Für neues Leben in und durch Museen

Kunst, Kunsterlebnis, Leben, Foto: Barbican Centre London, Ragna Prinssen

Ich möchte mit einem wunderbaren Zitat des Schweizer Kurators Hans Ulrich Obrist beginnen. In seinem Buch “Ways of Curating” schrieb er: „The very idea of an exhibition is that we live in a world with each other, in which it is possible to make arrangements, associations, connections and worldless gestures, and, through this mise en scène, to speak.”

Die Kunst selbst beflügelt eine eigene Sprache: Da ist die wortlose Sprache zwischen ihr und ihren Betrachtern und da sind die ebenso stillschweigenden Zeichen, die in den Betrachtern umherschwirren – in Gefühlen, in Worten, in Ideen. Die sich vielleicht ordnen oder zu Fragen formen. Und die vielleicht, aber auch nur vielleicht, die Lippen des Betrachters verlassen und zu einem Dialog werden. Einem Dialog mit dem besten Freund vielleicht, dem Bruder oder der Schwester. Versteckt im Wohnzimmer am Kamin oder gedämpft als leises Flüstern beim Ausstellungsbesuch.

Das Kunsterlebnis des Einzelnen ist unersetzlich: Eine ästhetische Erfahrung auf einer eigenen Ebene, die uns emotional ergreifen und intellektuell herausfordern kann. Ich frage mich nur, ob die Erfahrung, das Wissen, das daraus resultiert und der Dialog, der (in uns) provoziert wird, an dieser Stelle enden müssen. Oder vielmehr: Ob die Kunsterfahrung auf diese Ebene begrenzt werden muss.

Dann wäre, und ist so oft, viel verschenkt. Denn Kunst hat ein sehr viel größeres Potenzial. Potenzial, eine noch stärkere Wirkung zu erzielen und in die Gesellschaft hineinzuwirken.

Die Menschen, die Ausstellungen besuchen (ohnehin ein winziger Anteil der Gesellschaft), sprechen selten mit den anderen Besuchern über die Kunst. Natürlich gibt es einige Formate, in denen über Kunst gesprochen wird. Vor Allem auf der Vernissage und der Finissage, eingebettet in ein Gesamterlebnis. Doch macht dieses Konzept eben nur den Anfang und das Ende von Ausstellungen aus. Mit dem Alltag eines Museums hat das oft wenig zu tun. Eine Galeristin aus Hannover sagte zu mir neulich: „Eigentlich bräuchten wir nur die Vernissage und die Finissage. Dazwischen ist nichts los.“ Das heißt nicht, dass es jetzt jeden Tag Rotwein und einen Dresscode in den Galerien geben soll. Sondern die Aussage zeigt doch, dass der Art und Weise, wie Kunst zumeist präsentiert wird, etwas fehlt.

Vielleicht die Überwindung dessen, dass die Kunsterfahrung so oft im einzelnen Rezipienten gefangen bleibt.
Der Ausstellungsbesucher verfügt durch die Kunstrezeption über ein Wissen. Und Wissen oder die Beschäftigung mit einem Thema, sei es Musik, sei es Architektur, steigert die Wertschätzung für dieses Thema. Es fördert einen sensiblen Umgang damit und führt zu einer Erweiterung der Facetten der Welt und der Wahrnehmung. Ein Gebäude oder ein Musikstück sind nicht mehr „einfach Geschmacksache“, sie verschwinden nicht in trostloser Willkür.

Auch die Wissenschaft hat in diesem Zusammenhang Eines längst erkannt: Wissen entsteht nicht durch die geniale Idee des Einzelnen, sondern wird vor Allem durch den Austausch generiert. Es wird weitergebenen, Ansichten werden hinterfragt und weiter und neu gedacht. Wie es auch die Kunst machen will, nur in anderer Form. Nur dass im Kunstbereich so oft missachtet wird, wie sehr der Einzelne durch andere profitieren und seine Erfahrung und sein Wissen erweitern könnte.

Um das zu ermöglichen sollte in Museen die Möglichkeit zum Dialog nicht mehr die für die Vernissage reservierte Ausnahme sein! Der Austausch sollte stattdessen wichtiger Bestandteil des Lebens in einem Museum sein. Mit Austausch ist dabei nicht stumpfes Analysieren gemeint, er kann stattdessen von verschiedener, vielleicht sogar wortloser Form sein. Seine Form ist sogar von hoher Bedeutung und deren Wahl und Ausgestaltung sollte zum Kernbestandteil der kuratorischen Praxis, der Zusammenarbeit von Künstler und Kurator, werden.

Es geht nicht darum, die Erfahrung des Einzelnen zu ersetzen und die Kunstrezeption von Anfang an zwingend zu einem Gemeinschaftserlebnis zu machen. Es geht auf keinen Fall um ein „Über-die-Kunst-und-das-Wetter-Quatschen“ während man sich zusammen eine Ausstellung anschaut. Sondern darum, die individuelle Erfahrung der Kunstrezeption zusätzlich und täglich durch eine zweite Dimension, eine gemeinschaftliche, zu erweitern. In der Form von Diskussionen, Musik, Gedichten – in der Form, die der jeweiligen Kunst angemessen ist und dem Besucher des Museums eine neue Dimension der Kunst eröffnet. Als Gesamterlebnis.