*mensch wird im Text als Pronomen verwendet
Warum Israel? Und warum Be’er Sheva? Tausende Welten, in die mensch eintauchen kann, warten auf einen im heiligen Land, auch, wenn Be’er Sheva nicht grade der heiligste Ort von allen ist. Ich habe an dieser Stadt vor allem die Ruhe nach und vor dem Sturm meiner wöchentlichen Reisen genossen. Eine leichte, alt-neue Stadt, die mit kastenförmigen eigenwilligen Bauten und nicht verzeichneten Straßen und Gässchen überzeugt. Eine Stadt, in der jeder macht, was er oder sie will, in der die Katzen in den gepflegten Kaktusgärten und unter den riesigen Palmen umherstreunen und der Campus in seinem orientalischen 70er Jahre Betoncharme als Oase des Wissens erstrahlt. Vor allem im Winter ist Be’er Sheva mit seinen wärmeren Tagen und recht milden Nächten eine gute Wahl, denn Israels vielfältige Klimazonen machen den Standort zu einer gar nicht so unwichtigen Komponente im Entscheidungsprozess. Tel Aviv ist zwar wärmer, aber viel teurer, und Jerusalem ist viel kälter und viel teurer.
Zum Akademischen: die Israelkurse am Campus in Sede Boker, ca. 1 Stunde Fahrt mit dem Bus in die wunderschöne Steinwüste hinein, waren unglaublich aufschlussreich um einen Überblick im politischen, sozialwissenschaftlichen, historischen und kulturellen Tohuwabohu dieses jungen, umkämpften Landes zu gewinnen – nicht, als würde es eine Positionierung oder gar eine Klärung vereinfachen. Überraschend sind allerdings die Einstellungen bezüglich Israel und der Westbank. In Gesprächen mit Professoren, KommilitonInnen und Israelis (im privaten Kontext) wurden meine Grundwerte regelmäßig in Frage gestellt. Auch die meisten meiner internationalen KommilitonInnen wurden auf die Probe gestellt. Leider kommt man im Overseas Programm hauptsächlich mit AustauschstudentInnen in Kontakt, in den Israelstudien mit einer ungewöhnlichen Mischung aus Leuten allen Alters und jeglicher Herkunft, und im Managementstudium mit hauptsächlich amerikanisch- und kanadischen Israelis. Für „israelische“ oder „arabische“ Israelis (was man natürlich so nicht sagen kann) ist Englisch nämlich teilweise eher herausfordernd. Klar kommt man überall mit Englisch zurecht, an manchen Orten hilft aber durchaus etwas Hebräisch, Arabisch, Russisch oder Französisch.
Im Großen und Ganzen habe ich nicht AMC studiert, sondern eine wilde Mischung aus verschiedenen Disziplinen, die meinen Aufenthalt glücklicherweise sehr rund und halbwegs schlüssig gemacht haben. Der Kurs „Mystical Themes in Judaism, Christianity and Islam“ ist am meisten aus der Reihe getanzt, da er zum Overseas Programm (Start September) und nicht zum normalen, englischsprachigen Programm (Start November) gehörte, allerdings war die Professorin, so wie viele andere auch, ein enthusiastischer Traum und die theologische Perspektive gepaart mit dem (Gratis-) Fieldtrip zum Jordan und in die Qumranhöhlen genauso passend und bereichernd, wie der (Gratis-) Ausflug zu einer Beduinensiedlung, nach Mitspe Ramon und die Wüste oder die möglichen Trips in eine Militärbasis oder nach Mea Shearim ins Ultraorthodoxe Viertel Jerusalems. Die von mir unternommenen Hitchhikerausflüge waren eine gute Ergänzung zu dem organisierten Reisen und hatten mehr von einem Abenteuer, als das koordinierte rumirren, mit großen Reisegruppen.
In meiner Zeit bin ich viel umhergereist. Wenn es einen nach kosmopolitischen Sentiments dürstet, ist Tel Aviv nur eine 2€ Busfahrt entfernt. Die Bus- und Zugfahren sind generell sehr günstig, da sie subventioniert werden, aber nur bis Freitag nachmittags und dann wieder ab Samstag abends verfügbar (Shabbat). Tel Aviv steckt voller internationaler und doch authentischer Erlebnisse und Ecken. Die Leute sind locker und direkt, es gibt ausgezeichnetes (eher teures) Essen, eine Menge Cafés, Clubs, Bars und eine sehr vertraute Szene (wenn mensch sich in Berlin zu Hause fühlt). Die Israelis sind selbst zwiegespalten ob Tel Aviv oder Jerusalem „the place to be“ ist. Nach meinem Auslandssemester absolvierte ich noch ein zweimonatiges Praktikum im Israelmuseum in Jerusalem, wobei ich noch viele Wochenenden in Tel Aviv verbrachte. Jerusalem ist wirklich ein Kontrastprogramm. Weiße Stadt versus weißer Stein. Einem laufen keine Hippster, ÄthiopierInnen oder Kreative entgegen, sondern Ultraorthodoxe „Pinguine“, wie sie von den säkularen Israelis liebevoll genannt werden, KünstlerInnen, Hippies und arabische Christen. Die Altstadt ist ein Abenteuer für sich und ist so aufgeladen mit Geschichte, Glauben und Grotesken, dass es selbst den Israelis zu anstrengend ist. Durch Jerusalem gelangt mensch dann in die Westbank. Bethlehem, Nablus und Ramallah warten auf einen und leider auch lange Wartezeiten, je nach Uhrzeit, auf der Rückfahrt. Die Grenzkontrollen verlangsamen nicht nur den Verkehr, aber das ist eine andere Geschichte.
Während meines Aufenthaltes gab es einige Krisen und unüberlegte, amerikanische Eingriffe im In- und Umland, was zu Bombenangriffen aus dem mystischen Gazakäfig führte und natürlich Unruhen im Westjordanland provozierte. Eine Bombe erreichte Be’er Sheva, wobei es in jeder Stadt ausreichend Bunker und Sicherheitsräume gibt. Auf solche Zwischenfälle reagieren die Leute eher so, dass sie sich peinlich berührt zeigen und sich für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, anstatt in Angst und Panik auszubrechen. Dennoch nehmen die Israelis den Konflikt in einem solchen Ausmaß ernst, dass sich die meisten nicht in die Westbank trauen (was sie ja auch nicht dürfen, aber einige trotzdem machen). Ansonsten bezeichnet sich Israel als „das sicherste Land der Welt“, wenn ich an einen Kommentar im Tel Aviv Gruppenchat auf Facebook denke, wo alles, was jemals in und um Tel Aviv gewohnt hat, Mitglied ist. Der für jüdische Israelis verpflichtende Militärdienst (Drusen müssen auch, Christen und Beduinen können, muslimische Araber kommen schwer rein) und die eher schweigsamen Medien unterstützen diese Haltung noch, doch das ist nochmal eine andere Geschichte. Ich habe mich erstaunlich schnell an Jugendliche in Uniform mit Maschinengewehr in Bus und Bahn, so wie die Sicherheitskontrollen an allen möglichen, offiziellen Institutionen gewöhnt. Sie waren nicht der Grund, dass ich mich so sicher gefühlt habe in diesem Land, aber sicher für andere, die mich (deshalb) sehr gastfreundlich und zuvorkommend behandelt haben.
Sollte man allerdings einen Fuß in ein Kibbuz setzen, in das mensch nicht eingeladen wurde, spürt mensch eine gewisse Abneigung und Feindseligkeit. Ist mensch jedoch eingeladen, ist so ein Kibbuz eine einmalige Erfahrung. Im Israelmuseum stellte ich fest, dass sich viele israelische KünstlerInnen mit dem Leben im Kibbuz und der interessanten kollektivistischen Grundhaltung, sowie zugleich individualistischen Prägung der Großstädte auseinandersetzen. Hat mensch das Glück, von einer Familie zu einem Shabbatessen eingeladen zu werden, so sollte das auch aufs Programm! Jüdische Traditionen, die sich an den überraschendsten Stellen und Situation finden, erweiterten meine Vorstellung von Familie, Religion und Kultur. Vor allem in der New Age Bewegung von Hippies und HeilerInnen fand ich spannende Adaptionen, die sich auf einem ähnlichen Abstraktionslevel befanden, wie rappende ultraorthodoxe Kids in den Seitenstraßen Jerusalems. Die sonstige Musikszene war natürlich sehr psy-lastig (psychadelic trance), in Haifa, Tel Aviv und Jerusalem, sowie einigen Wohnungen in Be’er Sheva kam es immer wieder zu mehr oder weniger experimentellen Konzerten, und Tel Avivs Nachtleben erinnerte stark an Berlin, nur eben etwas exotischer. Bezaubernd waren die Raves und Retreats in der Wüste oder am toten Meer, mein dritter Hauptreisehafen. Der Norden war mir etwas zu weit weg, auch, weil ich vor meinem Semesterbeginn drei Wochen Sightseeing gemacht hatte. Zu Weihnachten empfiehlt sich natürlich Nazareth (im Norden), Betlehem ist sicher etwas zu voll und Jerusalem erstaunlich ausgestorben.
Alles in Allem hatte ich eine unglaublich bereichernd-bezaubernde Zeit, in der ich sowohl Zeit für Land und Leute, als auch für mich selbst gefunden habe. Das Land ist inspirierend, ob nun wegen der Natur, der Kultur oder der Rätsel der Menschheit.
Subjective hard facts
Wohnen/ Leben
Be’er Sheva: ca. 300€ in WG mit unglaublichen, israelischen Mitbewohnern, aber Komplikationen mit dem Weitervermieten | Jerusalem/Tel Aviv: 450-800€ WG-Zimmer | Handy: 15€ mit unendlichen Gigabytes | Essen: Falafel/Sabich 3-5€, alles andere teuer. Yemenitisches Essen SEHR zu empfehlen, | Generell im Monat ca. 200€ für Essen, 50€ für Transport ausgegeben (mit wöchentlichen Ausflügen) | Alles wird mit Kreditkarte bezahlt (ich hab eine von Revolut)
Reisen
Flüge sind bis Ende März von Berlin nach Eilat mit Ryanair unglaublich günstig | Das Udo J. Vetter Reisestipendium und das DAAD Stipendium waren sehr hilfreich! | Visum für Israel: in Berlin vor Ort beantragt, ca. 3 Tage Bearbeitungszeit, | Jordanien: Jordanpass 75€ online, inklusive Petra. | Ägypten: Sinai geht an der Grenze, ist aber teuer, „Ägypten“ Ägypten: 75$ online, 1 Tag Bearbeitungszeit. | Generell sollte der Reisepass länger als 8 Monate nach dem Aufenthalt gültig sein.
Wo gehst du hin, wenn du dich ausleben möchtest?
Das Besarabia in Jerusalem, alles in Florentin in Tel Aviv, das Weem in Be’er Sheva, Mycophobia und Love Foundation Parties wo auch immer sie stattfinden, Ecstatic Dance in Tel Aviv oder Jerusalem, a night out in Ramallah. Generell sind Donnerstag Abende die wichtigen Abende.
Was ist deine Lieblingssubstanz vor Ort?
Ich bin ein Riesenfan von Gat geworden. Das ist eine yemenitische Pflanze, die so ähnlich wie Kokablätter funktionieren. Gibt es in Tel Aviv und Jerusalem (und sicher noch an anderen Orten) als Saft und als Blätter und ein halber Liter (gut für 1-2 Personen) kostet 60 NIS, was somit das günstigste ist, was ich so finde konnte. Alles andere ist unglaublich teuer. Pilze und Acid sind auch relativ günstig und leicht zu schmuggeln. Alles andere ist exorbitant teuer und habe ich eher konsumiert, wenn es mir geschenkt wurde. Ehrlich, wer will fast 100 Euro für ein unsauberes Gramm Keta ausgeben? Ecstasy ist noch relativ günstig aber nicht zu vergleichen mit deutschen Preisen.
Was ist dein Geheimtipp?
Jeden Freitagabend gibt es ein internationales Shabbat Essen im Ultraorthodoxen Viertel in Jerusalem in der William Albright 138. Das HaMiffal in Jerusalem ist ein abgefahrener Ort, genau wie das Yellow Submarine. Und die Beduinenstädte Rahat und Arad zeigen noch einmal eine ganz andere Perspektive auf das Land. Das Desert Ashram im Süden besticht mit New Age Veranstaltungen aller Art, und alle Künstler des Landes versammeln sich in Mitspe Ramon. Und natürlich müsst ihr auch nach Sinai in Ägypten.