Der Teufel auf meiner Schulter

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Scharlachrote Rauchschwaden steigen von meiner linken Schulter auf, wirbeln um mich herum und bringen mich zum Husten. Plötzlich ertönt ein lauter Knall neben meinem Ohr. Mein malträtiertes Trommelfell sendet ein schrilles Klingeln durch meine Gehörgänge. Mein Kopf zuckt zur Quelle des Lärms herum und ich schrecke zurück. Zwei rot glühende Augen mit tiefschwarzen Rändern starren mich an.

Da ist er also wieder, der Zweifel, mein ständiger Begleiter. Er ist der Teufel auf meiner Schulter. Kaum erschienen, durchdringt meinen Kopf ein Raunen und Flüstern, eine ständig hinterfragende Stimme. Der Teufel in mir wütet, steckt alles in mir in Brand. Die Feuerwalzen überrollen mich. Nichts bleibt verschont. Ich zweifle an meinem Geist, an meinem Körper, an meinem Leben, dem Sinn, der Welt. Schlimmer noch, ich zweifle nicht nur, ich verzweifle. Nichts vermag das schreiende Inferno zu löschen.

Die Hoffnung: Eine Besserung durchs Studium

Als ich begonnen habe zu studieren, dachte ich zunächst, dass das den Teufel vielleicht etwas ablenken würde. Schließlich ging es im Studium ja ums Hinterfragen und so sollte er sich anstatt durch meinen Kopf durch die Studienthemen fressen. Leider ging dieser Plan nicht auf. Ich zweifelte mehr denn je. Es dauerte ein Jahr lang, bis ich herausgefunden hatte, was genau mich an meinem Studium so zweifeln lässt. Es ist das Paradoxon, dass Wissenschaft sich bewusst ist, dass die eine Wahrheit nicht existiert und sie trotzdem nach ihr sucht.

Jede wissenschaftliche Untersuchung fußt auf Annahmen, Annahmen, die je nach Weltbild desjenigen der sie von sich gibt, variieren. Sie sind hochgradig subjektiv. Die auf ihnen basierende Wissenschaft soll aber objektiv sein. Wie frage ich? Wie??

Würdet ihr von einem Berg springen, auf dem Rücken eine Flugmaschine geschnallt, von der ihr nicht wisst, ob sie euch in der Luft halten wird? Von der ihr sogar wisst, dass sie höchstwahrscheinlich nicht funktioniert? Ich würde nicht springen. Im Studium wird jedoch genau das von mir erwartet.

Die Realität: Eine Verschlechterung durchs Studium

Klar kann man bei einem Sprung ins Ungewisse neue Erkenntnisse zu Tage befördern, aber ähnelt das nicht mehr Goldschürferei als zielgerichtetem Arbeiten? Einen Rausch auslösend, aber trotzdem mühselig und kaum effektiv? Meine eineinhalb Jahre Studium haben sich bisher nach einer infiniten Abfolge von Springen, Fallen & Zerbrechen angefühlt. Meine Arme und Beine schmerzen von den Prellungen, sind aufgeschürft von den scharfen Kanten des Universitätsgebirges.

Die Folge: Körperliche und psychische Schäden

Und auch meine Seele hat einen ordentlichen Knacks abbekommen.

Beim Versuch allen Kursen gerecht zu werden, vergaß ich immer häufiger, dass ich auch Ruhe brauchte. Mein Schlaf wurde durch Kaffee ersetzt und ich wurde immer hibbeliger, hibbeliger, hibbeliger und hibbeliger. Ich erinnere mich noch daran während einer der vergangenen Online-Prüfungen die erste Fressattacke meines Lebens gehabt zu haben. Das war nicht eine Tafel Schokolade oder zwei, ich habe solange gegessen, bis mir kotzübel war. Die Prüfung verging, die Übelkeit blieb – ganze zwei Tage – und seither suchen mich immer wieder Fressattacken heim. Meine Angst zu versagen und auf der Strecke zurückzubleiben im ständigen Leistungswettkampf führte meist genau dazu: zu einer Schockstarre, die meine Angst wahr machte. Und gleichzeitig kam mir das, wofür ich Tag ein Tag aus kämpfte und dabei meine Gesundheit vernachlässigte, so unfassbar sinnlos vor. Sinnlos, weil ich doch wusste, dass mich die Flügel der Wissenschaft bei meinem nächsten Sprung auch wieder nicht weiter als zuvor tragen würden und ich doch einfach nur Leben wollte. Warum um Himmels Willen musste ich denn immer alles hinterfragen? Das tat mein neurotischer Teufel doch so oder so schon den ganzen Tag.

Wissenschaft ist eine dieser Gratwanderungerungen, eine zwischen Fruchtbarkeit und Zerstörung, die ich lieber hinter mir lassen will.

Die Konsequenz

Ich nehme lieber die schöne Wanderung und genieße die ungefährliche Aussicht. Fürs erste zumindest.

Früher hätte ich gedacht, dass mich mein Unwille, mich mit Dingen wie der Wissenschaft dauerhaft auseinander zu setzen zu einem schlechten Menschen macht. Weil ich als halbwegs intelligente Person die Verpflichtung habe nützlich für die Welt zu sein. Weil mir die Uni dieses Gefühl gibt immer alles bis ins letzte Detail durchdrungen haben zu müssen, um meinen Mund aufmachen zu dürfen. Das hat sogar dazu geführt, dass ich aufgehört habe zu schreiben. Groteske Vorstellung. Ich muss nicht die Hauptrolle auf der Wissenschaftsweltbühne spielen. Ich darf auch zufrieden mit der Hauptrolle in meinem eigenen Stück, meiner eigenen Bühne, meinem Leben sein. Ich habe die Wahl das zu tun, was ich will und nichts davon macht mich schlecht oder gut. Und wenn ich mein ganzes Leben damit zubringe zu philosophieren, ohne es wissenschaftlich zu belegen, dann macht mich das nicht zu einer Stümperin, sondern zu einer eigenständig denkenden Person. Und darauf darf ich stolz sein. Egal was mir die Forschung einreden will.

Ich beschloss also, dass es mir das nicht wert war. Meine Gesundheit sollte ab sofort nicht mehr unter den Malträtierungen eines Systems leiden, dass sich doch nicht für mich als Individuum interessierte. Dem ich letztendlich doch nie genug gaben konnte, um zu genügen, dem man es doch nie recht machen konnte. Anstatt dessen fing ich an, es mir selbst recht zu machen. Mich mit Menschen zu umgeben, die mir das Gefühl geben genug zu sein, egal wie produktiv ich bin. Menschen mit denen ich das Jetzt genießen kann. Menschen mit denen ich zwar auch Meinungen austausche, mit denen ich aber genauso gut einfach mal dasitzen und schweigen kann.

Und wenn der Teufel auf meiner Schulter doch wieder auftaucht und beginnt alles in seine Einzelteile zu zerlegen, nehme ich ihn an der Hand und lade ihn dazu ein eine Tasse Tee mit mir zu trinken. Meist kühlt sein Gemüt dann schnell ab und er lässt mich mit einem ungewohnten Gefühl der Leichtigkeit zurück. Heute brauche ich die Flügel der Wissenschaft nicht mehr um zu fliegen. Sie haben mich so oder so nur nach unten gezogen. Sie haben mich versucht auf “Boden der Tatsachen” zu halten. Heute pfeife ich drauf und fliege davon. Ohne Flügel.