Gotteskunst

Es gibt Texte, die muss man nicht verstehen. Texte, die keinen Sinn eindeutigen, der zwischen den Zeilen paradiert. Das Lesen solcher Texte muss deshalb aber nicht sinnlos sein. Im Gegenteil! Manch ein Text darf wohl behaupten, frei zu lassen, ob und was durch ihn gedacht wird. Man mag in diesem Sinne dem vorliegenden Text vorwerfen, er bleibe vage. Mit einem Faible für Albert Camus und dessen Eifer, den Mensch als Sisyphos zu beschreiben, flottiert der Text zwischen Mystik, Technik und Menschen als Bauwesen. Ein Text, für Schlüsse zum Selberziehen.

Bis eben war ich gottlos. Jetzt blicke ich auf und bin sicher. Alles hier ist Steine rollen. Ich und du, wir rollen auch. Wir alle. Die Nonne im Stift, der Professor am Pult, die Politikerin beim Händedruck, der Bauer auf dem Feld, jeder App-Entwickler in Berlin. Und wir alle sind gläubig. Ich stehe auf. Sieben Schritte für Camus. Im Gedankenarchipel.

eins. Menschen sind Bauwesen.

Was Gott und wir Menschen gemeinsam haben, ist die Baumeisterei. Das wusste schon Mirandola. Aber auch abseits altitalienischer Schlaurednerei ist die Parallele kaum übersehbar. Gott baute die Welt in sieben Tagen und mit ihr uns Menschen. Jetzt sind wir hier und bauen auch. 

zwei. Der Mensch in der Odyssee.

Wir sind im Bauzwang, weil Gott uns der Natur verschloss. In Sinnsucht gleicht das Bauen so unser aller Schicksals Flucht. Im Trauma von Heimatsuchenden fragen wir ständig nach Ithaka und meinen die Rettungsinsel auf der „reserviert“ und unser Name steht. Die Suche scheint wie ein Auftrag: Irret im ewigen Nebel

drei. Göttlich ist der Bau.

In Schicksal also bauen wir. Einst babylonisch in die Sterne, dann Brücken über jedes Meer. Ithaka aber blieb verschollen und Gott uns stets verborgen. Tapfer bauen wir weiter; rollen den Stein wie Sisyphos, bergauf. Bleiben Bauarbeiter.

vier. Eine Insel wird.

Weil Gott uns die Insel schuldig blieb, erschaffen wir sie selbst. In neuer Welt werden wir die Insel sein und Ithaka die Baustelleauf der Gott eine Kunstfrage ist. Mantrisch schwingt es durch die Straßen: Alles ist eine Frage der Technik. Wir stimmen ein und bauen. Rollen weiter. Schreiben das kathartische Kapitel. Festlich seine Überschrift: Gotteskunst. Ja, wir werden Gott bauen; mit Hammer und Zahnrad, mit Einsen und Nullen.

fünf. Die binäre Kunst.

Mit neuem Ziel bauen wir und mit mehr Eifer, werden begeistert. Bauen Maschinen, bauen Computer. Fasziniert singen die Spatzen von den Dächern das Lied unendlicher Möglichkeit. Wir hören zu, mit Feueraugen. 

sechs. Von Gott zu Gott. 

Alles für die Kunst. Die Welt verschwimmt und freit uns unsrer Mängel. Die nächste wird die letzte Schicht, dann fallen wir in den Himmel. Noch einmal hoch den Stein geschoben. Noch einmal hoch Gottes Beweis. Gebaut wird an binärer Kunst, die unser Denken übersteigt.

sieben.                                                                                                                            

Göttliche Kunst, enttarnt. Ihr Versprechen eine poetische Welle, ihre Idee aus einem Buch souffliert. Vision oder Nebel? Die Frage bleibt. Und auch, was einen Bauwert hat. 

Bis eben war ich gottlos. Gottlos am Steine rollen.

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