Ein Besuch der Susan Philipsz-Ausstellung „Night and Fog“ im Kunsthaus Bregenz
Das Kunsthaus Bregenz ist als solches bereits ein Kunstwerk. Es wird von zahlreichen renommierten Künstlern als Inspiration für ihre Werke genutzt, ihre Kunstwerke und Ideen verschmelzen mit der Beschaffenheit des Bauwerks und bilden so das vielleicht größte Kunsterlebnis für den Besucher, der sich mittendrin befindet. So greift auch die Ausstellung der „Sound-Skulpturen“ der schottischen Künstlerin Susan Philipsz, die zurzeit das Kunsthaus Bregenz bespielt, die Architektur Peter Zumthors auf: Der Nebel, der das Kunsthaus und den Bodensee immer wieder umgeben, findet sich sowohl in Pilipsz Arbeit als auch in der Architektur des Gebäudes metaphorisch wieder, Lichtspiele tanzen auf der Fassade, die (von Zumthor gewollten) Risse im Boden tragen Geschichte in sich, die einen Kontrast zu der modernen, ästhetischen Schlichtheit des Gebäudes bildet – ein Widerspruch, der nach weitsichtiger Sensibilität fragt.
Elemente der Erinnerung, des Schmerzes, der Distanz, die in Philipsz jüngsten Arbeiten häufiger Bedeutung finden, tauchen auch hier auf: Versteht man die Architektur Zumthors und lässt sich von ihr nach oben durch die vier Stockwerke des Gebäudes leiten, begegnet einem auf jeder Ebene Musik – Klänge vierer verschiedener, einzelner Instrumente. Hier durch die Interpretation Susan Philipsz einander entrissen, stellen sie zusammen die von Hanns Eisler für den französischen Film „Nuit et brouillard“ (1955) komponierte Filmmusik dar.
Der Titel des Alan Resnais-Films schafft eine Verbindung zu dem Gebäude des Kunsthauses Bregenz und seinem so oft vom Nebel umhüllten Umfeld des Bodensees, gleichzeitig deutet er auf die traumatischen, traurigen Erlebnisse hin, die sowohl filmisch als auch in der Ausstellung thematisiert werden: Der Film thematisierte erstmals die Deportationen während des Holocausts.
Angelehnt an diese Thematik ist der vierte Kompositionsteil der Filmmusik, die Flöte, in Philipsz´ Inszenierung an einem anderen, zwanzig Kilometer vom Kunsthaus entfernten Ort zu hören: dem Jüdischen Friedhof in Hohenems. Durch diese räumliche Aufbröselung des Kunstwerks werden Distanz und Trennung nochmals verdeutlicht.
Das melancholische Daseinsgefühl, welches von dem Kunstwerk ausgeht, scheint auch die Besucher im Kunsthaus zu ergreifen: still und versunken in ihrer jeweils eigenen Welt hören sie zu und lassen ihre Blicke über die Kunstdrucke schweifen, die Hanns Eislers Leben thematisieren, über die Photographien der von Pilipsz verwandten Instrumente hin zu den Wänden des Gebäudes.
Philipsz hat für ihre Installation bewusst Blas- und vor allem Blechblasinstrumente gewählt, denn diese betonen den Aspekt der Luft, die durch die Instrumente und durch den Raum fließt. Im Spiel mit der Architektur bekommen die Klänge einen skulpturalen Charakter, beides verfließt zu einem Kunstwerk und macht auf die Gefühle aufmerksam, die Philipsz verkörpern möchte: Schmerz und Abschied, Stille und Gedenken, begegnen dem Besucher durch das Kunstwerk – sensibel und wehmütig. Das Werk löst in erster Hinsicht keine Wut aus, stattdessen macht es die Gefühle der Hilflosigkeit, der Trauer, der Endgültigkeit erlebbar, den Schicksalen der Menschen und den Menschen an sich wird Raum gegeben. Dieser Raum für Luft wird erst durch das Gebäude selbst geschaffen. Es schafft die Atmosphäre, die das Thema der Ausstellung erfassbar macht und wird so zum Ausgangspunkt des Kunstwerks.
Ein unerwartetes ästhetisches Erlebnis durch die mutige Schlichtheit, unterstützt durch die für Zumthors Architektur so typischen hellen Betonwände und weiten Flächen, ermöglicht Raum; Harmonie, die Synthese scheinbarer Gegensätze, erfüllt das Gebäude mit unglaublicher Eleganz. Richtige Fenster gibt es nicht, nicht einmal zur Seite des Sees hin. Erhellt wird jeder der großen Räume stattdessen durch die von Zumthor geschaffenen Zwischenebenen zwischen Raumdecke und -boden, in denen Leuchten eingebaut wurden. Diese Zwischenebenen selbst sind so hoch, dass in ihnen bereits Ausstellungen stattgefunden haben. Bei Susan Philipsz ist dies nicht der Fall; stattdessen fallen sie dem Besucher gar nicht auf; er kommt nicht auf die Idee, dass sich zwischen Decke und Boden eine Ebene befinden könnte, in der es nichts als Licht gibt. Trotzdem staunt er über ihre Wirkung, über eine gewisse Neugier, eine Zuversicht. Vielleicht macht das die Harmonie aus: Dass dieses unnatürliche Licht spielerisch mit der Natur, mit dem organischen Material und den blassen Farben des Ausstellungsraums eins wird. Und vielleicht schafft diese Harmonie der Ästhetiken gerade die Sensibilität, die man braucht, um eine Ausstellung wie die Susan Philipsz´ „Night and Fog“ zu begreifen.