Kürzlich wurde ich online auf das Haus der elektronischen Künste in Basel aufmerksam. Die Einrichtung, die seit Ende des letzten Jahres ihr neues Zuhause im modernen „Campus der Künste“ gefunden hat, hatte schnell meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Mit großer Neugier und einem lediglich groben Bild davon im Kopf, welche Möglichkeiten ein Künstler dort mit seinem Digital-Werkzeug haben könnte, ließ ich mich schließlich vom allumfassenden, stolzen Titel „Die ungerahmte Welt – Virtuelle Realität als künstlerisches Medium für das 21. Jahrhundert“ zu einem Besuch überzeugen.
Mit der virtuellen Realität nimmt sich das Haus der elektronischen Künste einer hochaktuellen Thematik an. Seit geraumer Zeit experimentieren zwar bereits Spielehersteller mit den Möglichkeiten moderner optischer Technologien, jedoch finden sich entsprechende Annäherungsversuche im künstlerischen Bereich nur sehr vereinzelt. Nun gibt es eine internationale Gruppenausstellung, die sich ganz dem Thema widmet und ausgewählte künstlerische Anwendungsmöglichkeiten veranschaulicht. Der Schritt weg von der Betrachtung einer zweidimensionalen Fläche hin zum dreidimensionalen Raum bietet dabei ein gigantisches ästhetisches Potenzial, denn Künstler sehen sich nicht mehr mit begrenzten bearbeitbaren Flächen konfrontiert, sondern können sprichwörtlich neue Welten erschaffen. Gleichzeitig hat der Betrachter die Chance, die reale Welt für kurze Zeit zu verlassen, selbst Teil einer rundum neu geschaffenen Realität zu werden, die gegebenenfalls sogar individuelle Gestaltung zulässt. Ein paar der künstlerischen Werke möchte ich hier gerne kurz umreißen.
HanaHana (2016)
Gemeinhin gilt der Sandkasten als Inbegriff der freien Gestaltung. In diesen entführen die Künstler Mélodie Mousset & Naë Baron mit ihrer Virtual Reality-Arbeit „HanaHana“. Angelehnt an die „HanaHana-Frucht“ aus der Fantasy-Anime-Serie „One Piece”, die es ermöglicht, eigene Gliedmaßen in seinem Umfeld zu replizieren, greifen Mousset und Naë spielerisch den Aspekt des Wachstums auf. Gleichzeitig erinnert die Installation jedoch auch an das Schaffen einer persönlichen Replikation, zum Beispiel im Netz. Während man nämlich, mit der VR-Brille und einem Remote-Controller ausgestattet, neue Welten schafft, können andere Besucher im Nebenraum per Leinwand das Schaffen verfolgen – fast wie zu Hause vor dem eigenen Bildschirm.
Just A Nose (2016)
Ein Gemälde umherwirbeln und zerknittern? Die Installation der Amerikanerin Rachel Rossin „Just A Nose“ macht genau das möglich. Drei futuristische Werke zieren den Bereich, in dem man sich die VR-Brille aufsetzen kann. Auf dem offenen Meer bewegt sich mal unterhalb, mal oberhalb der Meeresoberfläche ein länglicher Gegenstand, ähnlich dem Säbel eines Säbelfischs, der sich durch Kopfbewegungen wie eine eigene Nase steuern lässt. Wie ein Tuch flattert eines der Kunstwerke in Reichweite über dem Wasser und mit etwas Geschick kann es mit der Nase aufgegabelt und beliebig bewegt werden. Das gleichmäßige Rauschen und die Bewegungen der Wogen lassen die gesamte Szene dabei recht real wirken. Thema ist hier die Verschmelzung der realen sowie der virtuellen Umgebung, wie sie uns häufig auch im Alltag bekannt ist. Dabei dienen Objekte, wie das Gemälde oder das Meer, als eine Art verbindende Brücke.
Meet in the Corner (2016)
Weniger behaglich geht es in Rinden Johnsons Werk „Meet in the Corner“ zu. Das liegt zunächst einmal daran, dass mehr Vorbereitung gefordert ist. Zur Grundausstattung gehören lediglich ein paar Stühle, Kopfhörer und eine brillenartige Karton-Apparatur. Nachdem ein bestimmtes YouTube-Video auf dem eigenen Smartphone gefunden wurde, wird die Apparatur mit eingefügtem Smartphone zur persönlichen Virtual Reality-Brille. Auch die Corner, in die eingeladen wird, lädt nicht wirklich zum Verweilen ein. In einem befremdlich sterilen rechteckigen Raum ist eine Stimme zu hören, die über Themen wie Gewalt, Rassismus, oder auch Sex und Liebe spricht und dazwischen immer wieder persönliche Gedichte vorträgt, während an den Wänden eine Popcorn-Maschine, Feuerwerke und weitere alltägliche Objekte zu sehen sind – die allesamt eigentlich überhaupt nichts mit dem Gesagten zu tun haben. Die entstehende Text-Bild-Schere schafft eine verwirrende aber gleichzeitig auch meditative neue Realität, die zum Nachdenken über Kommunikationsformen neuer Medien sowie Verhältnisse zwischen Texten und Bildern anregt. Johnson selbst untersucht mit Hilfe seines Werkes auch die Wahrnehmung des eigenen Körpers im realen und virtuellen Raum.
Eine Betrachtung der Kunstwerke im Ausstellungskontext ist auf jeden Fall zu empfehlen, weshalb ich an dieser Stelle nicht mehr auf konkrete Inhalte eingehen möchte. Zwar unter spürbarem, popkulturellem Einfluss, aber dennoch erstaunlich unideologisch, lädt die Ausstellung „Die ungerahmte Welt“ zum Staunen und Probieren ein. Grundsätzlich darf dabei natürlich nicht vergessen werden, dass es sich um eine Pioniers-Arbeit handelt, die an manchen Stellen noch holprig oder unfertig wirkt. Insofern sind auch kritische Stimmen, wie die von Hanno Rauterberg in der ZEIT, durchaus berechtigt. Er stellt beispielsweise fest, dass eine differenzierte Reflexion unter der VR-Brille in spiegelloser Sphäre nicht wirklich zu haben ist und es Künstlern vereinzelt schwerzufallen scheint, „ihren Projekten eine solche Metaebene einzuziehen“ (DIE ZEIT, Nr. 5/2017). Vor diesem Hintergrund halte ich abschließend fest: Die Ausstellung regt in ihren Facetten zum Nachdenken über die Vielzahl von Möglichkeiten an, die sich für die eigene Kunsterfahrung, wie auch den Austausch zwischen Besuchern, Kunstschaffenden und Kunstwerk in unterschiedlichsten Konstellationen eröffnen. Technologien und Kommunikationsformen verändern sich und prägen unseren Zeitgeist maßgeblich. Es wird folglich höchste Zeit, den bisherigen Rahmen der Kunst zu sprengen – und ein entscheidender erster kleiner Schritt könnte hier gemacht werden. Als Kunstform, die mitunter auf die Partizipation des Betrachters angewiesen ist, werden so auch neue Zugänge zu verschiedensten gesellschaftlichen Themenfeldern geschaffen.