Amsterdam, Brüssel, Paris, Köln – die kulturellen und politischen Metropolen Mitteleuropas sind sicher einen Besuch wert oder versprechen ein aufregendes Leben für ein oder mehrere Semester. Ziemlich in deren Mitte befindet sich das dagegen verschlafen wirkende Maastricht. Mit etwa 19 000 Studenten ist die Universität doch ein wenig größer, als das, was man am Bodensee gewohnt ist. Aber warum sollte es jemanden überhaupt hierher verschlagen? Die Stadt liegt ja kaum im Ausland.
Dieser Artikel ist kein Studienratgeber. Auseinandersetzungen über zu hohe Wohnungspreise, zu viele oder zu wenig deutsche Studenten, oder ob es hier möglich ist, Niederländisch zu lernen, fanden auf anderen Plattformen zu Genüge statt. Es soll auch nicht um die etwas gewöhnungsbedürftige, aber durchaus sinnvolle Aufteilung des Semesters gehen, oder das PBL-System. Über diese Themen, den interdisziplinären Ansatz der Maastricht Universität, den Royals Cup und genügend andere Themen lässt sich im Internet oder in einem persönlichen Gespräch deutlich mehr erfahren. Stattdessen möchte ich eine Stadt vorstellen, die, wenn überhaupt, nur durch den Namen eines Vertrages bekannt ist, die einen Besuch jedoch durchaus lohnt und letztendlich vielleicht niederländischer ist als Amsterdam.
Zu Beginn soll geklärt werden, dass Maastricht nicht Holland ist. Damit soll nicht ausschließlich die geografische Differenzierung gemeint sein (es liegt in Limburg, wie der Käse). Nein, Maastricht ist schlicht und einfach nicht das Holland der Tulpen, Holzschuhe und des Goudas, zu dem auch andere Regionen undifferenziert stereotypisiert werden. Selbstverständlich gibt es hier niederländische Spezialitäten im Super- und auf dem Wochenmarkt. Ich erlebe Maastricht jedoch als junge und lebendige Stadt, deren durch die Universität geschaffene dynamische Atmosphäre im Gegensatz zur Jahrhunderte alten Architektur steht. Und dennoch fügt sich das Ganze zu einem harmonischen Bild zusammen.
Und außerdem: Maastricht ist grün. Zumindest ab Mitte April, davor steht alles in Blüten, die sich fast besser bewundern lassen, als das Tulpenmeer zwischen den Menschenmassen des bekannten Keukenhofs. In der Innenstadt trifft die alte Stadtmauer auf neue Universitätsgebäude und weite Parkanlagen entlang verschiedener Seitenläufe des großen Flusses. Was Maastricht von vielen deutschen Städten unterscheidet, ist, dass sich der gepflegte und historische Stadtkern auch über das Zentrum hinauserstreckt. Tatsächlich erinnern einige Straßen an Londoner Vororte. Und auch die „Faculty of Arts and Social Sciences” erinnert an Harry Potter. Durch einen schmalen Durchgang mit Brunnen und einigen Bäumen direkt in der Innenstadt gelangt man in eine Reihe von Gebäuden in einen verschachtelten Innenhof, in dem sich ein ausgezeichnetes studentisches Café befindet.
Der ultimative Treffpunkt ist der Vrijthof, nicht etwa wegen der außerordentlichen Qualität des angrenzenden McDonald’s oder der überteuerten Touristengaststätten. Schlicht und einfach, weil es der zentralste Ort der Stadt ist (für Geisteswissenschaftler ist die andere Seite des Flusses praktisch nicht existent) und jeder ihn findet. Sehr hilfreich ist dabei die Ausschilderung und die Tatsache, dass fast jeder (wenn es nicht gerade ein Student ist) neben der Muttersprache Englisch, Deutsch und Französisch zu sprechen scheint. Auf dem Vrijthof spielt André Rieu sein Sommerkonzert und er bildet das Zentrum der Festlichkeiten zum Karneval und zum Koningsdag (der Geburtstag des Königs, es geht im Wesentlichen um Oranje und Bier) am 27. April. Kleiner Tipp für Besserwisser: Es heißt, der rote Kirchturm, der an den Platz grenzt und einer der ältesten der Niederlande ist, erhielt seine wetterbeständige und tiefrote Farbe durch das Blut von Rindern.
Bleiben wir beim Thema Kirchen. Besonders die großen, Kathedralen ähnlichen, Gotteshäuser prägen das Stadtbild. Diese sind auch ausgesprochen schön anzusehen. Doch bis auf die Basiliek Onze Liewe Vrouwen hat die religiöse Bedeutung wenig damit zu tun. Das im letzten Absatz genannte Beispiel mittelalterlicher Handwerkskunst muss als Vorlesungsgebäude herhalten, andere Basilika als Labor oder als Turnhalle. Ein absolutes Muss bei jedem Besuch in Maastricht ist jedoch die alte Klosterkirche Dominikanen. In dieser befindet sich heute ein ausgezeichneter Buchladen mit einer Sammlung englischer und fremdsprachiger Werke, neuer und gebrauchter Bücher, sowie reichlich Auswahl an Musik und Filmen. Alternativ kann man im Café entspannen und beobachten, wie sich die Farben der Bleiglasfenster auf den Buchrücken spiegeln.
Wer wissen möchte, woher der Sandstein dieser Gebäude stammt oder einfach die Minen von Moria nacherleben möchte, sollte den Höhlen im Pietersberg, dem höchsten Punkt Limburgs, einen Besuch abstatten. Viel mehr als dass sie beeindruckend und einzigartig sind, soll an dieser Stelle nicht verraten werden.
Ein anderer zentraler Platz ist der eigentliche Marktplatz am Rathaus. Dort befindet sich nicht nur das Reitz, das älteste ‚Frietes‘restaurant der Niederlande und zahlreiche andere gute und etwas preiswertere Orte zum Einkehren. Vor dem Besuch sollte man sich jedoch über die Bedeutung niederländischer Pommessaucen informieren, diese sind etwas abwechslungsreicher als rot-weiß. Auf dem Markt findet zweimal wöchentlich, nun ja, ein Markt statt. 2017 wiederum als bester Markt der Niederlande ausgezeichnet, lohnt es sich, am Mittwoch oder am Freitag vorbeizuschauen. Zusätzlich zum Mittwochsmarkt, an dem zu günstigen Preisen Obst und Gemüse, Käse, Blumen und Stoffe angeboten werden, gibt es freitags auch eine große Auswahl an frischem Fisch. Zwischen diesen beiden Marktplätzen gibt es zahlreiche verwinkelte Straßen, die ein unerwartetes Einkaufsvergnügen für alle Geldbeutel bieten. Besonders die vier Vintageläden können ausgesprochen einladend sein. Eine Art Sehenswürdigkeit sind auch das Pathé und das gegenüberliegende Programmkino. Filme in Originalsprache sind in den Niederlanden garantiert und für bis zu 6,50 € sogar erschwinglich.
Maastricht ist eine ausgesprochen lebenswerte Stadt, und auf jeden Fall einen Besuch wert. Wem all dies nicht genügt, für den sind Amsterdam und Brüssel nur zwei Stunden Fahrt entfernt, und Belgien sogar nur einen Schritt.