Intro
Wie gebannt blicke ich auf den kleinen Kringel am oberen Displayrand meines Smartphones: Eine Umdrehung, zwei Umdrehungen, drei Umdrehungen, vier, fünf, sechs, sieben, … instinktiv wischt mein rechter Daumen von der oberen rechten Ecke nach unten und tippt auf ein kleines blaues Symbol mit drei gewölbten, größer werdenden Linien. In der oberen linken Ecke des Displays erscheinen nun die Buchstaben „LTE“. Erneut blicke ich auf den kleinen Kringel: Eine Umdrehung, zwei Umdrehungen, drei Umdrehungen, vier, fünf, sechs, sieben, … Erst jetzt bahnt sich ein erster Gedanke seinen Weg in mein Bewusstsein: Irgendwas stimmt hier gerade nicht.
Am Montag, dem 04. Oktober 2021, fielen um ungefähr 18 Uhr unserer Zeit die Server von Facebook aus – und damit alle zugehörigen Dienste: Facebook selbst, Instagram und WhatsApp waren für mehrere Stunden allesamt nicht erreichbar. Letztere App war es auch, die mich mit dem eben beschriebenen Kringel und dem Hinweis „Verbinde…“ konfrontierte und mich zuerst glauben ließ, das WLAN hätte mal wieder eine Störung. Doch stellte sich nach einer schnellen Recherche mithilfe des in Wahrheit einwandfrei funktionierenden WLANs schnell heraus, dass die Störung auf der anderen Seite der Leitung – nämlich bei Facebook – lag. Und obwohl mir die Situation danach klar war, so erwischte ich mich in regelmäßigen Abständen immer wieder dabei, wie ich mein Smartphone in die Hand nahm und WhatsApp öffnete, ohne wirklich darüber nachzudenken. Es war eine reflexartige, instinktive Handlung. Erst die Umdrehungen des Kringels erinnerten mich dann wieder daran: Ah ja richtig, hier stimmt gerade etwas nicht.
Am selben Tag – 10 Stunden früher: Eine plötzlich eintretende Melodie beendet meine Träume. Schlaftrunken greife ich zu meinem Smartphone, auf dem gerade mein morgendlicher Alarm losgegangen ist. Die Verlockung jetzt auf Instagram oder Whatsapp seine ersten Nachrichten zu checken ist zu groß. Zwei Klicks und man findet sich dabei wieder, den gerade aktualisierten Instagram-Feed zu verschlingen oder die neusten Nachrichten auf Twitter zu checken. Und wieder startet damit ein Tag, in dem das Smartphone unverzichtbar sein wird – in solchen Momenten fragt man sich manchmal:
How did we get here?
So cheesy es auch klingen mag: Erst wenn etwas Selbstverständliches nicht mehr funktioniert oder verschwindet, weiß man es zu schätzen – oder zu hinterfragen. Denn seit wann ist es eigentlich selbstverständlich geworden, gedankenverloren immer wieder auf sein Smartphone zu schauen – selbst wenn es gar keinen konkreten Anlass dazu gibt? Höchste Zeit für einen Mini-Exkurs in die Geschichte der Smartphones und den Aufstieg der sozialen Medien:
Es ist der Morgen des 9. Januars 2007: In seiner ikonischen Kombination aus Levis-Jeans und schwarzem Turtleneck betritt Steve Jobs die Bühne der Macworld, um dem gespannten (Welt-)Publikum gleich drei neue Geräte anzukündigen:
„The first one is a widescreen iPod with touch controls. The second is a revolutionary mobile phone. And the third is a breakthrough Internet communications device.“
Diejenigen unter euch, die mit dieser mittlerweile historischen Apple-Keynote vertraut sind, werden allerdings wissen, dass Jobs an jenem Tag tatsächlich nur ein neues Gerät vorstellte: Das iPhone. Es vereinte Musikplayer, Telefon und mobile Internetnutzung in einem Gerät. Dass diese Universallösung allerdings kurze Zeit später nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken sein sollte, hat wohl selbst Steve Jobs nicht erahnen können. Denn schenkt man einem Apple-Entwickler Glauben, der den Launch des ersten iPhones miterlebte, so wollte Jobs das iPhone zunächst gar nicht für Drittanbieter und deren Apps öffnen. Ein schneller Blick auf euren Homescreen wird allerdings zeigen: Es kam ganz anders. Denn sehr wahrscheinlich findet sich neben dem ein oder anderen Spiel auch die ein oder andere Social Media App auf eurem Smartphone – ja das Konzept „Smartphone“ lässt sich beinahe kaum mehr ohne Social Media denken. Letztere sind so essenziell geworden, dass es sich lohnt, einige der verantwortlichen Faktoren für den Erfolg der sozialen Medien genauer zu betrachten.
Der Like-Button
Unbewusst nehmen wir ihn alle wahr, ob bei Instagram, Facebook oder Twitter. Ein blau – weißer Daumen oder ein rotes Herz. Als Justin Rosenstein und Leah Pearlman im Februar 2009 den Like-Button erstmals vorstellten, sollte er eigentlich entwickelt werden, um Positivität oder Wohlwollen auszudrücken. Heute ist er der persönliche Ego-Boost, ein Suchtmittel, nach dem wir unterbewusst unser Streben nach sozialer Anerkennung befriedigen. Aus dem gemeinwohlorientierten Like-Button hat sich eine Waffe entwickelt, die uns in dem Bann von Social Media hält und die von uns erstellten Persönlichkeitsprofile, basierend auf unseren Likes, an Dritte verkauft.
„If you’re not paying for the product, then you are the product.“
Laut einer Studie an der mehr als 86.220 Facebook-Nutzer teilnahmen, lässt sich schon anhand von 70 Likes mehr über dich und deine Persönlichkeit aussagen, als Freunde über dich wissen, 150 Likes reichen aus, um dich besser zu kennen als deine eigene Familie. Vorstellen kann man sich das Persönlichkeitsprofil wie ein gigantisches Puzzle, wobei jeder Like ein Puzzleteil deines Persönlichkeitsprofils, dein eigener Fußabdruck im Internet, beziehungsweise das Gesamtbild deiner Selbst ist. Vielleicht kennen uns KI’s irgendwann besser als wir selbst… Also überlegt euch vielleicht zweimal, was ihr liket.
Social Media zeigt viele Schattenseiten unseres Wesens auf, vor allem aber die Menschen die hinter der Maschinerie, genauer gesagt hinter der Optimierung und Entwicklung neuer Suchtmethoden stecken. So hat sich beispielsweise nach und nach ein eigenes Feld entwickelt, das sogenannte “Growth Hacking”. In Unternehmen wie zum Beispiel Facebook wird damit versucht, die Psychologie des Menschlichen Gehirn zu „hacken“, um noch profitabler zu sein und noch mehr Wachstum zu erreichen.
„Bist du noch Herr deines Bewusstseins oder werden wir längst ferngesteuert?“
In diesem Zusammenhang kann man auch die Erfindung der “Emojis” beleuchten: Einst entwickelt um mehr Menschlichkeit in die damals unbelebte Welt der Chats beziehungsweise Humor oder Ironie auszudrücken und Missverständnisse zu vermeiden, haben sie sich heute in ein zeitgenössisches Instrument verwandelt, das dabei helfen soll, seine Emotionen auf einen viereckigen Kasten zu übertragen.
Worte sagen mehr als Emojis ausdrücken können.
Wer noch einen Schritt weitergehen möchte um mehr Distanz zu der fiktiven Welt zu bekommen, der kann sich feste Kommunikationszeiten setzen. Damit gemeint sind feste Zeiten, an denen wir für Familie, Freunde und Kollegen telefonisch erreichbar bist. Das klingt für den einen anfangs vielleicht etwas Retro oder für den anderen sehr radikal, aber durch das ständige Austauschen von Emojis geht etwas ganz Wesentliches unserer menschlichen Natur verloren – und zwar der gesunde Austausch mit Worten. Mittlerweile gibt es circa 3.304 Emojis (Zahl wachsend): egal ob Toilettenpapier, Krankenwagen oder Pommes. Umgangssprachlichsten Begriffe lassen sich nun mit Emojis ausdrücken.
Damit hängt auch die Frage von der Verwendung von Emojis zusammen, denn die meisten von uns haben ihre eigene kleine Sammlung an Emojis, aus der man sich bei Bedarf den nach seinen Emotionen für richtig erachteten Emoji aussucht – aber vermittelt dies dann auch die Emotion, die du der Person in einem persönlichen Gespräch vermittelt hättest, oder werden Emotionen durch die Komprimierung von Worten, Gesichtsausdrücken, Mimiken und Körperhaltung auf kleine, meist runde Gesichter erst verzerrt?
Tipps für mehr „Digital Health“
Natürlich lässt sich immer viel kritisieren. Deshalb kommen hier ein paar konkrete Beispiele, wie ihr euren Alltag auch mit Social Media und Smartphone vielleicht etwas gesünder gestalten könnt – Stichwort „Digital Health“.
App-Limits
Den ersten Tipp werden viele von euch wahrscheinlich schon kennen, trotzdem ist er einer Erwähnung wert – zumal er sich schnell und einfach umsetzen lässt: App-Limits. Mit dieser Funktion könnt ihr euch ein tägliches Zeitlimit für bestimmte Apps einstellen, die danach für den Rest des Tages gesperrt werden. Allerdings ist hier auch etwas self-control gefragt, denn zumindest auf IOS-Geräten lassen sich diese Sperren einfach umgehen (aka „Noch eine Minute“).
Kein Display vor dem Schlafen & nach dem Aufstehen
Die App-Limits kann man aber noch ein Stück weiter tragen und sie auf generelle Schlafenszeiten anwenden: Dann werden alle Apps für euren festgelegten Schlafzeitraum – beispielsweise von 23 Uhr bis 7 Uhr – gesperrt und Mitteilungen automatisch nicht mehr angezeigt. Eine Daumenregel, an die ihr euch dabei halten könnt, lautet: Ungefähr eine Stunde vor dem Schlafen und ungefähr eine Stunde nach dem Aufstehen möglichst nicht auf ein Display schauen. Das hat jeweils unterschiedliche Gründe: Wenn wir abends vor einem Display sitzen (oder auch liegen), dann sendet dieses unter anderem blaues Licht aus, das im Gehirn die Produktion von Melatonin – unserem „Schlafhormon“ – hemmt. Oder wie Jan Söffner es einmal in einem ZU|Daily-Artikel formulierte:
„Wenn ich nachts arbeite, denkt mein dem Bildschirm ausgesetztes Gehirn, es sei Tag – und weil es so dumm ist, kann ich nach der Arbeit dann nicht schlafen.“
Natürlich ist diese Erkenntnis in der Tech-Branche mittlerweile kein Novum mehr: Features wie der berüchtigte „Darkmode“, der weiße Flächen – und damit das Blaulicht – möglichst stark reduziert, oder der „Night Shift“, der die Farbpalette des Displays in wärmere, gelb- orangene Spektren lenkt, wurden schon unlängst implementiert. Diese Features reduzieren zwar die Menge an blauem Licht, allerdings gibt es noch ein weiteres Argument dafür, sein Smartphone vor dem Schlafen nicht mehr zu benutzen: Die Stimulation. Wenn man gerade noch durch seinen Instagram-Feed gescrollt hat und sich dann direkt umdreht und schlafen will, fällt es dem Gehirn deutlich schwerer, von dem eben noch hohen Stimulationslevel runterzukommen und abzuschalten.
Der gleiche Aspekt trifft auch auf die Smartphone-Nutzung direkt nach dem Aufstehen zu: Denn in den ersten Minuten nach dem Aufstehen ist unser Bewusstsein besonders empfänglich für Reize aller Art. Wenn wir dann aber mit allen möglichen Nachrichten und Mitteilungen konfrontiert werden, die sich über die Nacht angesammelt haben, kann das schon am Morgen schnell zu Stress und Überforderung führen. Zudem „primen“ wir unser Gehirn damit für den nun folgenden Tag: Wenn wir schon unmittelbar am Morgen abgelenkt sind, dann fällt es uns im Laufe des Tages schwerer, einen guten Fokus aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Es ist also tatsächlich so: Der Morgen macht den Tag – auch ganz ohne einen gewissen Brotaufstrich, an den eben bestimmt einige von euch denken mussten. 😉
Jetzt soll es aber zwei konkrete Tipps geben, wie ihr euren Morgen ohne Frühstücks- Aufstrich so gestalten könnt, dass ihr im Laufe des Tages keinen Fokus-Abstrich mehr machen müsst:
1. Schaltet am vorigen Abend den Flugmodus an und nehmt ihn erst nach ca. einer Stunde nach dem Aufstehen wieder raus – so vermeidet ihr direkt mit Nachrichten konfrontiert zu werden, selbst wenn ihr euer Smartphone als Wecker nutzt.
2. Sucht euch Ersatzaktivitäten für die sonst übliche morgendliche Smartphone-Nutzung. So kann der Impuls, sein Smartphone zu checken, auf eine andere Aktivität, wie etwa Meditation, Exercise, Journaling oder das Vorbereiten eines guten Frühstücks „umgelenkt“ werden. Ohne eine solche Ersatzaktivität fällt es sonst deutlich schwerer der Versuchung nach dem Apple zu greifen, zu widerstehen.
Single-Purpose-Nutzung
Ein weiterer Tipp dreht sich rund um den Ansatz von „single purpose“-Geräten. Der Kerngedanke hinter diesem Ansatz ist, sich die Freiheit zu nehmen, für dedizierte Aufgaben und Lebensbereiche dedizierte Geräte zu verwenden: Zum Musik hören etwa einen mp3- Player, zum Fotografieren eine Kamera, zum Schreiben Stift und Papier, zum Aufstehen einen klassischen Wecker, etc. Doch soweit muss man gar nicht gehen – leben wir ja auch in Zeiten, in denen wir uns weniger materielle Dinge anschaffen wollen. Ein erster wichtiger Schritt ist schon getan, wenn wir bereits auf unseren Displays für eine „single-purpose“- Nutzung sorgen. Das beinhaltet etwa die Angewohnheit, Programme immer im Vollbildmodus zu verwenden, sodass man durch keine überflüssigen Symbole abgelenkt wird. In Word gibt es diesbezüglich den „Fokus“-Modus, der alles ausblendet außer das Dokument selbst (obviously) und in dem gerade auch diese Zeilen verfasst werden.
Daran anschließend empfiehlt es sich auch, das Dock, auf dem die Programme feinsäuberlich aufgereiht sind, auszublenden. Auch diese kleine Maßnahme sorgt dafür, dass man deutlich weniger versucht ist die aktuelle Aufgabe zu unterbrechen, weil man durch den Anblick eines Programmsymbols (etwa die Mail-Briefmarke vom Mac) verführt wurde.
Der „single purpose“-Ansatz kann dabei noch auf viele weitere Aspekte des Digitalen angewendet werden. So empfiehlt es sich auch, immer nur das Programm geöffnet zu haben, das man für die aktuelle Aufgabe tatsächlich benötigt; genauso wie es sinnvoll ist, bestimmte Programme nur auf einem Gerät zu nutzen (I look at you WhatsApp-Web) und im Browser ein gutes „Tab-Management“ zu betreiben – meaning: Immer nur einen Tab auf einmal öffnen und nicht sieben Mal auf „in neuem Tab öffnen“ klicken, nur um anschließend in einen Zustand verwirrter Überforderung zu verfallen – was uns allen sicherlich schon mehr als einmal passiert ist.
Unterm Strich
Abschließend hoffen wir natürlich, dass euch dieser Artikel nicht in einen Zustand verwirrter Überforderung versetzt hat. Die oben aufgeführten Tipps sind allesamt meist kleine Veränderungen, die trotz des hektischen Uni-Alltags relativ einfach zu integrieren sind. Doch sollt ihr euch jetzt nicht dazu gezwungen fühlen, jeden dieser Tipps direkt umzusetzen. Vielmehr können diese erstmal als Anstoß dienen, euch und eure digitalen Gewohnheiten genauer zu beobachten: Wenn ihr morgens direkt ans Smartphone geht, wie geht es euch dann den für Rest des Tages? Wie gut könnt ihr euch konzentrieren, wenn ihr auf eurem Bildschirm neben eurer Aufgabe auch noch Outlook, Slack und WhatsApp-Web offen habt? Wenn ihr dann feststellt, dass einige dieser Dinge euch eher beeinflussen als andere, könnt ihr die entsprechenden Tipps in euren Alltag einbauen und schauen, ob sie einen Unterschied machen.
Noch ein kleiner Nachtrag: Der Artikel ist zusammen mit Jan Malte entstanden, allerdings können wir immer nur einen Autor pro Artikel angeben