Just vor unseren Augen, gegenüber dem ZF-Campus, erblicken wir seit Anfang des Semesters neue Nachbarn. Bevor sich die Kultur-Initiative auf die Wiese des Heizhauses niederlassen konnte, mussten die Projektgestalter Wege aus diversen Krisensituationen meistern. Florian Kessler informiert über den Entwicklungsprozess bis zur derzeitigen Lage, sowie über die Baustelle und ihre Implikationen.
“Als wir unser Studium an der ZU begonnen haben, fanden wir uns in einer Stadt wieder, in der unsere Spielweise von Kultur nicht vorhanden war.”, erzählt Ferdinand Nehm von der Blauen Blume. “Es ging uns darum, die Kulturszene der Stadt zu ergänzen, damit auch wir uns darin wiederfinden konnten. Wir wollten selbst etwas machen und nicht einfach nur nörgeln – die eigenen Lieblingsbands einladen, wenn sie nicht von alleine kommen. Kultur schaffen, anstatt nur zu konsumieren, ist aber auch ein Mehrwert an sich.”, sagt er bärtig grinsend. Neue Gesichter, die etwas aus ihren Köpfen und dann aus dem Boden stampfen wollen, sind ausdrücklich erwünscht.
Die Blaue Blume gibt es seit nunmehr vier Jahren. Aus einer Träumerei dreier Köpfe in einem selbst ausgebauten Bauwagen ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein geworden, eine alternative, nichtkommerzielle Kulturplattform und nun ein legalisiertes Wohnprojekt. Auf der Häfler Bildfläche ist die Blaue Blume 2015 aufgetaucht, als man beschloss, ohne Genehmigung auf die Apfelwiese im Windhag zu ziehen, nachdem mehrere an die Stadt gerichtete Gesuche für einen neuen, öffentlicheren Standort in den Bürokratiesanden verlaufen waren. Bald gab es Veranstaltungen, einen ehemaligen Bibliotheksbus und eine aus alten Fenstern zusammengebastelte fahrbare Bühne. Die Stadt, obgleich der rechtsfreien Wiesenbespielung gegenüber am Anfang alles andere als wohlwollend eingestellt, ließ das Projekt im Schwebezustand vorerst weiterbestehen und begann Gespräche.
Der Umzug ist die Folge eines langen Kommunikationsprozesses mit der Stadt Friedrichshafen, der das Weiterexistieren der Blauen Blume sichern sollte und für den mit der Entscheidung des Gemeinderates im Frühjahr 2017 der amtliche Grundstein gelegt wurde. Es folgten Monate der Verhandlung mit Vertretern von Stadt, Uni, die Nachbarn des Fallenbrunnen und eine Kooperation mit der Architektenkammer Friedrichshafen, die für Formalitäten enorm hilfreich war. Im Juni wurde das fertige Baugesuch eingereicht. Mitte August war es dann soweit, das große Umzugsfestival mit vielen fleißigen Workaway-HelferInnen und Kulturprogramm konnte über die Bühne gehen. Bis zur Endabnahme ist aber noch einiges zu tun und das neue Gelände bleibt eine Baustelle. Unter anderem will der Brandschutz genehmigt werden und die Anschlüsse für Strom und Wasser müssen fertiggestellt werden. WG- und Uni-Duschen sind dann Geschichte.
Die linke Hälfte des neuen Platzes ist immer öffentlich zugänglich. Jeder kann vorbeikommen, sich im Schatten des Heizhauses ein wenig ausruhen und einen Nicht-Automatenkaffee in der Außenküche machen. Je mehr Leute vorbeischauen, desto mehr wird er wirklich zu einem Ort der Begegnung. Hinter der Außenküche am linken Rand ist der Werkstattbereich, am Eingang steht der FAIRteiler, in dem jeder Essbares und andere kleine Nützchlichkeiten verschenken oder mitnehmen kann. Im Frühjahr wird dort die offene Werkstatt eröffnet, in der man reparieren, eigene Bauprojekte umsetzen und ein Hochbeet bepflanzen kann. Die rechte Seite (zwischen Wedding-Bus und Apfelkisten-Skulptur) ist der private Bereich der insgesamt sieben WohnprojektlerInnen, ihr Wohnzimmer unter freiem Himmel. Für ein freundliches Lächeln bekommt man aber für gewöhnlich auch einen Wagen von innen zu sehen und kann sich über das Wohnprojekt informieren.
Die auf den ZF-Campus blickende Skulptur aus Apfelkisten ist aus einem Einfall während der Bauwoche entstanden und wurde in den nächsten Tagen fertiggestellt. Dabei ging es den ErbauerInnen eher um künstlerische Sichtbarkeit als um die Unsichtbarkeit der Bewohner. Eine rustikale Wellenästhetik, die manchem Betrachter das Wort “Kunst” auf die Zunge lockt (und bei anderen Kopfschütteln auslöst), verschafft ihr mangels Berücksichtigung in den Bauplänen jedoch keine dauerhafte Daseinsberechtigung. Ob die Skulptur, Teile von ihr oder etwas anderes an ebendieser Stelle stehen werden, ist momentan ungewiss und wird sich in Gesprächen mit Stadt und Unileitung entscheiden.
Die Blaue Blume war schon immer mit der ZU verbunden. Ihre Gründer und viele aktive MitarbeiterInnen sind ZUler oder Alumni, es gibt aber auch Lehrer, Seeforscherinnen und Köche in ihren Reihen. Die Blume war nie eine reine Uni-Initiative und möchte dies auch nicht sein. Nun ist sie vor das Heizhaus und damit gewissermaßen in den Garten der Uni gezogen, die auch ihre Vermieterin ist (und das Gelände wiederum von der Stadt mietet). Das ist ein Novum, für Bauwagenbewohner, Projektliebhaber und Außenstehende. Erwartbare Skepsis ist die Folge, wenn man bisher kaum Kontakt zu den vermeintlichen Hippies hatte.
Bisher entwickelte sich die Blume immer in der Nähe, aber außer Sichtweite. Interessierte kamen, der Rest blieb fern. Die Parallelen laufen räumlich nur durch einen leeren Univorhof und eine schmale Straße nebeneinander her. Der optische Kontrast zwischen Bauwägen und modernem Unigebäude erfüllt zuweilen das Zwischen. Der neue Ort bietet aber auch die Gelegenheit sich das Ungewohnte einmal näher anzusehen, die eigene mehr oder weniger gerade Linie zu verlassen, sich das andere anzuschauen, ein bisschen mehr das Zwischen werden, das wir alle auf unseren Uniausweisen gedruckt sehen.