“Tischgespräche” führt man hier in Berkeley von Anfang an sehr viele. Sei es nun, weil wir beide im International House wohnen, in dem das gemeinsame Dinner, Lunch und Brunch an den Wochenenden zum Konzept dazu gehört, oder weil Amerikaner generell sehr aufgeschlossen sind und gerne über viele Themen offen diskutieren. Dies sind die perfekten Voraussetzungen sehr viele, interessante Menschen näher kennenzulernen. Um das schon mal vorwegzunehmen: Berkeley und die Bay Area im Allgemeinen sind unglaublich divers, sodass man der Fülle an sozialen, politischen und kulturellen Strömungen in einem Artikel gar nicht gerecht werden kann. Nach nun fast zwei Monaten an der Kalifornischen Westküste haben wir immer noch den Eindruck, kein einheitliches Bild von einer der bekanntesten Universitäten in den USA zu haben.
Johanna: Die spannendste und gleichzeitig wichtigste Erfahrung sind die Menschen aus aller Welt, die man hier kennenlernt. Im International House wohnen an die 600 Studenten aus über 70 verschiedenen Nationen. Darunter auch einige Amerikaner, sodass man schnell die amerikanische Kultur kennenlernt und Insidertipps für die Umgebung, die besten Plätze zum Arbeiten, Essen und Ausgehen bekommt. Das I-House liegt zudem sehr zentral direkt am Ende des Campus, an einem kleinen Hang. Wenn die Wetterbedingungen es zulassen, kann man von hier aus sogar die Golden Gate Bridge sehen.
Der wohl stärkste Gegensatz zu der Zeppelin Universität ist die Größe von Berkeley. Es gibt ungemein viele Möglichkeiten, seien es Freizeitangebote in der Umgebung und San Francisco, Initiativen auf dem Campus, Events, Kurse oder internationale Studenten, die man noch näher kennenlernen will. Berkeleys Energie reißt einen von der ersten Woche an mit und es ist eine echte Herausforderung den Workload mit dem sozialen Leben hier auszubalancieren. Doch als Austauschstudent für nur 4 Monate fällt es manchmal leichter den Stress gelassen zu nehmen. Denn, vergleicht man die Lehre von Berkeley und der ZU, so ist der Workload zwar um ein vielfaches höher, die Qualität und die Tiefe der Vorlesungen aber teilweise geringer. Die Amerikaner gehen die Vorbereitung von Präsentationen oder das Schreiben eines Papers oft gelassen an und nehmen es manchmal nicht so genau mit ihren Worten. Dies ist zumindest ein Fazit aus kommunikationswissenschaftlichen Kursen. Wissenschaftliche Anforderungen, wie eine saubere Datenrecherche und das Halten an Fakten werden oftmals nicht ernst genommen. Dagegen wird aber immer versucht interdisziplinäre Kurse zu ermöglichen, was ein wirklicher Mehrwert für die Qualität der Diskussionen und Projekte ist. Im Department für Letters & Science müssen alle UC Studenten mindestens sieben Kurse aus anderen Studiengängen belegen. Diese Voraussetzung ist sehr bereichernd und spannend. In einem meiner Kurse geht es zum Beispiel um die großflächige Etablierung von Lithium Batterien in Entwicklungsländern. Arbeitet man dann an spezifischen Fragestellungen mit Chemikern und Ingenieuren zusammen, bekommt man das Gefühl, wirklich etwas realisieren zu können.
Niemand mit dem ich bisher gesprochen habe, konnte sich dem Berkeley-Reiz entziehen. Vielleicht liegt das am omnipräsenten College-Spirit. Es gibt eigentlich keinen Ort auf dem Gelände, der nicht die Farben Blau und Goldgelb aufgreift oder auf dem das Maskottchen der Universität, der Cal Bear, zu sehen ist. Aber was macht diesen Sprit aus? Vermutlich würde das jeder Student sehr individuell beantworten. Von außen betrachtet wirkt es aber so, als hätten die allermeisten Studenten hier den Glauben daran, dass sie an einem Ort studieren, der auch in Zukunft etwas Positives bewegen kann. Historisch betrachtet, war Berkeley der Ort an dem in den 60er-Jahren die „Free Speech Movement“ stattgefunden hat. Meinungsfreiheit wird hier radikal liberal als die Freiheit definiert, alles sagen zu dürfen. Dennoch ist das Polizeiaufgebot bei Veranstaltungen mit provokanten Rednern sehr hoch. Es kommt nicht selten zu aggressiven Ausschreitungen, wenn diese liberale Kultur auf Anhänger rechtsorientierter oder sogar rechtsradikaler Politik trifft. So musste die traditionell stattfindende Freespeech-Woche abgesagt werden, als die Stimmung sich im Vorfeld schon so zuspitzte, dass die Lehrveranstaltungen und die Sicherheit auf dem Campus zu stark beeinflusst worden wäre. Politisches Futter und interessante Diskussionen während gemeinsamen Essen gibt es hier also genügend. Und das macht auch das Studentenleben in Berkeley aus: Die Menschen hier sind sehr offen und interessiert und die Geschichten aus all den verschiedenen Kulturen sind unglaublich bereichernd für einen persönlich, aber eben auch für den Austausch der Studenten aus aller Welt.