„Streit liegt in der DNA der SPD“

Er ist ein Kind der Bodenseeregion, ZU-Alumnus und betreibt Politik aus Leidenschaft: Leon Hahn. Im vergangenen Sommer trat der 26-Jährige als SPD-Bundestagskandidat im Bodenseekreis an. Zuletzt war er als Juso-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg stark in die NoGroKo-Kampagne der Jusos eingebunden. Emma und Jakob haben Leon am vergangenen Freitag, zwei Tage vor der Ergebnisverkündung der SPD-Mitgliederbefragung, für ein Gespräch getroffen. Die Entwicklung der ZU, die Lage der SPD und der Verlauf der Juso-Kampagne – es gab viele Themen.

Futur drei: Hallo Leon, Du hast hier an der ZU CME studiert und Anfang 2017 deinen Abschluss gemacht…

Leon: …zu spät eigentlich (lacht).

Futur drei: Warum?

Leon: Weil ich, bedingt durch mein politisches Engagement, manchmal weniger studiert, und dafür mehr Politik gemacht habe. Und das hat sich nicht immer positiv auf mein Studium ausgewirkt.

Futur drei: In der Studentenschaft gab es zuletzt immer wieder eine Debatte darüber, inwiefern sich die ZU verändert hat. Wenn Du jetzt mit etwas Abstand durch die ZU läufst, würdest Du das unterschreiben?

Leon: Klar hat sich die Uni verändert. Wir hatten früher den SMH als Hauptcampus, Stephan Jansen war Präsident. Ich glaube aber, dass diese Veränderung nicht schlimm ist. Im Gegenteil, ich verstehe manchmal nicht, warum man in eine Art Endzeitstimmung verfällt und die neue Generation schlecht redet. Nur weil diese möglicherweise etwas anders tickt als die eigene. Ich glaube, die Uni verändert sich ständig. Solange die Studenten sich darüber bewusst sind, dass sie hier etwas sehr Besonderes vorfinden, wird die ZU auch weiterhin eine herausragende Uni bleiben.

Futur drei: Gibt es aus Alumni-Sicht etwas, das sich konkret verändert hat?

Leon: Ich glaube, die Kommunikation hat sich verändert. Ich habe den Eindruck, dass früher alle mehr miteinander gesprochen haben. Der Austausch in den verschiedenen Ebenen war offener. Ich möchte keinesfalls einseitige Schuldzuweisungen anstellen, aber ich habe auch das Gefühl, dass sich die Studierenden teilweise weniger dafür interessieren. Das kann man beispielsweise daran sehen, dass öffentliche Senatssitzungen weniger besucht werden. Zudem habe ich das Gefühl, dass die „Kultur des Ermöglichens“ an mancher Stelle eingeschränkt wurde. Da ist die Uni aber vielleicht auch ein wenig Opfer ihrer eigenen Ressourcen geworden. Aber auch in diesem Fall liegt es am Ende an den Studierenden, daraus etwas Positives zu machen.

Futur drei: Du bist mit 18 bist in die SPD eingetreten. Mittlerweile bist Du nicht nur Juso-Landesvorsitzender, sondern warst auch Bundestagskandidat im Bodenseekreis. Was fasziniert Dich so an der Politik?

Leon: Mich fasziniert, dass man viel mehr bewegen kann, als man für möglich hält. Ob es eine humanere Flüchtlingspolitik oder die Abschaffung der Studiengebühren ist, man merkt, dass es einen Unterschied macht, wenn man sich als Jusos oder SPD für etwas einsetzt. Parteien sind ein wesentlicher Teil der politischen Meinungsbildung. Und ich habe es immer auch als eine Verpflichtung angesehen, mich einzubringen und einen Beitrag in unserer Gesellschaft zu leisten.

Futur drei: Im Vorfeld der Mitgliederabstimmung habt ihr als Jusos eine Kampagne gegen eine Neuauflage der großen Koalition geführt. Wie stellt man solch eine Kampagne auf die Beine?

Leon: Man brauch natürlich zunächst einmal einen Anlass. Die Jusos haben ein Stück weit die Haltung kanalisiert, dass eine große Koalition auf Dauer nicht gut für das Land und die SPD ist. Und die Haltung haben die Jusos nicht exklusiv, auch andere in der Partei hatten große Bedenken. Wir haben in den letzten Jahren unter Angela Merkel eine eingeschlafene Politik erlebt. Es gab keinen richtigen politischen Diskurs mehr. Durch asymmetrische Mobilisierung hat die Union versucht, die Menschen einzuschläfern. Ich glaube, dass es auch deshalb einen so großen Rückhalt für die Kampagne der Jusos gab, weil die Menschen Lust auf eine politische Kontroverse und Debatte haben. Die Stimmung der letzten Monate hat sich über die letzten 12 Jahre hinweg entwickelt. Und auf diesem Nährboden konnten wir Jusos eine Kampagne starten.

Futur drei: Macht es sich die SPD nicht ein wenig zu einfach, wenn sie einfach nur sagt, dass sich die Union der Debatte entzieht?

Leon: Das stimmt. Die SPD hat vielleicht zu oft den Eindruck vermittelt, die anderen seien schuld. Und das ist nicht so. Wir haben selber die Verantwortung, die Erneuerung unserer Partei, die bislang eher eine Worthülse war, auch wirklich umzusetzen. Wir müssen programmatisch große Fragen angehen, vor denen wir uns lange gedrückt haben. Dazu zählt der Umgang mit Flüchtlingen, eine Arbeitsmarktreform und die langfristige Stabilisierung der Rente. Das eine zu tun, heißt aber auch, das andere nicht zu lassen. Ich kann trotzdem kritisieren, dass Angela Merkel in den letzten Jahren versucht hat, den politischen Diskurs auf null zu fahren. Das halte ich für höchstverwerflich. Auf Dauer Polarisierung zu vermeiden ist für die Demokratie nicht gut und ist übrigens auch nicht die Tradition, die in der CDU unter Konrad Adenauer und anderen bestand.

Futur drei: Was sind Deiner Meinung nach heutzutage die größten Hürden und Herausforderungen in der politischen Kommunikation von Parteien?

Leon: Die Zeiten, in der wir über das Amtsblatt unsere Beschlüsse bekannt machen konnten, sind vorbei. Die Zeiten, in der die SPD oder Parteien im Allgemeinen die Bevölkerung abgebildet haben, sind auch ein Stück weit vorbei. Bestimmte Teile der Gesellschaft haben sich vom politischen System abgewendet. Wir haben durch die Digitalisierung eine komplett neue Öffentlichkeitsform, die viel schnelllebiger ist, die auch viel mehr Zeit einfordert. Daran müssen wir uns als Parteien anpassen. Gleichzeitig muss die gesamte politische Kommunikation darauf ausgelegt sein, den Binnenfokus zu überwinden. Diskussionen sollten nicht mehr in irgendwelchen abgeschlossenen Grundsatzkommissionen über Spiegelstriche geführt werden, sondern wir müssen uns fragen: Wie können wir Diskussionen in die Zivilgesellschaft tragen? Parteien, die sich nur mit sich selber beschäftigen, finden in der Öffentlichkeit zurecht nicht statt.

Futur drei: Bei der SPD hatte man von außen betrachtet zuletzt häufiger das Gefühl, dass selbst große Erfolge im Nachhinein öffentlich schlecht geredet werden. Überspitzt gefragt: Warum hat die SPD ein gewisses Talent zur „Selbstzerfleischung“?

Leon: Weil das in der DNA der SPD liegt. Die SPD ist eine Partei, die streitet. Und zwar deshalb, weil die SPD die Partei ist, die nach vorne schaut. Dagegen ist die CDU beispielsweise darauf bedacht, das Bestehende zu bewahren. Das ist Teil der konservativen DNA. Den Status quo zu behalten macht es einfacher, Erfolge zu vermitteln. Die SPD muss immer streiten und um die besten Konzepte ringen. Das macht uns aus. Die wesentliche Kritik der CDU am Koalitionsvertrag war die Verteilung der Ressorts. Das ist ein inhaltsloser Kanzlerwahlverein, nichts anderes. Die SPD hat einen Hang zur Selbstzerfleischung. Das macht es nicht wirklich besser. Auch wir müssen darin besser werden, eigene Erfolge besser zu verkaufen. Aber wenn die SPD keine Partei mehr ist, die gut streitet, dann bräuchte uns keiner mehr.

Futur drei: Zum Abschluss: Wo siehst Du dich selbst in zehn Jahren? Wo möchtest Du hin?

 Leon: Ich plane kein Leben als Berufspolitiker. Mir macht Politik ungemein Spaß. Ich werde immer ein politischer Mensch bleiben und mich einbringen. Wo ich in zehn Jahren stehen werde, kann ich nicht sagen. Ansonsten hoffe ich, dass ich ein glückliches Leben mit meiner Familie führe und in der Lage bin, ab und an nicht über Politik reden zu müssen (lacht).

Futur drei: Leon, vielen Dank für das Gespräch!