Nazif und Asya unterscheiden sich von Grund auf, doch eines verbindet sie. Sie beide sind türkischstämmige Muslime und leben in Liechtenstein. Ihr Traum ist die Überwindung von Konflikten, Diskriminierung und kulturellen Unterschieden.
Triesen. Es ist Freitag, kurz nach 13 Uhr als Nazif den Bordstein vor der »Grünen Moschee« inmitten des Industriegebiets betritt. Der Himmel ist tiefgrau und auf dem nassen Asphalt spiegelt sich das blau schimmernde Tor der Neoxan AG. Obwohl es nicht den Anschein erweckt, befinden sich über diesem Unternehmen die Gebetsräume einer von zwei Moscheen Liechtensteins.
Ihr Name ist angelehnt an die grüne Moschee in Bursa, die als architektonisches und künstlerisches Meisterwerk gilt. Mit Ausnahme ihres Namens hat die hiesige Moschee nichts mit ihrer grossen Schwester gemein. Ein Treppenhaus, ausgekleidet mit ausgeblichenem Teppich, das an das Interieur der eigenen Grosseltern erinnernt, führt zu den Räumen, in welchen Tag für Tag die Gebete stattfinden. Die Räumlichkeiten wirken wie Büros vergangener Zeit. Der Geruch von Tee liegt in der Luft und langsam beginnt sich der Gebetsraum zu füllen. Es ist das erste Freitagsgebet nach dem Beginn von Eid ul-Adha, dem Opferfest, dem höchsten Fest im Islam.
Nazif Nabi* ist ein zugänglicher Mensch. Freundlich und mit herzlichem Händedruck begrüsst er die eintreffenden Besucher. Schaut man in Nazifs Gesicht sieht man einen Mann mittleren Alters. Er ist ein glücklichen Mann. Ein Mann mit Erfolg und einer Familie. Dennoch fällt etwas auf.
Nazif ist müde. Müde von der Anstrengung, sich für die hier lebenden Türken einzusetzen. Er lebt seit mehr als 30 Jahren in Liechtenstein, war stets in politischen Initiativen engagiert und stand im Dialog mit der Politik. Viel seiner privaten Zeit investierte er, um sich für den Bau einer Moschee und einer islamischem Begräbnisstätte einzusetzen. Gebracht hat es nichts.
»Wir stossen auf taube Ohren und darum resignieren wir. Die Fragen, die du stellst, höre ich nicht zum ersten Mal. Die habe ich bereits hunderte Male beantwortet. Es bewegt sich nichts. Es interessiert niemanden.«
Der Islam ist in Liechtenstein keine staatlich anerkannte Religion. Seit den 1970er-Jahren ist der Anteil der muslimischen Bevölkerung jedoch auf rund sechs Prozent und somit mehr als 2000 Personen angewachsen. Die Ursprungsländer sind vorwiegend die Türkei und die Staaten des ehemaligen Jugoslawiens.
Im Gegensatz zu den Kirchen, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, müssen die Moscheen von privaten Trägern finanziert werden. Imame, die in den Moscheen die Gebete leiten, werden nur zu einem Teil vom türkischen Staat subventioniert. Auf dem anderen Teil bleiben die Mitglieder sitzen.
Derzeit befindet sich kein Imam in Liechtenstein. Der Vertrag des Letzten lief aus und er musste in die Türkei zurückkehren. Ein neuer war bereits gefunden. Doch die Regierung lehnte ihn ab. Gründe unbekannt.
Die Mitglieder der Triesener Moschee behelfen sich selbst und führen die Gebete durch. Eine Ausnahmeregelung auf dem Weg zur Alltäglichkeit. Die Moschee braucht bald wieder einen Imam mit geeigneter Ausbildung, sagt Nazif und begibt sich in einen anderen Raum. Das Zimmer gleicht einer kleinen Küche. Am Tisch sitzen fünf Personen, unterhalten sich und füllen ihre Gläser mit heiß dampfendem Tee. An der Wand hängt neben der türkischen Flagge, die Liechtensteins. Was die beiden Länder für Nazif bedeuten, wird er später erzählen.
Integration als beidseitige Aufgabe
Nur wenige Kilometer entfernt öffnet Aysa Kadir* die Tür zur ihrer Wohnung. Die kleine Wohnung ist hell und die Farben versprühen Lebenslust. Die 28-jährige Muslimin wurde in Liechtenstein geboren und ist die Tochter türkischer Einwanderer. Wie Nazif wünscht sie sich mehr Unterstützung vom Staat. Für alle Religionen. Vor allem die islamische Begräbnisstätte ist eine Herzensangelegenheit. Wenn sie einmal Kinder hat und der unverhoffte Fall ihres Ablebens eintritt, will sie nicht ausserhalb ihrer wiesenbedeckten Heimat und somit abseits ihrer Familie begraben werden. Als Voraussetzung für die Umsetzung eines solchen Projektes sieht sie an erster Stelle eine beidseitige Bereitschaft für mehr Integration.
Grosse Sorge bereitet ihr zudem ein Wandel, der vor vier Jahren einsetzte. Seit der Wahl Recep Erdogans und dem Erstärken der Türkei habe sich ein Grossteil der hier lebenden Muslime zurückentwickelt. »Freunde, Bekannte und Schulkameraden die früher modern und integriert lebten, haben sich plötzlich in die soziale Isolation begeben und sich von den nicht-muslimischen Liechtensteinern abgewandt. Erdogan ist für diese Leute wie ein zweiter Prophet.«, sagt die liberal sozialisierte Frau.
Auch die andere Seite der Medallie ist ihr bekannt. Sie erzählt von einem Vorfall, der sich vor einiger Zeit an ihrem Arbeitsplatz ereignete. Ein Mitarbeiter kommt zu ihr und knallt ihr eine Zeitung auf den Schreibtisch. Auf dem Titelblatt eine Geschichte über eine Zwangsehe. Auf die Frage nach dem Grund, entgegnet er, dass ihre »muslimischen Kollegen« dafür verantwortlich seien. Solche Anschuldigungen verletzen Aysa sehr. Betroffenheit, Trauer und Wut fühlt sie in Momenten wie diesen.
Zwischen Patriarchat und freier Entscheidung
Für Nazif ist Diskriminierung kein Fremdwort. Vor allem Frauen leiden, aufgrund des Tragens eines Kopftuches, sehr darunter. So kam es vor, dass vorbeifahrende Radfahrer neben ihm anhielten und begannen seine Frau zu beschimpfen. Es handelt sich dich dabei um keinen Einzelfall.
»Mit der Zeit haben viele Leute psychische Probleme.«, erzählt Nazif und berichtet von weiteren Fällen, die kein Gehör in der Öffentlichkeit finden. Manche Frauen werden wegen ihres Kopftuches gekündigt und finden nur noch schwer eine Stelle. Um dem Ruf der ansässigen Unternehmen nicht zu schaden, bleibt ihnen oft nur die Möglichkeit, in den Abendstunden die menschenleeren Büros zu säubern. Den von Aysa angemerkten Wandel nimmt auch Nazif wahr. Vor allem die Frauen haben seit Erdogans Präsidentschaft an Mut dazu gewonnen, erzählt er. Das heisst nicht, dass der Trend zum konservativen Islam tendiert. Liberal heisst nicht nur, sich nicht bedecken zu müssen. Es kann auch heissen, sich bewusst dafür zu entscheiden.
Das stösst auf Kritik. Asya kann sich nicht vorstellen, dass sich viele Frauen freiwillig verschleiern. Sie befürchtet, dass oft die patriarchalische Tradition noch im Hintergrund steht und Frauen in bestimmte Positionen drängen. Sie erinnert sich an Situationen, in denen ihr Männer nicht die Hand zur Begrüssung geben wollten. Was sie in diesem Momenten verspürt, ist weit mehr als Scham. Sie fühlt sich zweitrangig. Ereignisse wie diese prägen sie bis heute.
Mit dem letztem arabischen Laut verstummt nun auch das Freitagsgebet. Langsam begibt sich Nazif wieder in die Küche und richtet seinen Blick auf die an der Wand hängenden Flaggen. »Schau, das mit der Türkei und mit Liechtenstein ist wie mit meiner Mutter und meiner Frau. Als ich auf die Welt kam konnte ich nicht entscheiden wer meine Mutter wird. Dennoch liebe ich meine Mutter über alles. Die Liebe zu meiner Mutter ist ganz speziell. Dann wurde ich älter und habe mich entschieden eine Frau zu heiraten, auch sie liebe ich. Ich liebe sie über alles. Aber nicht gleich. Es ist eine andere Liebe. Nun habe ich zwei Staaten, die ich anders liebe. Aber ich liebe sie beide.«
*Persönlichkeitsangaben wurden aus Datenschutz-Gründen geändert