Spotlight: Katholische Ehe im 21. Jahrhundert

Bis dass der Tod uns scheidet?!

Anlässlich der Bischofssynode im Oktober wird verstärkt über den pastoralen Umgang mit Geschiedenen-Wiederverheirateten diskutiert. Zwar kann die Synode keine lehrverändernden Beschlüsse fassen, wie es von vielen Medien immer wieder fälschlich gefordert wird, aber der Umgang mit diesen Menschen kann durchaus an den so oft beschworenen Zeitgeist angepasst werden.

Im Vaterunser, dem Gebet, dass Christus den Menschen gelehrt hat, heißt es: „…und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“.

In einer solch emotionalen Debatte wie in der Debatte der Geschiedenen-Wiederverheirateten von Schuld, Sünde und Fehlern zu reden, ist für viele Menschen unerträglich und wird vielen auch nicht gerecht. Wie viele Ehen scheitern ohne das eigene Zutun? Wie viele Ehen zerbrechen aufgrund von Alkoholismus oder Gewalt? Müsste nicht auch die Kirche, würde sie sich an ihr eigenes Gebet halten, gerade diesen gescheiterten Menschen ihre Sünden vergeben? Denn wie viele Menschen der gescheiterten Ehe wären daran interessiert, auch ein zweites Mal kirchlich zu heiraten? Im Jahre 2013 wurden 740 katholische Ehen in Deutschland annulliert. Klaus Lüdicke, emeritierter Professor für Kirchenrecht in Münster, geht aber von 41.000 Katholiken aus, die Interesse hätten, nach einer Scheidung wieder katholisch zu heiraten. 16.500 Ehen hätten in Deutschland aufgrund der geänderten Rechtsgrundlage Chance auf eine Annullierung und bereits Geschiedene hätten erneut die Möglichkeit zu heiraten. Geht man utopischerweise davon aus, dass beide Partner in diesen Ehen erneut katholisch heiraten möchten, sind das jedoch nur 33 000 Menschen. Nun gehen nicht alle diese 16.500 Ehepaare den Weg zu einem kirchlichen Gericht. Scham, aufkommende Kosten und Verbitterung darüber, dass man sich mit der verurteilenden Organisation Kirche noch weiter befassen muss, sind oftmals Gründe diesen Weg zu unterlassen. Viele wollen aber auch einfach nicht, dass der bisherige Lebensabschnitt – möge er auch noch so belastend gewesen sein – für nichtig erklärt wird. Denn viele dieser Menschen haben Kinder, Erinnerungen und waren vielleicht auch einmal glücklich mit ihrem Partner, den sie jetzt verlassen. Eine Erinnerung mit einem anderen Menschen kann nicht annulliert werden.

Oft wünsche ich mir eine individuellere Sichtweise auf den Menschen von der katholischen Kirche. Sie sollten die Zeit haben, sich die einzelne und ganz besondere Geschichte eines Gegenübers in Ruhe anzuhören und sich dann vorsichtig ein Urteil zu erlauben. Auch ein Priester – oder gerade dieser – kann aus seiner zölibatären Lebensweise heraus einen ganz anderen Blickwinkel bieten. Es braucht nicht immer jemanden, der dasselbe schon durchgemacht hat. Manchmal braucht es nur einen Menschen, der nicht urteilt, bevor er nicht gehört hat. Und sicher haben alle sich scheidende Paare ihren Weg mit der festen Vorstellung begonnen, sich nie scheiden zu lassen. All dies muss berücksichtigt werden.

Bereits vor einem Jahr mahnte Papst Franziskus, dass viele Ehen jedoch aufgrund von einen mangelnden Bezug zum katholischen Glauben grundsätzlich ungültig seien. Die katholische Presseagentur schrieb 2014: „Bei Ehenichtigkeitsverfahren sollte nach Ansicht von Papst Franziskus künftig verstärkt geprüft werden, ob sich die betreffenden Paare der Bedeutung dieses Sakraments zum Zeitpunkt der Eheschließung voll bewusst waren.“ Aber was bedeutet diese Sichtweise? Sie stellt nicht nur eine Kritik am mittlerweile reformierten Annullierungsverfahren dar, sondern stellt auch neue Anforderungen an die Menschen, die den Wunsch verspüren, eine kirchliche Ehe einzugehen. Das Verständnis einer Ehe muss hierbei neu in den Vordergrund rücken, unter Umständen auch frisch definiert und das Sakrament der Ehe sollte nicht mehr ganz so leichtfertig gespendet werden.

Was bedeutet dies konkret? Ein katholischer Laie, der sich zum Priester weihen lassen möchte, verbringt 5-6 Jahre seines Lebens damit, Theologie zu studieren und sich im Priesterseminar ausbilden zu lassen. Anschließend spricht er mindestens drei Sprachen und hat einen langen Weg der Meditation und der Reflektion hinter sich. Manche werden erst durch ihr Theologiestudium zum Atheisten, aber besser vor der Priesterweihe, als danach. Denn auch das Sakrament der Priesterweihe ist nach der Spendung nicht mehr aufhebbar.

Ein katholisches Ehepaar, welches sich nach einer gewissen Zeit trauen lassen will, hat in der Regel drei bis vier Termine beim örtlichen Pfarrer, bespricht Formalitäten und wird dann getraut. Auch dieses Sakrament ist nach der Trauung nicht rückgängig zu machen. Daraus folgt, dass ein Priester sich über mehrere Jahre auf seinen Sakramentenempfang vorbereitet, während Ehepaare bereits nach wenigen Sitzungen ihr Sakrament empfangen können. Auf dieser Grundlage folgerte auch Papst Franziskus, dass viele Ehen aufgrund von Glaubens- und Wissensmangel ungültig seien. Aber wer ist hier der Schuldtragende – die Kirche oder die Eheleute?

Eine lebenslange Bindung an eine Person, können sich heute immer weniger Menschen vorstellen. Zwar wird weiterhin geheiratet, aber eher unter dem Aspekt „let’s see what happens“. Der Moraltheologe Professor Eberhard Schockenhoff schrieb dazu: „Viele Menschen bezweifeln heute, ob sie tatsächlich zu einer unwiderruflichen Entscheidung fähig sind, wie sie das christliche Leitbild einer unauflöslichen Ehe vorausgesetzt. Sie begründen ihre Zweifel durch die Ansicht, wir Menschen können einander Liebe und Treue immer nur für die Gegenwart, nicht aber für unsere gesamte noch ausstehende Lebenszeit versprechen.“

Das Bewusstein über die lebenslängliche Verpflichtung, scheint  vielen in unserer heutigen Gesellschaft zu fehlen. Ist es nicht die sexuelle Basis, auf der die meisten Beziehungen – zumindest anfangs – beruhen? Das katholische Prinzip „kein Sex vor der Ehe“ hört sich deshalb vor allem in unserer Gesellschaft überzogen an. Dennoch sollte man sich den Wert, der hinter dieser Idee steckt, ins Gedächtnis rufen, wenn man bestrebt ist, zu heiraten. Denn dieser Wert meint, dass man sich kennenlernen soll – mit all seinen Macken – bevor man das Sakrament der Ehe eingeht.

„Eine Ethik der Niederlagen liegt eine falsche Vorstellung vom Gelingen des Lebens zugrunde, die spätestens dann zerbricht, wenn man die Erfahrung machen muss, dass man unverhofft selbst vom Scheitern bedroht sein kann“ schreibt Schockenhoff mit Blick auf eine normale Ehe, die auch krisenhafte Zeiten durchlaufen wird. Dieses Scheitern ist eine so fundamentale Angst, dass viele Brautleute in den Ehevorbereitungsgesprächen fragen, ob man das Eheversprechen „bis dass der Tod uns scheidet“ nicht abwandeln kann in „ich will mich immer für das Gelingen unsere Beziehung einsetzen“. Hierbei wird das totale Ausmaß der Situation klar, indem sich Menschen, die sich in diesem Zeitpunkt einander versprechen zu lieben, bereits ein mögliches Scheitern der Beziehung ins Auge fassen. Widersprüchlicher könnte eine Heirat nicht beginnen. Sie wird dadurch zu einem bloßen Lippenbekenntnis und einer rhetorischen Formel.

Wer so in eine Ehe einsteigen möchte, sollte es doch besser gleich ganz lassen. Bei einem solchen Eheverständnis ist man vielleicht bei anderen Institutionen willkommen, nicht jedoch bei den Kirchen. Wer den maßgeblichen Charakter einer katholischen Ehe nicht vollkommen verstanden hat, sollte sich vielleicht noch einige Jahre Zeit lassen um zu überlegen, ob nicht doch eine rein standesamtliche Ehe besser wäre. In diesem Sinne wäre es auch kein Fehler der zuständigen Pfarrer die potentiellen Eheleute wieder nach Hause zu schicken und die Trauung zu verweigern. Denn genau solche Fälle landen früher oder später auf dem Schreibtisch eines kirchlichen Richters, der dann eine Annullierung der Ehe einleitet, weil das Verständnis dafür nicht ausgreift genug war oder weil die Ehe keine 3 Monate gehalten hat.

Vielleicht wäre auch eine neuerliche Unterscheidung des Liebes-Begriffs notwendig, wie im griechischen Sprachgebrauch. Dort wird zwischen körperlicher, geistiger und bedingungsloser Liebe differenziert. Somit wäre die eigene Charakterisierung der Liebe unter den Paaren um ein vielfaches einfacher und die Definition und Ausschlusskriterien der Ehe wären vielleicht für den ein oder anderen verständlicher. Nur eine Teilzeit-Liebe befähigt nicht zur Ehe!