Die Inszenierung des Hypes

Der letzte Teil der Buch- und Filmreihe „Die Tribute von Panem“ ist seit dem neunzehnten November auf zahlreichen Leinwänden zu sehen. Previews, Specials und Vorstellungen im Originalton füllen die letzten Herbsttage, bis kurz vor Weihnachten mit dem „Erwachen der Macht“ der Star Wars-Mythos wiederbelebt wird – Eine Reflexion über Kino, Kunst und Kommerz.

“We’re fickle, stupid beings with poor memories and a great gift for self destruction“ – der Satz, in welchem uns Plutarch Heavensbee die Quintessenz der berühmten Jugendbuch- und Filmreihe „die Tribute von Panem“ verrät, gewinnt angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage einmal mehr an Bedeutung. Der Kinofilm als Medium hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr zu einem kultur- und werteprägenden Faktor entwickelt. Die letzten zwanzig bis dreißig Jahre des vergangenen Jahrhunderts haben eine neue Ära monumentaler Blockbuster geschaffen, die unter anderem die Lichtgestalten George Lucas, Steven Spielberg und James Cameron als große Regisseure der modernen Filmgeschichte aufleben ließen. Ein weiteres wichtiges Element der „neuen Art“ des Films war die neue Komposition der Filmmusik. Nach den Elektroklängen der siebziger und achtziger Jahre erfuhren imposante Orchesterstücke, maßgeblich geprägt von Komponisten wie John Williams, eine Renaissance, die sich bis heute in nahezu jeder großen Produktion niederschlägt.

 

Aus den Blockbustern heraus entwickelten sich in den 1980ern die Franchises – interessant, dass diese Bezeichnung sowohl eine Gattung der Filmkunst als auch die Vertriebsstrategie großer Fastfoodketten beschreibt. Unsere Eltern erlebten die ersten Feldzüge von Helden, Abenteurern und Spionen. Ob Luke Skywalker, Indiana Jones oder James Bond, alle hatten die Aufgabe mit Hilfe einiger weniger Freunde ihre Welt vor einem Bösewicht, der mit allen Mitteln nach der Herrschaft strebt, zu retten. Doch im neuen Jahrtausend erstanden neue Geschichten, die uns in unserer Kindheit begleiteten und bei deren Abschluss nicht selten eine Träne floss. Die Helden wurden komplexer, waren nicht selten auch weiblich. Populäre Bücher wurden bald nach ihren ersten Erfolgen zum Leben erweckt und verhalfen nicht wenigen Schauspielern zum großen Durchbruch. Unsere Schulzeit wurde zu einem Großteil von Harry Potter, seinen Freunden und seinen Feinden begleitet. Hier ging es nicht mehr nur um den Sieg über dunkle Zauberer. Das Universum, welches so komplex und bis ins kleinste Detail durchdacht ist, dass man sich an mancher Stelle fragt, ob Joanne K. Rowling es selbst komplett durchschaut, fasziniert zahlreiche Menschen bis heute. Wichtige moralische Werte wurden auf eine neue weniger offensichtliche Weise als von Walt Disney vermittelt, Reflexion, Empathie und die Tatsache, dass nicht immer alles so ist wie es scheint wurden in einem wunderbar umgesetzten Rahmen vermittelt. Die darauf folgenden großen Filmreihen und Franchises waren oftmals nicht annähernd so vielschichtig. Zielgruppenorientiert wurden hier Moden aufgeworfen, aus denen ganze Fluten von Fantasyreihen vor allem für jugendliche Mädchen entstanden, egal ob es sich um Vampire, Werwölfe oder ziemlich triste Dystopien handelt. Oftmals ist die Handlung jener als Sagas bezeichneten Trilogien oder Tetralogien ausbaufähig und könnte abwechslungsreicher sein. Dennoch gibt es immer Ausnahmen. So beschäftigt sich die zu Beginn erwähnte Trilogie „die Tribute von Panem“ von Suzanne Collins in einem außergewöhnlichen Maße mit Politik. In einem Interview mit dem Guardian nannte die Filmgröße Donald Sutherland dies als einen der Gründe, die ihn dazu bewegten, in der Buchverfilmung mitzuspielen. Die anspruchsvolle Thematik scheint sich auszuzahlen: die Panem-Triologie liegt aktuell auf dem einundzwanzigsten Platz der erfolgreichsten Filmreihen aller Zeiten. Jedoch stellt sich auch die Frage, was es uns sagt, dass das Marketing vor der Premiere des ersten Filmes der Reihe so massiv war, dass die Premiereneinnahmen des ersten Teiles entgegen der Regel deutlich höher waren als jene des aktuell im Kino anlaufenden letzten Teiles. Ist das noch Kunst oder bringt das schon Geld? – Ist das die Frage mit der wir uns beschäftigen müssen? Soll Kino Kunst sein oder ist es nur Abbild einer konstruierten oberflächlichen Kultur? Betrachtet man die Tiefe und Ernsthaftigkeit des vorangegangen Filmes und die uns unterschwellig vor uns selbst warnende Botschaft der gesamten Reihe, verwundert es nicht, dass Personen, die um der Unterhaltung willen das Filmtheater besuchen, von solch einem gesellschaftskritischen Diskurs lieber Abstand nehmen. Lieber hält man sich an das, von dem man seit über vierzig Jahren weiß, dass es „gut“ ist, dass der Held am Ende gewinnt, dass klare Strukturen herrschen und uns nicht an die eigenen Schwächen erinnert.

 

Dies sieht auch die Filmindustrie. Denn im Gegensatz zu der intensiven Auseinandersetzung mit dem menschlichen Wesen und der hervorragenden Umsetzung auf allen Ebenen als festen Abschluss der Panem-Reihe, ergab sich in den vergangenen Jahren ein immer stärkerer Trend zur Wiederbelebung der einer älteren Generation wohlbekannten Klassiker. Während das Marvel-Universum als Gesamtkomplex mit über zwanzig Filmen vor unseren Kindheitsfreunden aus Hogwarts an der Spitze der internationalen Franchises steht, haben nun auch James Bond und Peter Jackson mit einer weiteren Tolkien-Adaption nachgezogen.

Marvel vermarktet sich erfolgreich selbst, wobei vor allem die Filme um den Donnergott Thor hauptsächlich umfassendere Trailer für die Avengers-Reihe und die Widerstandsfähigkeit Tom Hiddlestons als Loki zu sein scheinen. James Bond hingegen setzt eher auf Standhaftigkeit als auf ständig neue Helden. Fünfundzwanzig Filme bescheren ihn den dritten Platz auf der Hitliste der erfolgreichsten Filmreihen und somit einen Bekanntheitsgrad, der es ihm ermöglicht, Parfüm und Uhren zu verkaufen. Andere große Werke setzen eher auf ein spätes Sequel für neue und alte Fans. Nachdem Indiana Jones Sohn nach Kristallschädeln suchte und im Sommer keine Kosten für den Neuaufbau der Dinosaurierinsel gescheut wurden, wird nun im Dezember mit der „Krieg der Sterne“-Fortsetzung der Erfolg des, sagen wir mal gewagt, Jahrzehnts erwartet. Der sorgt gleich noch mal dafür, dass Disney genau weiß, was bei vielen kleinen Jedi-Rittern unter dem Weihnachtsbaum liegen soll.

Ein Element, das in unseren Köpfen den Erfolg eines Filmes ständig präsent hält, sind schließlich alle Arten von Merchandising-Konsumgütern. Seien wir ehrlich, auch wenn es den Buchvorlagen zugutekommt, ausführlicher umgesetzt zu werden, wir wollen den letzten Teil unserer einmal begonnen „Trilogie“ sehen. Und wenn man einmal dabei ist, die Umsetzung in 3D erhöht die Preise für den vierten Teil dieser „Trilogie“, gerechtfertigt oder nicht. Das „Erwachen der Macht“ wird erfolgreich sein, weil man jetzt schon weiß, dass sein Erfolgsrezept bereits seit den späten 70er Jahren funktioniert. Selbst wenn man von den medialen Lobeshymnen nicht überzeugt ist, muss man sich ja selbst ein Bild machen. Und weil es ein Teil von „Star Wars“ ist werden es viele toll finden, also muss man die ganze Sachen noch einmal sehen, um zu dem Schluss zu kommen, dass diese Leute ja wirklich recht haben. Wir – ja wir, die zivilisierte und von Interessen überflutete „westliche Welt“ – werden weiterhin Schokofrösche und Spotttölpelbroschen kaufen, wir werden versuchen herauszufinden, ob wir das Nicht-Prequel von Harry Potter gut finden oder nicht und wir werden zuschauen, wen George R.R. Martin als nächstes umbringt, auch wenn es uns wehtut. Denn auch Fernsehserien sind in den Hype vom Hype, in das Marketing des Filmes als Phänomen, eingestiegen – Begeisterung kann man durch Lob nun selbst generieren. Game of Thrones, The Walking Dead, Breaking Bad und Co. genießen in den Vereinigten Staaten eine unglaubliche Beliebtheit und zwischen den Staffeln sorgen Fanartikel, Gerüchte und Spoiler dafür, dass es nicht langweilig wird.

Doch am Ende kann ich mir selbst aussuchen, was ich mitnehme, in welcher Tiefe ich den Film erlebe, ob ich mich nur freue, dass Bond gewinnt oder die Handlung nach ihrer Sinnhaftigkeit, ihrer Schlüssigkeit und ihrer Tiefe bewerte. Ob ich den Film als Kunst betrachte oder mich einer kommerziell generierten Lobeshymne anschließen will. Denn am Ende spielt immer der Rezipient eine der wichtigsten Rollen und wenn ich nur bereit bin zu denken, können mir Harry und seine Freunde die richtigen Werte zeigen, ich kann die Handlungen der Lannisters spieltheoretisch analysieren und im Zerfall Panems die Macht der Medien, der Unterdrückung und der Konstruktion einer Ideologie finden.

Also hoffen wir, dass es auch in Zukunft auf der Leinwand mehr über uns selbst und die Gesellschaft zu erfahren und zu lernen gibt, als das Erlebnis der neuesten Marketingstrategie und das wir den Mut haben Botschaften zu erkennen und anzunehmen.