Tischgespräche – Berkeley

>
Jan: “Fiat Lux” – Es werde Licht! Ganz gemäß dem aufklärerischen Motto der UC Berkeley waren meine ersten Wochen in Kalifornien geprägt. Vom ersten Moment an wird man mit der schieren Anzahl von Möglichkeiten überfordert. Von der immensen Anzahl der Kurse des Political Science Departments bis zum kostenlosen Sportangebot auf dem ganzen Campus, inklusive Fitness-Studios, Schwimmbädern und Tennisplätzen; für jeden Studenten wird etwas geboten. Innerhalb der Universität gilt klar: Wer hier studiert, muss hoch ambitioniert sein und dies in allen Bereichen seines Lebens ausdrücken, wie zum Beispiel im Studium, Sport und der Freizeitgestaltung. Dieses Streben nach Perfektion erklärt vielleicht auch den konstanten Stress, dem man in Berkeley ausgesetzt wird. Obwohl das akademische Niveau der Kurse nicht wesentlich höher als an der ZU ist, erzeugen der umfangreiche Leseaufwand und die zahlreichen Deadlines (im Durchschnitt 2 Midterms + 1 Endterm) genügend Termindruck.

Wenn man sich jedoch eingefunden hat, so heißt Berkeley einen mit einem umfangreichen Bibliothekssystem und einzigartigen Kursen mit außerordentlichen Professoren willkommen. Innerhalb des Campus verteilen sich auf 23 Bibliotheken 10 Millionen Bände. Damit gilt das UC Berkeley Bibliothekssystem mit 50.000m² Fläche als viertgrößte Bibliothek in den USA. Auf der anderen Seite begeistern Professoren wie Judith Butler (Philosophin), Robert B. Reich (ehemaliger Arbeitsminister unter Clinton), Maurice Obstfeld (Chefökonom des IWF) und Janet Yellen (Präsidentin der FED) die Studenten mit ihren einzigartigen Kursen. Leider ist es jedoch als Austauschstudent nahezu unmöglich sich in die Kurse mit diesen Professoren einzutragen. Als “Studenten zweiter Klasse” mussten Johanna und ich Kurse wählen, die nach dem Ablauf der allgemeinen Anmeldephase (nur für Berkeley Studenten zugänglich) noch freie Plätze hatten. Selbst dann konnte uns ein Platz nicht versprochen werden, weshalb wir bei den jeweiligen Professoren um die Freigabe bei der Zulassung zu den Kursen bitten mussten. Im Hinblick auf eine finanzielle Eigenbeteiligung im hohen vierstelligen Bereich, trotz Stipendiums, ein ernüchterndes Ergebnis.

Unangenehm fühlt sich zudem die große Einkommensungleichheit in der Bay Area an. Neben den hippen Studenten mit ihren Macs, Berkeley-Klamotten und elektrisierten Longboards reihen sich am Rande des Campus die Armen und Zurückgelassenen der Gesellschaft aneinander. Berkeley an sich hat ein großes Problem mit Obdachlosen, welchem man mit einer eigenen Polizei für den Campus und groß angelegter Überwachung durch Kameras zu begegnen versucht. Für mich als Deutscher unvorstellbar! Anstatt sich mit den strukturellen Problemen auseinanderzusetzen, wird ein Gefühl von Sicherheit durch die “Guarded Community” um den Campus erzeugt. Zu den strukturellen Problemen gehört dabei besonders die unterschwellig noch bestehende Rassentrennung: Die meisten Obdachlosen sind schwarz, die meisten Putzfrauen Hispanics. An den groß zelebrierten “Game Days” der College Football Mannschaft feiern die überwiegend weißen Fraternity-Brüder, währenddessen die schwarzen Security-Angestellten randalierende Besoffene davon abhalten in den Vorgarten der Verbindungshäuser einzudringen.

Erholsam sind deswegen besonders die Wochenenden, wo man oft genügend Zeit hat, um Kalifornien besser kennenzulernen. Mit Leihwagen oder Flugzeug sind Ziele wie Yosemite Nationalpark, Napa Valley, Los Angeles, Las Vegas und Mexiko in bezahlbarer Reichweite. Gepaart mit der Gastfreundlichkeit der Amerikaner fühlt man sich so doch sehr gut in diesem Land der Gegensätze aufgehoben.

Alles in allem ist es schwer rational die aktuellen Erfahrungen zu verarbeiten und zu beurteilen. Am Ende bleibt deswegen die Hoffnung, dass man nach dem Sog der Berkeley-Bubble nicht enttäuscht in die vertraute, jedoch monotone Heimat der Zeppelin Universität zurückkehrt.

 

Rubrik 'Tischgespräche'

Wie verdauen verschiedene Kulturen die gesellschaftlichen Geschehnisse auf der Welt? ZUler im Ausland erzählen in unserer Serie von Erfahrungen, die sie am Mittagstisch gesammelt haben. Jan und Johanna haben für uns aus Berkeley berichtet.