Suffragetten und Kritiker – eine Rezension

Wer nach actionreicher und leichter Unterhaltung sucht, ist hier falsch. Und das ist gut so. Kritisiert wird Suffragette von allen Seiten – zu langweilig, zu klischeehaft und, ein intelligenter Kommentar von amerikanischer Seite, zu wenig farbige Schauspielerinnen in der historisch korrekten Darstellung der bürgerlichen Mittelschicht. Nachdem wir nun fast ein halbes Jahr auf den Filmstart in Deutschland warten durften, werden grundsätzliche Aussagen des Werkes von harschen Kritiken übergangen. Dabei sind sie heute noch so relevant wie vor 100 Jahren.

Für den kurzen Überblick (die typische Inhaltsangabe und Filmkritik soll nicht mein Anliegen sein): London, 1912. Die Wäscherin Maud gerät über ihre Kolleginnen und angetrieben von der Repression durch Ehemann und Vorarbeiter immer mehr in den Kreis der Suffragettenbewegung. Zuerst steht sie den Taten der für ihr Wahlrecht kämpfenden Frauen eher skeptisch gegenüber, bis sie schließlich Zeuge und Teil der frühfeministischen Aktionen wird. Zugegeben, klingt wirklich sehr klischeehaft, doch hat uns nicht auch ein Jahr zuvor bereits Imitation Game gezeigt, dass ein britischer Film durchaus in der Lage ist, seinem Anliegen trotz einiger historischer Unkorrektheiten auf eine grandiose Art Gesicht zu verleihen? Bezeichnenderweise wird durch den Komponisten Alexandre Desplat, der bereits bei Imitation Game mitwirkte, ein Teil des Biopic-Flairs an Suffragette weitergegeben. Für die meisten anderen Filmelemente waren jedoch Frauen zuständig: Sarah Gavron (Brick Lane) führte Regie, Abi Morgan (Die eiserne Lady) war für das Skript verantwortlich und auch produziert wurde der Film von zwei Frauen. Nicht zu vergessen die grandiose Besetzung durch Carey Mulligan (Der große Gatsby) in der Hauptrolle als junge Mutter, Ehefrau und Arbeiterin, der allzu oft übergangenen Helena Bonham Carter (Sweeney Todd) als überzeugter Suffragette und Meryl Streep (Die eiserne Lady), die als legendäre Wortführerin Emmeline Pankhurst einen kurzen Aufrtritt hinlegt.

Gründe für Unzufriedenheit bei den Kritikern sind Kleinigkeiten wie der deutsche Untertitel “Taten statt Worte”, der augenscheinlich mit der Tatsache konfligiert, dass der Film mit einem kurzen Text endet, ein zu geringer Fokus auf Meryl Streep (seien wir ehrlich: wer Emmeline Pankhurst war hat zuvor die wenigsten interessiert), zu wenig Action und eine zu schnelle und klassische Handlungsspanne.
Danke für die Auseinandersetzung. Generell war der britische Film trotz seiner hervorragenden Besetzung kein Fall für das große Kino. Obwohl der Spannungsbogen klarer und erfolgreicher aufgebaut wird als im oscarnominierten Danish Girl, ein Film der ohne Zweifel ebenfalls eine dieser Auszeichnungen verdient hat und nicht zuletzt durch die Kompositionen Alexandre Desplats zum gleichen Genre zählt, scheinen mit Steinen werfende Frauen doch nicht aufregend genug zu sein, um in das reguläre Kinoprogramm aufgenommen zu werden. Doch gerade das Ringen der Hauptperson zwischen der Bewahrung ihres normalen und gesicherten Lebens und den neu aufkeimenden Überzeugungen, welche jedoch nach dem Gesetz dazu führen könnten, dass sie all dies verliert, geben dem Werk, nicht zuletzt durch Carey Mulligans Darstellung, seine innere Kraft. Auch der Fokus auf die weiblichen Charaktere – und es werden wirklich nicht alle Männer stereotypisiert – ist bei einer Branche, in der der Anteil weiblicher Sprechrollen in den vergangenen zehn Jahren bei etwa dreißig Prozent lag wohl zu verschmerzen.

Denn trotz all der harschen Kritik stößt uns Suffragette auf ein Themenfeld, das immer noch aktuell und wichtig ist. Heute vielleicht wichtiger denn je. Wir bilden uns ein, unsere Gesellschaft soweit „zivilisiert“ zu haben, dass wir jetzt nur noch die gleichgeschlechtliche Ehe durchsetzen müssen, in unseren Gesetzen ein bisschen gendern und die Frauenquote wird Lohnunterschiede früher oder später in Wohlgefallen auflösen. Leider kann es so nicht sein. Ich weiß nicht ob es ein Ansatz sein kann, sexistische Werbung zu verbieten, dann definiere mir doch bitte jemand Sexismus. Woran erkenne ich Unterdrückung und Benachteiligung, wann weiß ich, dass dies aufgrund meines Geschlechtes geschieht?

Vor über einhundert Jahren wollten diese Frauen etwas bewegen und das ohne die Möglichkeiten, welche uns heute offenstehen. Sie forderten nicht das generelle Abschaffen von Höflichkeitsgesten, sie wollten noch nicht einmal moralische Debatten über Abtreibung führen. Sie wollten selbst für ihre Kinder sorgen, den Besitz behalten, den sie in eine Ehe brachten und sie wollten das Recht, welches durch demokratische Gleichheit gesetzmäßig fundiert ist und den Suffragetten zu ihrem Namen verhalf – sie wollten wählen. Nun dürfen wir wählen und arbeiten und müssen nicht heiraten. Männer haben es manchmal sogar schwierig ihr Kind zu sehen. Wir haben sogar eine Frauenquote, wie auch immer diese uns helfen mag. Doch irgendetwas ist da immer noch. Niemand verlangt, dass Männer Kinder bekommen sollten oder Frauen eben nicht mehr. Auf der Basis biologischer Unterschiede Gleichberechtigung erreichen zu wollen wäre absurd. Dennoch möchte ich bei einem Bewerbungsgespräch nicht danach beurteilt werden, ob ich irgendwann einmal in Mutterzeit gehen könnte oder ob ich die männlichen Kollegen ablenke. Ich möchte nach meinen Leistungen, meinem Charakter und meiner Intelligenz beurteilt werden. Und ich stelle hier einfach mal die These auf, dass andere Menschen das auch wollen.

Doch wenn ich nach diesem Recht frage, werde ich als „Feministin“ ebenso schnell verlacht wie jemand, für den der Konsum von Gluten oder Milcheiweiß schwerwiegende gesundheitliche Folgen hat, für seine „Modekrankheit“. Insgeheim bezeichne ich mich daher schon seit längerer Zeit eher als Suffragette. Die Frauen damals wollten gehört werden. Glücklicherweise müssen wir dazu heute nicht mehr zu gewalttätigeren Methoden greifen, ein Weg, welcher damals als letztes Mittel empfunden wurde. Doch auch ich möchte, dass man mir zuhört, wenn ich etwas zu sagen habe, ich möchte, dass ich wählen kann, was ich mit meinem Leben anstelle. Und das egal ob ich Mann oder Frau bin, egal ob ich aus West oder Ost komme.

Am Ende des Filmes wird uns gezeigt, wann wo auf der Welt das Frauenwahlrecht eingeführt wurde. Diese erschreckend kurze Liste gilt es zu verlängern. Nicht durch Repressionen der ach so überlegenen westlichen Welt, die selbst einmal erkennen müssen, was Gleichheit denn eigentlich ist. Nein, wir haben heute Möglichkeiten und internationale Foren, um diesen Gedanken zu verbreiten. Auch wenn nicht jeder von uns wie Emma Watson vor der UN sprechen kann, so können wir uns doch wenigstens einmal in unserem behüteten Leben mit diesem jahrhundertealten Kampf auseinandersetzen, auch wenn es nur auf der Leinwand ist.

Wer Lust hat, genau das zu tun, oder auch einfach nur britische Filme und Schauspieler liebt, hat in den nächsten Tagen die Chance, Suffragette zu folgenden Zeiten im Studio17 zu sehen, am Samstag sogar mit anschließender Podiumsdiskussion zum Thema ‘Frauen gestern, heute, morgen’:

Donnerstag, 21.04. 20:00

Samstag, 23.04. 18:00

Sonntag, 24.04. & Montag, 25.04. 20:00 (OmU)

Interesse geweckt?

Hier gibt's weitere Infos zu den Vorführungen im studio17.