Der Fotograf Paul Mpagi Sepuya inszeniert sich und seinen Bekanntenkreis in fragmentarischen, collagenartigen Portraits – und entwirft damit eine neue queere Bildsprache. Yannick hat für uns in Amsterdam seine erste Einzelausstellung in Europa besucht.
Zunächst sind die Fotogafien von Paul Mpagi Sepuya nicht sehr auffällig. Dezente Farben und Spiele mit Belichtung lassen einheitliche, harmonische Konstellationen entstehen. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man verschiedene, sich überschneidende Bildflächen in Form drei- oder viereckiger großer Splitter, die den Fotobereich abdecken. Um sie herum sind nicht nur die Gliedmaßen von Sepuya selbst, sondern auch die anderer Modelle zu sehen. Mal bekleidet, mal nackt, hinter hervorgehaltenem Stoff oder sitzend hinter einer Trennwand. Die Bildwelt erweist sich als vielfältig und lädt zum Entdecken ein. Kleinere Objekte wie Kleidungsstücke, eine Flasche oder eine Pflanze zieren den unteren Bildbereich. Alles organisiert im klaren Licht seines Studios.
Man erkennt alles, sieht aber nichts in vollständiger Form. Erst zusammengesetzt ergeben die Teile das vollständige Bild. Die Modelle offenbaren sich und die Teile ihres Körpers bruchstückhaft, wirken nahbar und verletzlich. Diese Art des figurativen Portraits bietet einen Spielraum, den Sepuya zu nutzen weiß. Nicht nur fängt er Gesten und Momente ähnlich eindrucksvoll ein wie der Künstler Henri Cartier-Bresson in seinen schwarz-weiß Fotografien – das Subjekt ist zudem häufig Sepuya selbst. Es geht um Sepuya – den Homosexuellen, den Schwarzen, den Amerikaner – und um die Vielzahl an Geschichten, die er durch die Portraitierung seiner selbt und der Mitmenschen seiner sozialen, kreativen oder sexuellen Kreise erzählt. Beim Zusammensetzen werden diese Geschichten spürbar. Dass der Fotograf eigentlich nicht daran glaubt, den „richtigen Moment“ festhalten zu können, macht sein Werk besser greifbar. Es wird dem Menschen im Moment und in der Bewegung gerechter.
The work is improvised. But that improvisation leads to strategies that can help guide or structure the pictures. I have the mirror(s), two cameras, a still life or observation, a portrait, and the material accumulated in the studio. In a sense, I’m asking a question and I have those tools for answering it.
– Paul Magi Sepuya
So wie sich unsere Realität durch Zusammenfügen und Verarbeitung vieler einzelner Wahrnehmungen zusammensetzt, setzt Sepuya seine Elemente zu einem Bild zusammen. Die einzelnen Bilder unterscheiden sich in ihrer Komplexität, aber die Idee ist immer die selbe.
Dabei wird auch eine Anlehnung an die gesellschaftliche Konstruktion des Geschlechts deutlich. Viele Eigenschaften ergeben zusammengesetzt das Bild Mann oder Frau. Vorsichtig und ohne jegliche moralische Konnotation lenkt der amerikanische Fotograf unseren Blick vom traditionellen „Male Gaze“, dem aus der Filmtheorie entlehnten, „aktiv-männlichen, kontrollierenden und neugierigen Blick“ hin zum „queer gaze“, der Betrachtung von Körpern ohne klar heteronormative Deutungsmuster. Zweifelsohne entsteht Intimität hier auch durch die Verwurzelung der fotografischen Arbeit in realen Lebenssituationen, Freundschaften und Beziehungen. Auf ähnliche Art hatte bespielsweise auch der Fotograf Ren Hang durch seine Arbeit mit Freunden große Vertrautheit und deutlich mehr Nähe in seinen Arbeiten demonstieren können.
Achtet man auf die Collagenartigkeit in der die Ebenen der Bilder zusammengesetzt sind, fühlt man sich in die eigenen Jugendjahre zurückversetzt. Jenes jugendliche Interesse am Sammeln, Zusammenfügen und Konstruieren von Bildern, die in vielen Fällen unvollständig bleiben, wird in der Ausstellung in Amsterdam neu erweckt und lädt zum Erkunden ein. Vieles muss aktiv selbst zusammengesetzt werden, doch dieser Prozess wird durch ein dichtes Netz von Referenzen und Selbstreferenzen entlohnt.
Dabei soll Sepuyas Arbeit jedoch immer noch formell und konzeptionell offen bleiben – den Zuschauer einladen, sich ohne Tabuisierung und lauten Aufschrei persönliche Fragen der Identitätspolitik zu stellen. Sepuya liefert einen Denkanstoß, auf neue Art über Maskulinität und vor allem über Queerness nachzudenken – einen Anstoß, der beabsichtigterweise unvollständig bleibt.