Inter [national] view: Kanadas multikulturelle Gesellschaft

Ein erstaunlicher Erfolg, ein Symbol der Hoffnung: Justin Trudeau ist Kanadas Star-Premier. http://www.cbc.ca/news/world/refugees-canada-arab-media-response-1.3368223

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Die USA und der sowohl verstörende als auch unterhaltsame Vorwahl-Showdown beschäftigen die Deutschen, die Medien und uns als studentisches Magazin. Die Vereinigten Staaten und ihre politischen Akteure können sich medialer Aufmerksamkeit – ob positiv oder negativ –  immer sicher sein. Das Nachbarland Kanada hingegen steht hier selten im medialen Rampenlicht. Grund genug für Futur drei, einen Einblick in die kanadische Gesellschaft und ihre Multikulturalität zu wagen. Dazu hat sich Jakob mit Cata, unserer Incoming aus Vancouver, getroffen.

Gibt es so etwas wie den „Weltbürger“? Cata ist das perfekte Beispiel. Sie wurde in El Salvador geboren, besuchte eine deutsche Schule, reiste schon in ihrer Kindheit durch Europa und landete schließlich auf dem Vancouver-Campus der Farleigh Dickinson University. Und jetzt verbringt sie ihr Auslandssemester in Friedrichshafen. Ich hatte das Gefühl, dass sie eine perfekte Gesprächspartnerin werden würde, um über soziale Problemthemen wie Migration und Integration zu sprechen, die die deutsche und europäische Politik seit Beginn der Flüchtlingswellen dominieren.

Als jemand, der Kanada bereits für einige Monate besucht hat, beschäftigt mich eine Frage während der gesamten Unterhaltung: Gibt es Dinge, die die deutsche Gesellschaft von Kanada lernen könnte, wenn es um Herausforderungen und Chancen der aktuellen Phase verstärkter Migration geht?

Ich interessiere mich zuerst für Catas Eindruck von der kanadischen Gesellschaft: Wie hat sie sich gefühlt, als sie nach Kanada kam? „Bevor ich ankam dachte ich, ich würde mich wie eine Minderheit fühlen. Aber Kanada und vor allem Vancouver sind so multikulturell, dass ich mich nicht fremd fühle.“ Dieses Gefühl überrascht ganz und gar nicht: Vancouver ist nicht nur eine der Städte mit der höchsten Lebensqualität, sondern auch unter den Städten mit der höchsten Immigrationsrate weltweit. Cata fügt hinzu: „Die Leute hier geben mir nicht das Gefühl, eine Außenseiterin zu sein. Sie behandeln jeden gleich“. Man könnte fast sagen, die Einwanderung ausländischer Bürger gehört zur kanadischen Identität. Schon die Tatsache, dass Kanada kürzlich bereit war, 25.000 syrische Geflüchtete aufzunehmen, zeigt die natürliche Offenheit gegenüber Menschen anderer Nationalitäten. Cata zufolge spielt Justin Trudeau, der neue Premierminister Kanadas, eine zentrale Rolle: „Wir alle lieben ihn. Die Art und Weise, wie er Geflüchtete willkommen heißt und mit ihnen interagiert ist großartig. Er repräsentiert das freundliche und offene Gesicht Kanadas perfekt. Wir brauchen mehr Menschen wie ihn.“ Catas Statement wirkt wie ein Plädoyer für humane und wertbasierte Policy-Entscheidungen. Angela Merkel gefällt das.

 Cata lebt nun seit drei Jahren im zweitgrößten Flächenstaat der Erde und hat einen weiten Einblick in die Gewohnheiten des Landes gewonnen. Was sie für typisch kanadisch hält? „Hockey, auf jeden Fall“, antwortet sie, „Kanadier sind verrückt nach Hockey. Wenn du Kanadier bist, musst es mögen.“ Und ist sie schon Kanadierin geworden, zumindest was den Volkssport angeht? „Da wir kein Eis in Lateinamerika haben wusste ich früher absolut nichts von Hockey. Aber seit ich in Kanada bin, habe ich angefangen, es zu mögen.“ Später erzählt sie mir, dass sie manchmal im Stadion des NHL-Teams der Vancouver Canucks arbeitet. „Was Hockey angeht, werde ich wohl immer kanadischer“, lacht sie.

Wir wenden uns wieder unserem Ausgangspunkt zu. Was ist der größte Unterschied zwischen der kanadischen und der deutschen Gesellschaft? Cata unterstreicht zwar mit Nachdruck, dass sie sich in Deutschland wirklich willkommen gefühlt hat. Aber sie hat auch einen Unterschied bemerkt: „In einigen Situationen habe ich den Eindruck, die Leute hier behandeln mich anders. Nicht direkt, sondern indirekt, wenn sie mich anstarren weil ich nicht von hier bin. Ich denke, gerade ältere Leute sind ausländisch aussehende Menschen nicht gewohnt.“ Ich frage sie nach einer Beispielsituation, die ihr dieses Gefühl gegeben haben könnte. Cata erzählt von einem Vorfall im Bus vor ein paar Wochen: „Ich habe mich mit einer mexikanischen Freundin unterhalten und gelacht. Da hat eine alte Frau uns auf einmal auf Deutsch angeschrien: ‚Wieso kommt ihr hierher? Geht zurück in euer Land!‘“ Weil Cata Deutsch spricht, verstand sie die Frau. Ich sage ihr, sie hätte auf Deutsch antworten sollen, aber das konnte sie nicht. „Ich habe sie nur anschauen können. Ich war zu schockiert um etwas zu tun, weil ich so etwas einfach nie erwartet hätte. In Kanada habe ich nie so eine Situation erlebt.“

Als sie über den Vorfall reflektiert, stellt Cata einen großen Unterschied zwischen den Ländern heraus: „Meiner Ansicht nach sind Kanadier unvoreingenommener und entspannter, was die Ankunft neuer Leute im Land angeht.“ Muss also die deutsche Gesellschaft lernen, mit diesen Herausforderungen schlichtweg ausgewogener umgehen? Auch wenn sie weiß, dass man die Einstellung einer ganzen Bevölkerung nie von einem Tag auf den anderen umstellen könnte, empfiehlt Cata, den persönlichen Blickwinkel zu globalisieren. „Wir leben in einer globalisierten Welt, das ermöglicht uns, von anderen Kulturen zu lernen. Am Ende sind wir alle friedliebende Menschen. Da wir die Globalisierung nicht wirklich ändern können, sollten die Leute lernen, gegenüber Menschen mit anderen Hintergründen offener zu sein.“ Ein starkes Statement von jemandem, der bereits perfekt in die globalisierte Gesellschaft zu passen scheint.

 Bis jetzt haben wir uns der amerikanischen Politik als Thema noch nicht genähert. Aber gegen Ende unseres Treffens verspüre ich doch das Bedürfnis, die Vorwahlen zu erwähnen. Ich bin neugierig, ob Cata es für möglich hält, dass etwas wie Trumps Aufstieg auch in Kanada passiert. Die Antwort ist schnell deutlich: „Nein, ich bin mir fast zu einhundert Prozent sicher, dass etwas wie Trump in Kanada nicht auftauchen könnte.“ Aber gibt es populistisches Potential nicht in fast jedem industrialisierten Land? Cata weist das zurück: „Es gibt einen common sense, dass Migration in Kanada fest verwurzelt und notwendig ist. Deshalb sehe ich nicht, wie jemand wie Trump dort erfolgreich sein könnte.“

Hoffentlich behält Cata ihre positive Einstellung zu einer multikulturellen Weltgesellschaft. Obwohl es schwer ist, Deutschland und Kanada ob ihrer komplett verschiedenen historischen Entwicklungen zu vergleichen, habe ich in unserem Gespräch eines gelernt: Kanadas gelassene Art, Multikulturalität gegenüberzutreten, könnte gewissermaßen ein Modell für die Denkweisen der Deutschen und anderer Europäer sein.