Kulturinitiativen und Kulturzentren in ihren verschiedensten Formen befinden sich an einer spannenden Schnittstelle zwischen internationalen, netzwerkorganisierten und lokalen Communities. Wie sie sich darin positionieren, ist auch eine politische Frage.
Kulturzentren. Orte, an denen Kultur stattfindet. Ist das nicht überall? Wieso also ein Zentrum dafür? Eine (beziehungsweise meine) Antwort wäre, dass in einem Kulturzentrum das, was auf der Straße, in der Stadt – und auch in der Welt – passiert, zusammentragen und zum Diskussionsthema gemacht werden kann. Das Kulturzentrum kann ein Begegnungsort sein, an dem neu gedacht wird. Es kann ein solcher Ort sein. Es hat das Potenzial, bestehende Strukturen in einer Stadt aufzulockern, in Frage zu stellen und neu zu ordnen. Es kann aber auch genau diese Strukturen verhärten, indem es nur bestimmte, kulturinteressierte oder privilegierte Personen anzieht und so zur Gentrifizierung beiträgt.
Das Kulturzentrum, auch als Ort der Künste (neben Galerien und Museen) verstanden, bietet zunächst einmal einen Raum, eine Sphäre, in der andere Denkarten möglich sind. Das Experimentelle gewinnt hier an Bedeutung. Der Künstler und ehemalige Leiter des 18th Street Arts Center Clayton Campell spricht vom „divergent thinking“ als wichtigem Faktor für Kreativität. Der Begriff umschreibt, dass das scheinbar Feststehende immer wieder neu hinterfragt wird und so soziale Veränderungen angestoßen werden. Friedensbewegungen nach dem ersten Weltkrieg und künstlerische Auseinandersetzungen mit Themen wie Gender-, Klassen- und Rassengleichheit, vor allem seit den 60er Jahren, können als historische Beispiele für das Vorleben alternativer Welten und das Schaffen neuer Diskussionen dienen.
Der Kabarettist Hans Scheibner beschrieb „Die Fabrik“, ein Kulturzentrum in Hamburg, einmal so: “In Altona, da stand eine Fabrik. So mancher ging als Spießer hin und kam als Mensch zurück.“ Aufgabe eines Kulturzentrums muss unter anderem sein, eine Atmosphäre, in der ein Hinterfragen der gesellschaftlichen Strukturen und Experimentieren mit Alternativen möglich ist. Es muss ein alternativer Raum zum Rest der Gesellschaft sein.
Das ist eine Frage der sozialen und kulturellen, aber auch der ganz konkreten Hürden: Der Anbindungsmöglichkeiten, der Eintrittspreise, des intellektuellen Zugangs, des persönlichen Zugehörigkeitsgefühls. Gerade der Architektur eines Kulturzentrums und dem durch sie geschaffene Raum kommt bei diesen Fragen der Zugänglichkeit eine enorme Bedeutung zu. Durch sie wird bestimmt, was öffentlicher und was privater Raum ist. Bei Kulturzentren ist es oft ganz zentral, dass eine Atmosphäre erzeugt wird, die auch dazu einlädt, sich zwanglos an dem für die Öffentlichkeit kuratierten Ort aufzuhalten. Einer meiner Lieblingsorte ist das „Barbican Center“ in London: Neben Konzerten, Ausstellungen und Filmvorführungen kann man dort auch einfach in den Büchern der Bibliothek stöbern oder sich mit einem Kaffee in die große öffentliche Eingangshalle oder den Innenhof setzen.
Der Stadtsoziologe Gert-Jan Hospers schreibt zum Beispiel, dass Menschen sich mit einer Stadt oder einem Ort identifizieren und ihm gegenüber eine gewisse Achtsamkeit entwickeln, wenn sie sich von ihm emotional und ästhetisch angezogen fühlen. Aber wie kreiert man einen solchen ästhetisch anziehenden und emotional anregenden Ort? Ilse Helbrecht, Kultur- und Sozialgeographin, und Thomas A. Hutton, Geographieprofessor in Oxford, nennen hierfür vier Kriterien: Erstens eine ungewohnte Nutzung des Ortes, die zur „ästhetischen Neugierde“ führe, zweitens Gemütlichkeit und Authentizität, drittens Sozialität durch die Möglichkeit des informellen Austauschs und das Aufeinandertreffen verschiedener kreativer Disziplinen, und viertens (architektonische) Diversität.
Aber auch wenn Helbrechts und Huttons Kriterien bis ins letzte Detail erfüllt werden, können Kulturzentren noch auf Ablehnung treffen – zum Beispiel, wenn sie von Anwohnern als weitere Institution, die Gentrifizierung vorantreibt, verstanden werden. An mancher Stelle lässt sich diese Verdrängung von weniger verdienenden Gesellschaftsgruppen aus bestimmten Gebieten der Stadt wahrscheinlich nur durch staatliche Eingriffe wie sozialen Wohnungsbau vermeiden. Aber auch dann liegt es noch im Ermessen der Kultureinrichtungen, ob und wie sehr sie eine Bereicherung für die Menschen darstellen oder inwieweit sie zu einer Spaltung der gesellschaftlichen Gruppen beitragen will. In ihrem Essay „Creative Spaces“ argumentieren Nancy Duxburry und Catherine Murray, dass kreative Orte in enger Beziehung zu ihrem lokalen Umfeld entstehen und agieren müssen:
„Places are spaces with meaning and local knowledge attached. Spatial imaginaries are most productive when local and grounded.”
Ein Beispiel dafür finden wir in Brixton, einem Stadtviertel im Süden Londons. In dem Viertel wohnen eher ärmere Leute, viele Menschen arbeiten auf dem Wochenmarkt, lauter Reggae tönt durch die Straßen und Menschen schlendern in einem für London ungewöhnlich langsamen Tempo umher. Wie überall in London ist auch hier der Wohnraum sehr teuer geworden – diese Thematik beschäftigte auch die Architekten des Architekturbüros „Carl Turner Architects“ (CTA). Das Büro entwarf ein Modell aus Containern, in denen bezahlbare Büros für kreative Unternehmen entstanden. CTA haben dabei die mit den Containern verbundene Konnotation der Wohnknappheit aufgegriffen und sie auf die breitere Frage „Wie wollen wir in Städten leben und arbeiten?“ ausgeweitet. Der „Pop Brixton“ ist heute ein stets gut besuchtes Kultur- und Begegnungszentrum – sowohl für die Kreativunternehmen als auch für den breiten öffentlichen Raum. Man isst Pizza, hört Musik, redet. Es ist, wie CTA es selbst beschreiben, „a new ‘mini city’ of culture, enterprise and community“. Das alleine kann Gentrifizierung keinesfalls stoppen, vielleicht treibt es sie sogar ein Stück weiter voran. Aber es reflektiert anschaulich die Situation in der Stadt und bringt tatsächlich alteingesessene Anwohner und neue Besucher zusammen.
Dass „Pop Brixton“ so erfolgreich ist, liegt maßgeblich daran, dass der Wunsch nach bezahlbaren Arbeitsräumen vor allem von den Bürger*innen der Nachbarschaft ausging. Das zeigt eines: Wichtig ist, ob das Kulturzentrum sein Umfeld mit einbezieht. Es sollte das Umfeld, in dem es sich positioniert, nicht ignorieren, sondern in einen Dialog mit diesem treten – selbst, wenn dieser anfangs konfliktreich verläuft. Aber gibt es Jobpositionen in Kulturzentren, die sich genau mit diesem Verhältnis zum Umfeld, abgesehen von Marketingpositionen, auseinandersetzen? Leider und verblüffenderweise wohl selten.
Das „Creative Space Making“ setzt sich nach Duxbury und Murray aus drei Schritten, Ideen, Planung und Policy, zusammen, drei Schritten also, in denen man strategisch entscheiden kann, das Umfeld mit einzubeziehen. Man könnte sich geschichtlich mit diesem befassen, Menschen befragen oder die Gegend aktiv beobachten und sich dabei an Techniken aus dem Urban Planning und den Kulturwissenschaften wie dem „Cultural Mapping“ bedienen. Eine solche Herangehensweise ist nicht nur für die Neugründung von Kulturzentren und -initiativen wichtig, sondern immerzu, denn schließlich ist Kultur nicht statisch, sondern lebendig und veränderbar – und somit muss es das Kulturzentrum auch sein.
Ein interessantes und tatsächlich sehr lebendiges Beispiel ist die „Ufa Fabrik“ in Berlin: Eine internationale Künstlergemeinschaft, die sich mit globalen Themen wie nachhaltiger Wirtschaft auseinandersetzt, vermischt sich mit lokalen Besonderheiten: Es gibt eine Bäckerei, Sozial- und Nachbarschaftsarbeit und Theater und Kunst handeln vom Menschlichen und Grenzenlosen.
Auch das „Triangle Arts Network“ ist ein interessantes Beispiel, dem es gelingt, Bedürfnisse der Menschen vor Ort und globale Diskussionen und Themen in Einklang zu bringen: Das Netzwerk ist über geografische, nationale Grenzen hinweg tätig (wieso sollten Themen, die sich mit Menschen und intellektuellen Fragestellungen auseinandersetzen, auch auf Länder beschränkt sein?), aber die Zentren sind so unabhängig organisiert, dass sie auch auf lokale Bedürfnisse eingehen können. Sie sind sogar auf lokales Sponsoring angewiesen, sodass ein Dialog zwangsläufig stattfinden muss.
Auf diesen Dialog zwischen Kulturzentren und dem Umfeld, in dem sie sich befinden, kommt es an. Denn es ist schade, wenn die so tolle Idee des Kulturzentrums, Menschen zusammenzubringen und über sie Kunst mit der Welt zusammenzubringen und neue Perspektiven zu ermöglichen, in ihr Gegenteil kippt. Das Kulturzentrum sollte ein experimenteller Ort sein, an dem Neues durch neue Begegnungen möglich wird.