Ein kleiner Junge mit einer Briefmarkensammlung, Unruhen in Istanbul 1955 und „Stämme“ in unser heutigen Gesellschaft – was wie die Themen eines historischen Romans klingen sind Fragmente des gefüllten vergangenen Samstagnachmittags. Futur Drei hat die Veranstaltungen des CIP begleitet. Ein Rückblick.
.
Es beginnt mit einer Spielzeugpistole. Doch Herr von Uexküll möchte seinem Sohn Jakob keine Spielzeugpistole kaufen. Stattdessen bekommt er einige Briefmarken. Die daraus entstehende Sammlung ist Jahrzehnte später der finanzielle Grundstein für den „alternativen Nobelpreis“ – den „Right Livelihood Award“ und die dazugehörende Stiftung.
Selina Karlsson und Ulrika Thunström kamen mit dem Flieger aus Schweden eingeflogen und ließen ein gutes Dutzend Studenten im Workshop am Nachmittag über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Preisträgern sinnieren. Für die Stiftung ist der Preis, der vor allem finanzieller Natur ist, nur ein Teil des Aufgabenspektrums. Thunström, die als Head of Education tätig ist, berichtet auch von Personenschützern und der Hilfe beim Verlassen von gefährlichen Ländern, wenn sie über die Arbeit der Stiftung redet. Nach zweieinhalb Stunden sind vor allem Namen und Tätigkeiten der Preisträger in Erinnerung geblieben, die Teilnehmer sind ein bisschen verunsichert, was sie aus dem Workshop mitnehmen sollen. Vielleicht rückt die Podiumsdiskussion das Gelernte in ein neues Licht.
„Ob die Türkei jemals eine echte Demokratie war, ist diskussionswürdig.“ Beiläufig fast kommt dieser eindeutige Satz über die Lippen von Halil Gülbeyaz. Für ihn ist „diskussionswürdig“ eine Wortwahl der politischen Korrektheit und nicht die der eigenen Überzeugung. Gülbeyaz, der unter anderem für die ARD als freier Redakteur in der Türkei arbeitet, präsentiert an diesem Abend kein ganzheitliches Bild der aktuellen Situation in der Türkei, aber eine durch seine Überzeugungen geprägte, kurze Geschichte. Er skizziert einen Wettkampf zwischen Republikanern und Religiösen, einen diktatorischen Erdogan und eine eingeschränkte Presse.
Gülbeyaz, der selbst mit 18 Jahren nach Deutschland floh, kann seine außerhalb der Türkei gewonnene Perspektive und den damit verbundenen kritischen Blick heute vor allem in seiner Arbeit ausdrücken, wie zum Beispiel in einer eindrucksvollen Dokumentation über den kurdischen Nicht-Staat.
Ihm gegenüber sitzt Professor Thomas Hanitzsch, der Wissenschaftler. Er erläutert theoretische Modelle der Medienstruktur; dass man heute wieder von „Stämmen“ spricht, wenn man über bestimmte Menschengruppen redet prangert er an. Er spricht auch von der Skepsis der meisten Menschen den Journalisten gegenüber – und zeichnet einen ebenso negativen Geschichtsverlauf wie sein Gegenüber. So sachlich er auch darüber spricht, macht er doch deutlich, dass ihn eine grundlegende und brandaktuelle Frage beschäftigt: Wie kann es sein, dass „alternative Fakten“, „Fake News“ und Lügen in der aufgeklärten, in unserer Gesellschaft auf so fruchtbaren Boden treffen?
Leider finden die beiden Gäste im Laufe des Abends nicht nur keine Antwort, was angesichts der Komplexität an ein Wunder grenzen würde; sie finden auch keinen gemeinsamen Nenner, obwohl beide Experten auf dem Gebiet der Medienzensur sind – der eine als Betroffener, der andere als Forscher. So schafft es weder der Moderator noch eine Frage des Publikums ihre Perspektiven zu vereinen oder gar ein Streitgespräch zu entfachen. Man verlässt das Forum an diesem Abend mit vielem neuen Hintergrundwissen, aber auch dem Gefühl, dass das Potenzial nicht voll ausgeschöpft wurde.
Dieses Gefühl teilt man momentan wohl mit jungen Demokraten in der Türkei wie auch mit Social-Media-Forschern. Insofern fehlt zwar die Erleuchtung, nicht aber eine Erkenntnis.