Nachdem mein Frondeur darstellen konnte, wie er die Entwicklung des Völkerrechts und des offensiven Liberalismus betrachtet, darf ich ihm mit meinem Kommentar widersprechen. Ich werde zeigen, dass der offensive Liberalismus ein schlecht konzipiertes und noch schlechter exportiertes Instrument darstellt, dessen Institutionalisierung durch Spielarten wie Responsibility to Protect (R2P) vermieden werden sollten.
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Wer damals die Debatte unter den westlichen Siegermächten in spe auf Jalta in 1945 verfolgen durfte, war Zeuge eines der Geburtsfehlern des offensiven Liberalismus, ein politisches Konzept welches die geopolitische Strategie des Westens nach wie vor prägt. Denn während der 2.Weltkrieg in Europa am Rhein und an der Oder gewonnen wurde, wurde auf Jalta bereits ein ganz anderer (kalter) Krieg begonnen. Alle Parteien waren sich der post-8.Mai-Situation bewusst. Selbst die Reichswehr sammelte bereits unter Gehlen eifrig Informationen über die Sowjetarmee, um sie den Amerikanern nach Kriegsende zu überreichen. Der offensive Liberalismus entwickelte sich somit als Instrument dieses “kalten” Konflikts und war von Anfang an eng an die Geopolitik der westlichen Siegermächte gebunden: ein Mittel zum Zweck. Die Strategie des offensiven Liberalismus mit inklusiven politischen wie ökonomischen Institutionen passte in Westeuropa und Japan auch insofern, als dass Institutionen im Sinne einer Meritokratie bereits vorhanden waren (wobei in Deutschland bis 1945 die Junker beispielsweise ein anti-meritokratisches Element geblieben waren). Ein netter Nebeneffekt war natürlich das Bollwerk gegen den Kommunismus, welches nur durch gesellschaftliche Liberalisierung aufzubauen war. Es wurde mit Recht befürchtet, dass, sollte Europa sich nicht wirtschaftlich erholen und demokratisieren, der Kampf der Systeme mittelfristig nicht zu gewinnen war.
Die enge Anbindung an Geopolitik erkennt man ebenfalls an einem der Fälle, in welchem der offensive Liberalismus kein genutztes, weil ein nicht notwendiges Instrument war: Südamerika. Die Interventionen der USA (ob durch die Armee wie in Panama oder durch CIA-Operationen in Peru) hätten durchaus liberale Werte und Institutionen fördern können. Allerdings wurde dieser Aufwand nicht betrieben, weil ein destabilisiertes Südamerika wesentlich praktischer war als ein Wirtschaftswunderpendant in dieser Region. Wäre der (offensive) Liberalismus ein Selbstzweck gewesen, wären die Interventionen anders verlaufen und hätten sich mehr am modus operandi der europäischen/japanischen Besatzungszeit orientiert. Selbst die demokratische Legitimation der feindlichen Regierungen war im Lichte der Geopolitik kein Hindernis zur Intervention, oder um Kissinger zu zitieren: “I don’t see why we need to stand by and watch a country go communist due to the irresponsibility of its people. The issues are much too important for the Chilean voters to be left to decide for themselves.” Diese Einstellung hat sich mit Blick auf Iran und andere Länder nach wie vor nicht geändert. Somit müssen die Erfahrungen des offensiven Liberalismus in Westeuropa und Japan, sowie in Korea (die einzigen Vorzeigefälle sogesehen) bisher als Unikum der Geschichte angesehen werden und den speziellen Umständen zugerechnet werden, die den offensiven Liberalismus als einzig effektive Handlungsoption erscheinen ließen.
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Vom bösen Deutschen zum freiheitsliebenden Afghanen
Wenn wir nun den innergesellschaftlichen Diskurs betrachten, mit welchem die westliche Wertegemeinschaft über die zu befreienden Völker reden, werden erneut deutliche historische Unterschiede klar. Die besetzten Völker post-1945 wurden als böse Kinder behandelt, die es zu erziehen galt: “But we cannot expect these people to discard nazi ideas with the casual air with which they abandon their uniform. Slowly, steadily they must be taught the fundamentals of democracy.” Weiter: “The Germans are not your friends […] They think of you not as a liberator, but as a slave and themselves as your master” . Ich empfehle dahingehend das oben zitierte Informationsvideo der Informationsabteilung der U.S. Army für Soldaten der Besatzungskräfte. Es war klar, dass eine Demokratisierung dieser totalitären Gesellschaften Jahrzehnte dauern wird und es wurde auch klar, dass dies Top-Down geschehen musste. Der lokalen Bevölkerung und ganz besonders Kindern war nicht zu trauen: “…, out of sight, part of the mob, watching you and hating you”. Interessanterweise steht dieser kohäsive Modus im deutlichen Gegensatz zu liberalen Werten. Betrachtet wurde eine pragmatische Makroperspektive von Rechtsstaatlichkeit, Eigentumsschutz und antikommunistisches Parteiwesen, nicht das Leben oder die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen.
Hierzu eine kleine Anekdote zur frühen Besatzungszeit: Weil es eine strikte Ausgangssperre gab und die MPs nicht lange gefackelt haben, wurde nach nur einer Warnung meist direkt das Feuer eröffnet. Kein Platzverweis, keine lokale Polizei, sondern ein M1 Karabiner. Der Militärpolizist war Richter, Jury und Henker zugleich. Ein Freund meines Großvaters wollte nach Ausgangssperre noch Birnen von seinem Baum holen. Das bezahlte er mit seinem Leben. Berichtet wurde darüber höchstens im Dorf.
In den Kriegen des 21.Jahrhunderts hat sich dieser Diskurs vollends verändert. In den neuen Konflikten scheinen sich alle sicher zu sein, dass in den betreffenden Ländern “Democrats in the closet” warten; eigentlich freiheitsliebende Vietnamesen, Afghanen und Iraker, deren individuelle Schicksale wichtig sind und denen wir nur an die Urne helfen müssen, damit Demokratie und eine inklusive Gesellschaft aufblühen. Die Realität allerdings, wissenschaftlich behandelt durch die Forschung von Fukuyama, Inglehart und anderen gibt ein anderes Bild. Nichts wurde in den letzten Jahren deutlicher als die Tatsache, dass Institutionen (seien es Wahlen oder Freihandel) noch keine Demokratie erschaffen (und erst recht keine Demokraten). Der Diskurs über Krieg und Entwicklung in unserer Gesellschaft jedoch verbietet es im Falle einer Besetzung zu sagen: Wir bleiben jetzt 20 Jahre hier, koste es was es wolle, bis ihr alle Demokraten seid. Wer etwas dagegen hat, hat den Wert von pluralistischen Gesellschaften nicht verstanden. Vielmehr noch sind westliche Länder nicht mehr willens, die entsprechenden Ressourcen dafür zu verwenden (wir kommen gleich darauf zurück). Den angesprochen Wandel erkennt man sogar in Etappen während des Vietnamkrieges. Zwar wurden Vietnamesen noch herablassend behandelt, der potenzielle Demokrat aber benannt: “We are here to help the Vietnamese, because inside every gook [herablassende Bezeichnung für Asiaten], there is an American trying to get out” (Full Metal Jacket).
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Der Krieg als Mittel zum Zweck im 21.Jahrhundert
Bis jetzt wurde der Begriff des Krieges und daraus resultierende Dynamiken als gegeben betrachtet, doch gerade die enge Anbindung des offensiven Liberalismus an den bewaffneten Konflikt drängt eine Analyse mit dem Prisma der Kriegstheorie auf. Denn die praktische Unmöglichkeit eines offensiven Liberalismus im 21. Jahrhundert wird umso deutlicher, je mehr die kriegerische Auseinandersetzung Teil dessen ist.
Wir wollen uns dazu nicht mit den genauen Einzelheiten der lesenswerten Schriften von Clausewitz beschäftigen, sondern wollen auf einen Aspekt seiner Theorie besonders eingehen: Die Existenz von moralischen Größen in der Bevölkerung. Kurzum ergibt sich für Clausewitz die Fähigkeit einer Polity, Krieg zu führen, unter anderem aus dem Rückhalt in der Bevölkerung (eine emotionale Größe), auf die sich Regierung und Militär berufen können.
Diese Bereitschaft für Krieg drückt sich im zweiten Weltkrieg unter anderem darin aus, dass Steuersätze von 90% und die faktische Kontrolle von Gehältern durch das US-MIlitär in Kauf genommen wurden für den Sieg gegen den Faschismus. Weiterhin waren zur Unterstützung (Unterhaltungs-) Medien faktisch ebenso gleichgeschaltet wie in den Ländern, die bekämpft wurden; klare antiliberale Mechanismen zur Verbreitung eines globalen Liberalismus.
In unserer heutigen Gesellschaft scheinen diese Mechanismen fremd und es ist stark zu bezweifeln, dass sie in dieser Form ohne eine ebenso große Krise überhaupt im Entferntesten durchsetzbar wären. Wir kommen also zum zweiten der fundamentalen Probleme: Ein effektiver offensiver Liberalismus fordert nicht nur andere Staaten zur Veränderung auf, sondern eben auch unsere Gesellschaften, da die materiellen und immateriellen Ressourcen zur Befriedung und Liberalisierung ganzer Regionen nur durch die oben erwähnten Maßnahmen ermöglicht werden können. Meiner Meinung nach beinhaltet dies sowohl die Kontrolle der Informationen, die der Öffentlichkeit zuteil werden, als auch eine staatliche Kontrolle des Diskurses, ein Instrument was man gemeinhin als Zensur beschreiben würde. Weiterhin fordert es von uns Toleranz gegenüber der oben beschrieben polizeilichen Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung, vor allem in den ersten Jahren. Einer der größten Fehler im Irak zum Beispiel war es, Schutzzonen nur für Öl betreffende Gebiete und Gebäude zu gewährleisten, während öffentliche (Museen und Verwaltungen) wie private Einrichtungen ausgeplündert wurden.
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Wir hätten größer und resoluter denken müssen, konnten wir aber nicht
Wenn wir nun etwas geostrategischer über die Befriedung von Ländern in Krisenregionen nachdenken, so ist das Wort “Region” hier nochmals besonders hervorzuheben. So war eine der größten Schwierigkeiten in Vietnam, aber auch in Irak, Afghanistan, Libyen, Somalia, etc., die desolate Sicherheitslage angrenzender Staaten/Regionen und die daraus resultierenden gut ausgebauten Versorgungswege für rebellierende Gruppen und Schattenwirtschaften. Während im Vietnamkrieg die USA irgendwann auch Laos bombardierten (und so den Ho-Chi-Min-Pfad tatsächlich schwächen konnten), wäre heutzutage ein Eingreifen in Pakistan, obwohl ähnlich nützlich für den Krieg in Afghanistan, doch sehr unwahrscheinlich.
Allerdings stellt die Sicherheitslage einer ganzen Region einen entscheidenden Faktor zur Befriedigung einzelner Regionseinheiten dar. Zurück im 2.Weltkrieg war jedes Land Westeuropas und Südostasiens unter der absoluten Kontrolle der westlichen Siegermächte. Die Kontrolle einzelner Staaten wurde somit erheblich vereinfacht; der Fokus auf einen “Leuchtturm der Demokratie” (so bezeichnete die Bush-Administration den Irak) innerhalb einer stürmischen See scheint somit unter historischer Betrachtung erneut strategisch unklug.
Hier stellt sich die Frage: Könnten wir die Befriedung ganzer Regionen technisch umsetzen und noch entscheidender: Gibt unser Diskurs dies her? Auf der technischen Seite wären zumindest die USA (sowohl alleine als auch mit NATO-Unterstützung) in der Lage, eine Region wie den mittleren Osten zu kontrollieren. Ein Abtun dieser (zunächst technischen) Fähigkeit würde die Schlagkraft und Erfahrung des US-Militärs schwer unterschätzen.
Auf der Seite moralischer Größen sieht es gänzlich anders aus: Unsere Gesellschaft ist so abgekapselt von der Realität des Krieges, dass jeder gefallene Zivilist und Soldat (auf beiden Seiten) ein nicht hinzunehmendes Hindernis darstellt. Der Vietnamkrieg hätte nach den technischen Fähigkeiten der USA durchaus einen Sieg hervorbringen können. Allerdings führte die (berechtigterweise) kritische Berichterstattung und der damit schwindende Rückhalt in der Bevölkerung zur Unmöglichkeit eines umfassenden Krieges, von den im Krieg immer weiter steigenden Kosten ganz zu schweigen. Und wo technische Potentiale nicht genutzt werden, spielt die Zeit frei nach Clausewitz dem Widerstand (des zu Liberalisierenden) in die Hände:
“Gibt also […] die Verteidigung aller Mittel im bloßen Widerstand, eine Überlegenheit im Kampf: so wird, […], die bloße Dauer des Kampfes hinreichen, um den Kraftaufwand beim Gegner nach und nach auf den Punkt zu bringen, dass ihm der politische Zweck desselben nicht mehr das Gleichgewicht halten kann, er den Kampf also aufgeben muss.”
Man erkennt die Parallelen zu den Kriegen in Irak und Afghanistan, und das Hindernis einer kritischen Gesellschaft ist den Regierungen und dem Militär nicht entgangen. So war ganz besonders die mediale Berichterstattung im Golfkrieg der 1990er entschieden anders als in Vietnam: Wo in My Lai Reporter (zivil und vom Militär) das schändliche Gesicht des Krieges relativ direkt an die Öffentlichkeit brachten, konnte man in Bagdad der 90er nur noch Nachtsichtaufnahmen entfernter Bombeneinschläge sehen, natürlich mit dem Hinweis, dass es “intelligente” Bomben seien. Hauptsache der Krieg der westlichen Wertegemeinschaft und seine Methoden geben den Anschein, qualitativ anders (besser) als die vom Feind zu sein. Ich behaupte plakativ, dass es einfacher war, Frankfurt, Kiel oder Dresden (oder was davon übrig war) nach 1945 zu kontrollieren, als Bagdad in den 2000ern. Zum Glück für die Menschen, aber zum Nachteil für den offensiven Liberalismus, haben wir Flächenbombardements auf Großstädte hinter uns gelassen. Die fast schon romantische Vorstellung eines offensiven Liberalismus als eine Art von Krieg ohne Gewalt schränkt ihn als Instrument mittlerweile so weit ein, dass jeder weitere Versuch in diese Richtung ein ähnliches Desaster wie Irak zu werden droht.
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Catching Mice
Um den letzten Kritikpunkt des kontemporären offensiven Liberalismus aufzuführen, ist es vielleicht interessant einen Politiker zu zitieren, der nicht sofort mit Liberalismus in Verbindung zu bringen wäre: Deng Xiaoping. Er sagte im Vorfeld der wirtschaftlichen Liberalisierung Chinas: “It doesn’t matter if a cat is black or white, so long as it catches mice.” und bezog sich damit auf die Zweckmäßigkeit von Wirtschaftssystemen. Nach demselben Duktus urteilten auch die Amerikaner über sich entwickelnde Wirtschaftssysteme post-1945 (keines davon liberal im klassischen Sinne). Von Paris über Bonn nach Rom erstarkte eine kohäsive und zentralisierte, zuweilen auch monopolistische Wirtschaft, die allerdings Wohlstand in alle Schichten verteilen konnte: As long as it catches mice.
Im 21. Jahrhundert ist der Duktus ein anderer. Institutionen sollen von Anfang an vor allem so wirtschaftsliberal wie möglich sein, sogar zum Unmut des Militärs: “Jay Garner, the US general abruptly dismissed as Iraq’s first occupation administrator after a month in the job, says he fell out with the Bush circle because he […] rejected an imposed program of privatization.” Hinzu kommt, dass Wiederaufbau eine sehr wichtige Konstante braucht: Verwaltung. General Patton wusste, dass er ohne die Nazis in Gerichtshöfen und Finanz- und Katasterämter mit dem Wiederaufbau nicht weit kommen würde. Und bis auf wenige blieben alle auf ihren Posten. Man hätte über alle Behörden in Deutschland auch einfach schreiben können: Under new management. Im Irak passierte wiederum das fatale Gegenteil: Alle Mitglieder der Baath-Partei (mehrheitlich Sunniten) in Militär und Verwaltung wurden geschasst und aus ihren Positionen enthoben, was sich bereits nach kurzer Zeit als Schuss ins wacklige Knie herausstellte. Man muss sich im Vergleich darüber aufregen dürfen, dass mit Kurt Georg Kiesinger ein hochrangiger Ex-Mitarbeiter von Goebbels Propagandaministerium Kanzler wurde. Aber es waren eben auch diese politisch-administrativen Eliten, die man für das Wirtschaftswunder und die politische Stabilisierung umfunktioniert hatte.
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Playing the long game: Defensiver Liberalismus und wirtschaftspolitischer Pragmatismus
Oben wurde dargestellt, inwiefern der offensive Liberalismus in seinen “Erfolgen” ein Unikum der Geschichte war und in der heutigen Zeit aufgrund des innergesellschaftlichen Diskurses in Verbindung mit den Dynamiken des Krieges kein umsetzbares Instrument mehr darstellt. Allerdings sollten der Liberalismus und eine pluralistische Gesellschaftsordnung definitiv einen Selbstzweck darstellen. Seine Verbreitung ist eine wohlwollend zu betrachtende Entwicklung, sofern sie nicht auf die oben erwähnten Mechanismen angewiesen ist. Doch wie soll es gelingen, den offensiven Liberalismus, welcher mit R2P vielleicht bereits neues Völkergewohnheitsrecht schafft, einzudämmen, bzw. Liberalismus als Selbstzweck ohne Offensivität zu fördern?
Hierfür müsste sich unser Verständnis von Wertevermittlung strategisch umorientieren. Zunächst müsste es eine Rückbesinnung auf den Souveränitätsbegriff als Recht geben mit dem Ziel der Stärkung der internationalen Zusammenarbeit. Zu viel politisches Kapital und der “moral highground” wurden dadurch erodiert, dass Resolutionen der UN umgangen oder nicht eingeholt wurden. Weiterhin stärken wir mit einem Souveränitätsbegriff auf Basis von “Verantwortung” vor allem Staaten, die militärisch in der Lage sind, Souveränität effektiv zu gefährden. Das System absoluter Souveränität in Verbindung mit dem Sicherheitsrat war und ist kein schlechtes System im Vergleich mit den Unklarheiten des neuen Systems. Erschwerend kommt hinzu, dass wir in Zeiten von Multipolarität die Machtpotentiale anderer “nicht-liberaler” Staaten durch den neuen Souveränitätsbegriff nur stärken, siehe als Beispiel die Ereignisse auf der Krim. Und jeder Verweis auf das Machtpotential der USA muss abgetan werden mit dem Verweis, dass der unipolare Moment der USA vorbei ist.
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Als Nächstes müsste die Strategie hin zu einem “defensiven Liberalismus” konzentriert werden. Gemeint ist hiermit vor allem die Absage an die Vorstellung, mit jeder humanitären/politischen Krise kommt die Chance auf einen regime change. Der größte demokratische Wandel, der nach dem 2.Weltkrieg aufkam und (bis jetzt) nachhaltig war, kam nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Der Liberalismus des Westens für diese Region war aber eben nicht offensiv, sondern defensiv: Anerkennung der Staatlichkeit, konstruktiver gesellschaftlicher Dialog, Abrüstung und latente wirtschaftliche Kooperation (Stichwort Willy Brandt). Langsam aber stetig stieg innerhalb der Staaten des Ostblocks das Bedürfnis nach wirtschaftlichen Reformen, welche die jeweiligen Eliten offen in Frage stellte, eben weil sie pluralistisch waren.
Kein Panzer der NATO rollte nach Ostdeutschland. Keine 101st Airborne landete in Riga. Der Impetus zur Transformation des Ostblocks hinzu liberaleren Gesellschaftsordnungen kam aus der Bevölkerung, während der Westen und seine liberalen Werte bereit waren, diese Bevölkerungen im richtigen Moment zu integrieren. Letztendlich funktioniert der defensive Liberalismus ähnlich anderen Anreiz-Prinzipien wie bei der Europäischen Union und der WTO. Liberalismus und Kooperation werden untereinander gestärkt und bilden somit eine Alternative für Länder in der Transformationsphase, angelockt durch die Vorzüge pluralistischer Gesellschaften. Es ist bedeutend besser und auf lange Sicht effektiver, am Liberalismus unserer Gesellschaften zu arbeiten, als etwas gewaltsam zu exportieren, von dem wir nie richtig gelernt haben, wie man es exportiert.
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