der Tod des Rave – und was danach kommt

Everything was gone. The men crowded the streets blasting shitty Hard Bass. It was apocalyptic. The entry was flooded with people. Girls practically naked. I rushed myself through the people to try and get to the entrance. So many lights blind me. I saw some pathetic piece of shit shoot up next to me.“

So beschreibt wosX aus der Perspektive seines Protagonisten Mykolaiv das Setting seines aktuellen Albums „End Of World Rave“, das zu einem der interessantesten Konzeptalben des letzten Jahres zählt. wosX entwirft ein multimediales Narrativ aus einer Kurzgeschichte, mehreren Twitter-Accounts, die den Protagonisten dieser Kurzgeschichte gehören und einem Album, das mit „Entrance“ beginnt, dann eine exzessive Nacht beschreibt (die folgenden Songs heißen „Ketamin“, „Kokaine“ oder „Cigarette Break“) und mit einem Song namens „Armageddon“ endet. Der Rave, der in diesem Album stattfindet, hat nichts mit dem Idealismus oder dem Ideenreichtum der frühen Ravekultur zu tun, sondern ist ein nihilistischer Exzess tanzender Massen mit starrem Blick auf das nahende Ende. wosX ist damit nur einer von vielen Produzenten, die Techno und House nicht mehr als kollektives Projekt, sondern als isolierende Erfahrung beschreiben. Immunes „Breathless“ ist ein einsames, kaltes Housealbum, produziert an isolierten Un-Orten wie Flughäfen oder Fastfood Restaurants. Yoshimis „Tokyo Restrictet Areas“ setzt sich mit den Orten der Isolation auseinander, alte Fabrikhallen etc., die in den 90ern noch als Schauplätze bunter Raves dienten und jetzt wieder verlassen dastehen, wenn sie nicht in Clubs verwandelt und kommodifiziert wurden. Lee Gambles geniales Album „Koch“ geht noch einen Schritt weiter und inszeniert seine Technostücke in einer postapokalyptischen Zukunft, in der sich ein einsamer Plattenspieler weiter dreht.

Ravedeath

All diese Künstler setzen sich mit dem Ende und Tod einer Kultur auseinander, herbeigeführt durch Kommodifizierung, Kommerzialisierung und Entkernung. Eine ehemals zukunftweisende Kultur dreht sich im Kreis. Mykolaiv beschreibt sein Gefühl auf dem „End Of World Rave“ so: „It seemed as if I was perpetually lost, going in circles, never finding a way out.“
Wie geht man nun mit dem Tod einer Kultur um, will man nicht wie Crass damals nur brüllen „… is dead“?
Wegweisend für die Herangehensweise der angeführten Künstler ist Leyland Kirbys 2006 unter dem Pseudonym „V/VM“ releaste Album „The Death Of Rave“. Selber sagt Kirby über sein Projekt: „The idea for „The Death of Rave“ was concieved after a visit to the Berghain Club in Berlin. I went and saw a pale shadow of the past. Grim and boring beats, endlessly pounding to an audience who felt they were part of an experience but who lacked cohesion and energy. Rave and techno felt dead to me.“ Kirby nahm all die Dancefloor-Hits aus seiner Techno-Erinnerung und raubte ihnen ihr Leben und ihre Energie, verwandelte sie somit in Schatten ihrer selbst, in Gespenster.
Ein Jahr später wurden von einem anderen Briten alte Ravegespenster heraufbeschworen. Burials stilbildendes Album „Untrue“ ist bis heute eines der gespenstischsten Techno Alben. Auf dem Track „Raver“ lässt er das Gespenst selber auftreten, dass im Hintergrund heult: „You lied around me. It’s so cold“.

Hauntology

Diese musikalischen Gespenster der mitte-Zweitausender lassen sich als die musikalischen Interpretationen des Konzepts der „Hauntology“ verstehen, das Jacques Derrida in seinem Buch „Marx’ Gespenster“ herausarbeitet. Hauntology stellt sich der Frage, welchen Seins-Zustand Gespenster besitzen. Die klassische Trennung von Sein und Nicht-Sein, von Vergangenem und Gegenwart wird aufgehoben in der „Figur des Gespenstes, als das was weder anwesend, noch abwesend, weder tot noch lebendig ist.“ In all den vorgestellten Alben sucht den Hörer das Gespenst der Ravemusik heim. Dieses ist aber nicht wesensgleich mit der echten Ravemusik von damals, und auch nicht als gegenwärtige, korporeale Erscheinungen zu verstehen, da es un-tot ist. Damit lässt sich die spukhafte Wirkung der Alben erklären. Wir haben es hier nicht einfach mit gespenstischer Musik zu tun, sondern mit musikalischen Gespenstern. Auch erlaubt uns Hauntology, die Zeit neu denken, da Gespenster  einen Riss in der klassischen Zeitlichkeit darstellen. Die Popmusik selber steht heute ratlos vor dem Zeitkomplex. Auf der einen Seite gibt es kaum neue Sounds, kaum Zukunft-Visionen, auf der anderen Seite blasse Nostalgie. Wir haben, um Baudrillard ein letztes Mal zu zitieren, alles verloren:
„die Erinnerung an die Vergangenheit, die Projektion in die Zukunft sowie die Möglichkeit, diese Zukunft in gegenwärtiges Handeln zu integrieren.“
Hauntology gibt uns nun die Möglichkeit, Zeitlichkeit neu zu denken und in einer neuen Art und weise in der Popmusik zu verarbeiten, da das Gespenst weder die Erinnerung an die Vergangenheit, noch gegenwärtiges Handeln, noch eine Projektion in die Zukunft ist. Gespenster stammen aus der Vergangenheit, wobei sie nicht in die Vergangenheit gehören, da sie nicht eins sind, mit ihren verstorbenen Ichs, und erscheinen in der Gegenwart, bzw. in der kommenden Zukunft ohne in diese Zeitkategorien zu passen, da ihr untoter Hintergrund diese stört.

Derrida hat der Technokultur zwei große Geschenke gemacht: zum Einen hilft sein Konzept der „Differance“ bei der alten Frage, wo genau denn jetzt der Unterschied zwischen einem Club und einer Disco liegt, und sein Konzept der „Hautology“ hilft uns zum Anderen mit einer Kultur und Ästhetik umzugehen, die ihre Authentizität und ihr Subversives verloren hat, als sie zum konsumierbaren Mydays-Wochenenderlebnis urbaner Lifestylekapitalisten wurde.
Merci Derrida.