersten Brief an Frau Haverbeck: dieses knapp über fünf Seiten lange Schreiben beschäftigte sich, so detailliert wie möglich, mit mehreren Aussagen in ihrem Interview, die ich für falsch oder hasserfüllt hielt. Die erste und wichtigste Frage, die ich an Frau Haverbeck richtete war, ob sie das jüdische Volk auf einer Stufe mit anderen Völkern der Erde sieht, die „an der Wahrheitssuche beteiligt seien“? Gleich zu Beginn sei gesagt, dass Frau Haverbeck mir zu keiner einzigen Frage über moralische Werte oder Einstellungen zu Juden oder Ausländern, eine Antwort gegeben hat. Sie verwies lediglich immer auf „historische Tatsachen“ und von ihr angebrachte Beweise.

Frau Haverbeck behauptete, dass es keine Vernichtungslager, sondern lediglich Arbeitslager gegeben hätte. Es sei vollkommen normal gewesen, dass Nationen im Krieg Gegner und Feinde in Arbeitslager internierten, um diese dann für die nationale Rüstungsindustrie arbeiten zu lassen. Dies hätten auch schon andere Länder erfolgreich praktiziert. Geht man nun utopischerweise davon aus, dass dies alles so korrekt sei, dann stellte sich für mich immer noch die Frage, warum die deutschen Juden als Gegner des Landes angesehen wurden und in Lagern wie Ausschwitze zum Arbeiten gezwungen werden mussten. Sie waren weder Gegner des Landes noch Mitglied einer anderen Nation. Sie waren schlichtweg Deutsche!

Frau Haverbeck beklagte weiter, dass alte Zeugen, die niemals in Ausschwitz Gaskammern gesehen haben wollen, nie richtig angehört wurden. Dass aber Oscar Gröning einer dieser Zeitzeugen war und nun gegen sich selbst und das Nazi Regime aussagt, empfindet Frau Haverbeck als Irrtum der Justiz und ein Versagen unseres freiheitlichen Rechtsstaates. Weiterhin stützte sich Frau Haverbeck auf die Kommandaturbefehle, die vom Historiker Professor Norbert Frei veröffentlicht wurden, und in denen angeblich nichts von Gaskammern stünde oder übermittelt wurde. Dass das Naziregime damals nicht in öffentlichen Kommandaturbefehlen von einer Massenvernichtungsanlage hatte schreiben wollen, sieht sie ebenso nicht ein.

Norbert Frei sagte übrigens in einem Interview, dass Frau Haverbeck seine Literatur vollkommen zweckentfremdete und sie für ihre eigenen Bedürfnisse zurecht stützt. Damit wäre dann wohl auch Professor Norbert Frei als Lügner und unfreier Historiker enttarnt, der von der deutschen Regierung überwacht werden würde und unfrei publizierte.

Auf meine briefliche Nachfrage, was teilhabende Offiziere in Ausschwitz denn für einen Zweck für sich selbst sahen, der ganzen Welt die Wahrheit über eines der schrecklichsten Verbrechen der Menschheit zu erzählen, konnte mir Frau Haverbeck nicht wirklich eine Antwort geben. Auch wollte sie nicht einsehen, dass Menschen, die an solchen Verbrechen beteiligt waren, vielleicht auch zur ein oder anderen Lüge greifen würden, um sich selbst aus dieser heiklen Situation herauszuholen. Denn wer gibt offen zu, sechs Millionen Menschen ermordet zu haben oder zumindest Beihilfe geleistet zu haben?

Frau Haverbeck führte aus, dass sie es ablehnt, Menschen grundsätzlich als Verbrecher zu bezeichnen. Somit wird auch Adolf Hitler nicht als ein solcher benannt und ich gestehe ihr ein, dass dies eine zutiefst christliche Haltung sei. Im nächsten Halbsatz wird dann jedoch Wladimir Putin unterstellt, der postmoderne Verbrecher aus der Neuzeit zu sein und sie vergisst relativ schnell ihren vorher gefassten Grundsatz. Widersprüchlichkeiten von einem Satz zum nächsten sind die Folge.

Das Panorama-Interview Haverbecks gipfelte schließlich in der Aussage, dass die vielen toten Juden, die auf den Fotos der Alliierten zu sehen waren, durch verdorbene Ölsardinen umgekommen seien. Auch wurden die Fotos noch zusätzlich von den Amerikanern bearbeitet und so zum Anlass genommen, den Deutschen „das größte und singuläre Verbrechen der Menschheit“ anzulasten

Gegen Ende meines ersten Schreibens kam ich nicht umhin, etwas persönlich zu werden, was ich über den gesamten Brief eigentlich versucht hatte zu unterdrücken:

„Liebe Frau Haverbeck: natürlich weiß ich, dass all Ihre Aussagen vor dem Hintergrund einer nationalistischen Denkweise zustande kommen. Dies wird schon allein durch die Heirat Ihres Mannes, als auch durch die Leitung des Collegium Humanum deutlich. Mir ist ebenso durchaus bewusst, dass es viele Menschen in unserem Land gibt, die sich nicht belehren lassen wollen; das ist auch nicht meine Absicht. Ich schreibe Ihnen eigentlich nicht aus dem Grund heraus Ihre mühsam zusammengetragenen Ansichten und Vermutungen zu widerlegen – obwohl ich mir das im Laufe des Briefes nicht nehmen lassen konnte – sondern viel eher um Ihnen mein tiefstes Mitleid auszusprechen. Sie haben am Ende des Interviews erklärt, dass denkende Menschen bei dieser Verleumdung nicht mehr allzu lange mitmachen werden. Hier sitze ich nun, als ein denkendes und vernunftbegabtes Wesen und fühle mich geehrt, dass ich hoffentlich unter die Definition von Immanuel Kants sapere aude falle.“

Oder wie es der verurteilte Oscar Gröning auf die Nachfragen eines Reporters ausdrückte, der wissen wollte, was er zu Holocaustleugnern sagen würde: „Nichts, die sind unrettbar verloren.“

 

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