Es sind politisch bewegte Zeiten – auch für Journalisten. Ihre Aufgabe ist es, ein möglichst differenziertes Bild vom undurchsichtigen Treiben auf der politischen Bühne zu zeichnen. Und das tun sie, um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen, auch oft. Doch in die abwägenden, seriösen Töne mischen sich zuletzt immer mehr die schrillen: Häme, Spott und fragwürdige Kampagnen gegen einzelne Personen. Ist das vertretbar? Welche gesellschaftliche Verantwortung haben die Medien in der heutigen Zeit? Und wie können sie verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen? Eine kritische Betrachtung.
Gabor Steingart, bis vor Kurzem Herausgeber des Handelsblatts, ist ein renommierter Journalist, der die schrille Klaviatur bestens beherrscht. In seinem Morning-Briefing, das er allmorgendlich an immerhin rund 700.000 Abonnenten verschickt, phantasierte er vor gut drei Wochen von einem von langer Hand geplanten Mord an Sigmar Gabriel, ausgeführt von Martin Schulz. In seinem Text hieß es unter anderem: „Wenn kein Zucken der Gesichtszüge mehr erkennbar ist, will Schulz den Tod des Freundes aus Goslar erst feststellen und dann beklagen. Die Tränen der Schlussszene sind dabei die größte Herausforderung für jeden Schauspieler und so auch für Schulz, der nichts Geringeres plant als den perfekten Mord.“
Steingart ist bekannt für seine spitze Feder, seine oft bildhaften Ausführungen und Übertreibungen, in denen viele seiner Protagonisten nicht allzu gut wegkommen. So auch in diesem Fall: Er wollte veranschaulichen, wie Martin Schulz Sigmar Gabriel bei der GroKo-Postenvergabe geschickt überging und sich vermeintlich selbst das Amt des Außenministers sicherte. Es ist Steingarts gutes Recht, ja sogar die Pflicht eines jeden unabhängigen Journalisten solche politischen Vorgänge kritisch zu beurteilen. Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie ermöglicht zum Zweck der Zuspitzung auch pointierte, nicht vollends auf die Realität bezogene Äußerungen. Und trotzdem ist es bedenklich, wenn ein erfahrener Journalist einem Spitzenpolitiker einen (politischen) Mord andichtet. Denn nicht alles, was theoretisch sagbar erscheint, sollte zwangsläufig auch gesagt oder geschrieben werden. Auch für Journalisten gilt: Die Form ist mindestens so wichtig wie der Inhalt. Dabei geht es nicht um Sprechverbote, eine selbst auferlegte Zensur oder das Befolgen der „Politischen Korrektheit“. Vielmehr steht die Frage im Vordergrund, welche gesellschaftliche Verantwortung Journalisten und Medienmachern zufällt; sowohl ihren Lesern und Zuschauern, als auch den Protagonisten ihrer Berichterstattung gegenüber. Und dabei geht es am Ende des Tages vor allem um eines: Respekt.
Gewiss, kurzfristig lassen sich schrille Nachrichten und „Empörungsjournalismus“ im Angesicht eines zunehmenden ökonomischen Drucks auf viele Medienhäuser besser verkaufen. Doch langfristig trägt solch eine Art der Berichterstattung nicht nur zu einem Ansehensverlust der Medien, sondern auch zur Beschädigung des demokratischen Diskurses bei. Journalistische Verantwortung beginnt dort, wo die von pöbelnden Internetnutzern, Komikern und Stammtischweisen aufhört: Journalisten müssen die Wirkung ihrer Worte immer im Blick haben. Nicht umsonst heißt es im Pressekodex des Deutschen Presserates: „Es widerspricht journalistischer Ethik, mit unangemessenen Darstellungen in Wort und Bild Menschen in ihrer Ehre zu verletzen.“
Wer Politikern immerzu Unfähigkeit und fehlende Bodenständigkeit unterstellt, sie öffentlich diffamiert oder von oben auf sie herabschaut, der darf sich nicht wundern, wenn sich dieser Eindruck in zunehmend mehr Köpfen zu verfestigen scheint. Anti-Establishment-Haltungen und Politik(er)-Verdrossenheit werden nicht nur, aber auch durch eine Medienberichterstattung befördert, die unterschwellig den Eindruck vermittelt: „Die da oben bekommen nichts auf die Reihe, denen geht es nur um sich selbst.“ Wer wie Steingart noch dazu Gewaltphantasien bewusst als stilistisches Mittel verwendet, der macht sich ein Stück weit angreifbar, wenn es darum geht, diejenigen im Diskurs zu stellen, die tatsächlich Hass und Gewalt predigen.
Die Verrohung der Sprache, die in den letzten Jahren zunehmend zu beobachten war, darf sich nicht auf die Redaktionsbüros ausbreiten. Es ist besorgniserregend genug, dass die sozialen Netzwerke vielfach zu Arenen der Wut geworden sind, in denen persönliche Diffamierungen und Erniedrigungen auf der Tagesordnung stehen. Traditionellen Medien sollten sich jene Aggressivität der Sprache und des Umgangs niemals zu Eigen machen.
Dazu gehört auch, auf fragwürdige Kampagnen gegen einzelne Personen oder Parteien zu verzichten. Nicht zuletzt der Fall des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulf sollte für die Medienbranche eine Mahnung sein. Das gilt auch für die Bild-Zeitung, die mit einer Auflage von 1,6 Millionen immerhin die meistgelesene deutsche Tageszeitung ist. Vergangene Woche berichtete sie auf der ersten Seite von einer angeblichen Verbindung des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert nach Russland. Die Echtheit der Mails, die jene Verbindungen bestätigen sollten, war von vornherein fragwürdig. Das gaben die Bild-Redakteure im hinteren Teil der Zeitung selbst zu; wie sich hinterher herausstellen sollte, waren die Mails Fälschungen des Satire-Magazins Titanic. Dass die Bild-Zeitung trotzdem über den Vorgang berichtete, ist selbst dem Niveau einer Boulevardzeitung unwürdig. Es lässt die Vermutung zu, dass Kühnerts Ruf gezielt in Frage gestellt werden sollte.
Doch nicht nur Kühnert, auch die SPD scheint ins Visier geraten zu sein. Zuletzt füllten Redakteure der Bild-Zeitung einen SPD-Mitgliedsanstrag für einen Hund aus, um damit die vermeintliche Fragwürdigkeit des SPD-Mitgliedervotums über die große Koalition zu untermauern. Gleichzeitig inszenierte sich das Springer-Medium als Bewahrer der Demokratie. Mit journalistischem Anstand oder sachlicher Kritik hat das wenig zu tun – im Gegenteil: Es soll negative Gefühle beim Leser hervorrufen oder bestätigen. Man muss Politiker oder Parteien nicht mögen. Man muss auch nicht ihre Positionen teilen. Aber man muss – bei aller berechtigten Kritik – respektvoll und anständig mit ihnen umgehen.
Nun mag man entgegen, dass gerade eine weniger polarisierende und meinungsstarke Berichterstattung Wasser auf die Mühlen derer sei, die in den Medien den verlängerten Arm der Politik sehen. Immerhin vertrauen einer aktuellen Umfrage zufolge nur 41 Prozent den deutschen Medien. Doch zu glauben, Medien können das in Teilen verloren gegangene Vertrauen nur zurückgewinnen, wenn sie so laut und abwertend wie möglich berichten – um dadurch ihre kritische Haltung gegenüber der Politik zu demonstrieren –, ist ein gefährlicher Trugschluss. Lautstärke sollte nie über den Ton hinwegtäuschen. Journalisten können gerade dann unangenehm sein, wenn sie weniger polarisierend, weniger spöttisch berichten.
Dazu ist vor allem eines notwendig: Differenzierung. Sowohl inhaltlicher, als auch stilistischer Natur. An Stellen, an denen Twitter, Facebook und Co. zu Schwarz-Weiß-Denken neigen, müssen traditionelle Medien verschiedene Sichtweisen und Argumente aufzeigen – auch solche, die nicht zwangsläufig die eigene Ansicht wiederspiegeln. Medien sind in erster Linie Dienstleister, sie tragen zur Meinungsbildung der Bevölkerung bei. Das verbietet eine Bevormundung des Lesers und Zuschauers. Sie müssen in der Lage sein, sich ihre eigene Meinung zu bilden.
Spott, Diffamierungen oder persönliche Herabwürdigungen sind bei alledem unangebracht. Wer sich als Journalist oder Medium der Aufmerksamkeit willen gezielt dieser Klaviatur bedient, der spielt das gefährliche Spiel der gesellschaftlichen Scharfmacher und sägt gleichzeitig an der Daseinsberechtigung des Journalismus. Man mag also dem einen oder anderen Medienmacher dieser Tage zurufen: Ein wenig mehr Respekt, bitte!