Am Montag (11.04.) wurde mit der neuesten Insa-Umfrage noch einmal deutlicher, was sich seit Monaten zeigt: Die alten Volksparteien CDU/CSU und SPD verlieren ihre Stellung: Zusammen kommen sie in neuesten Trends auf ca. 52 Prozent; eine „große“ Koalition sieht eigentlich anders aus. Gleichzeitig klettert die rechtspopulistische AfD auf Werte zwischen 12 und 14 Prozent. Über die Gründe und Implikationen der Verschiebung in der deutschen Parteienlandschaft wird fast schon philosophisch diskutiert, die Parteien selbst hingegen müssen kurz- und langfristige praktische Strategien entwickeln, um Stimmen zurückzugewinnen. Doch was ist dabei die erfolgsversprechende Taktik, Kernprogramm überarbeiten und Zugeständnisse machen oder abgrenzen und alte Inhalte beschwören?
Wir lassen ab jetzt Aspekte außen vor, sind blauäugig oder überkritisch und vertreten nicht unsere eigene Meinung, um uns der ideologischen Frage zu widmen:
Sollten die Volksparteien auf die Wähler der AfD zugehen oder sich weiter von der Partei abgrenzen, um zum Erfolg zurückzukehren?
Die Wähler dürfen nicht ignoriert werden
Vieles an der Debatte, die wir zurzeit über die AfD führen, erinnert mich an die Diskussionen vor etwas mehr als einem Jahr, als es um die damals noch relativ junge Pegida-Bewegung ging. In beiden Fällen sind es enttäuschte Menschen, die sich Gehör verschaffen wollen, ob auf der Straße oder an der Wahlurne. In beiden Fällen berufen sie sich auf ihre demokratischen Grundrechte, das Wahl- beziehungsweise Demonstrationsrecht, um ihre Forderungen, ihre Enttäuschung oder zumindest eine Menge destruktive Energie zu artikulieren. Und in aller Regel lösen beide Gruppen zumindest bei mir mit erschreckender Regelmäßigkeit einen üblen Brechreiz aus, wenn ich sie durch die Tagesschau oder meine Timeline bei Facebook geistern sehe.
Bei Pegida kommt das nicht mehr so oft vor. Ob die Bewegung im Sand verlaufen ist oder für die Nachrichten einfach nicht mehr interessant und neu genug ist, sei in diesem Moment mal dahingestellt. Dafür ist aber die AfD ständig in den Medien präsent, und daran wird sich zumindest während dieser Legislaturperiode wenig ändern. Wie zu den Zeiten, als Pegida gerade den Kinderschuhen entwuchs, müssen wir uns daher mit einer Reihe von Fragen auseinandersetzen: Was wollen die eigentlich? Was bewegt diese Menschen, einem Gauland, einer Petry oder einem Bachmann nachzulaufen? Sind sie vielleicht auf ihre eigene, Brechreiz verursachende Art, legitime Akteure in unserer Demokratie? Und, das ist das wichtigste, wie werden wir die wieder los?
Zugegeben: „Die“ gibt es nicht, darf es in einer Demokratie nicht geben. Es gibt nur Wähler der einen oder der anderen Partei. Die AfD ist das Problem, und mit ihr muss man sich auseinandersetzen, damit die Wähler dieser sich wieder von den Köpfen wie Petry, Gauland und Weidel abwenden. Das sind nämlich – Achtung, steile These – nicht alles Nazis, nicht alles Rechtsextremisten, homophobe Islamhasser oder Antidemokraten. Es handelt sich hier um Menschen, oft mit schlichten Gemütern, die einfach gehört wollen werden. Um des Gehörtwerdens willen. Sie sind den Herausforderungen einer komplexen Welt ausgesetzt und wollen aus dem Gefühl von Unsicherheit heraus eine Reihe von Themen platziert wissen, um sich aufgehoben fühlen zu können. Ähnlich war es bei der Pegida. Hier wurde lange eine Ausgrenzungsstrategie gefahren, Politiker der etablierten Parteien sprachen von „Chaoten“ und „Pack“. Hätte man die Menschen damals auf der Straße abgeholt und ihnen das Gefühl gegeben, dass sie gehört werden, wäre die Situation vielleicht um einiges entspannter entschärft worden.
Das muss nun bei der AfD gelingen, bevor sie sich in den Parlamenten festsetzt. Sie platziert die Themen der Enttäuschten und Nicht-Gehörten, um mit der Unterstützung dieser Menschen ihre inhaltlichen Entgleisungen vorantreiben zu können. Dass das gelingt, zeigt vor allem die Erkenntnis der Landtagswahl: überraschend viele Arbeitslose, Menschen mit geringem Bildungsabschluss, Arbeiter und einfache Menschen haben AfD gewählt– also eigentlich SPD-Klientel, wenn man von einem sehr klassischen Wählerbild ausgeht. Dass diese Menschen nun ihren eigenen Schlächter wählen, zeigt, wie wenig sie sich mit der Partei auseinandergesetzt haben.
Deswegen sollten die Volksparteien diese Themen besetzen und das tun, was Volksparteien nun einmal tun: Was die Mehrheit will. Und wenn die Mehrheit will, dass es viermal die Woche in öffentlichen Küchen Schweinefleisch gibt, halte ich persönlich das aus vielen Gründen für falsch, aber so ist eben Demokratie. Damit würden die „großen“ Parteien zeigen: Wir hören euch, wir befassen uns mit euren Anliegen, die ihr im demokratischen Prozess artikuliert habt.
Wenn die etablierten Parteien der AfD die Maske des „wir hören die Enttäuschten und Unverstandenen“ so herunterreißen würden, käme darunter auch für den letzten Protestwähler die hässliche Fratze der selbsternannten Alternative zum Vorschein. Dafür müssten wir vielleicht viermal die Woche Schweinefleisch auf der Karte ertragen. Aber so viel Demokratie muss man in einer Demokratie auch mal aushalten.
von David Mairle
Es ist nicht stur, Rückgrat zu beweisen
Die CDU und die SPD haben verlernt, um Stimmen zu kämpfen. Die immer geladeneren und aufwändigeren Wahlkämpfe der vergangenen Jahre haben nichts daran geändert; erst recht nicht am Wählerwillen. Mit Inhalten oder auch mit einem Profil mitreißen, das kann kaum noch eine Partei. Doch gerade im Oppositionsloch nach 2013 haben die kleineren Parteien gelernt, wie sonst noch gekämpft werden kann:
Die FDP kämpfte skurril in Hamburg und Bremen, warf sich in ihr Außenseiterimage und vermittelte etwas, was man bei den „Liberalen“ lange nicht mehr gesehen hatte: Bürgernähe.
Die Grünen kämpften mit Kretschmann. Frei nach dem Motto „man trägt sein Gesicht da, wo man es hat“ standen sie mit einem Staatsmann im Ring, der wie kein Zweiter den Grat zwischen Pragmatiker und Mitläufer beschreitet.
Die Linken kämpfen kaum. Lassen wir sie für heute außen vor. Mit Grabenkämpfen, ohne Linie, mit Verwirrung, ohne Leidenschaft eiert die Partei durch die Wahlen und hat jetzt, wo selbst Rot-Rot-Grün keine Perspektive mehr ist, nicht mal mehr einen heimlichen Traum, für den sie sich schämt.
Und die AfD kämpft mit niederen Emotionen. Hass, Angst, Verunsicherung, Wut, Abgrenzung, Trotz, Neid – menschliche Gefühle, die mit Politik nichts zu tun haben, werden von der AfD bespielt. Und zwar bei Leuten, die ebenfalls mit Politik nichts zu tun haben. Die Anti-Partei liest aus dem Populismus-Handbuch vor.
Der Rundumblick sollte sowohl der CDU als auch der SPD klar zeigen, dass sie ein Kampfprofil brauchen. Gerade jetzt, wo die Parteiendemokratie sich noch einmal in den Ring zu werfen scheint, müssen die Schwergewichte von einst nicht mehr verwalten, aussitzen und hinterherrennen. Sie können sich abgrenzen, indem sie klare inhaltliche Politik betreiben und glaubwürdig verteidigen. Die zwei Parteien haben dabei (reduziert) jeweils ein Problem: Der SPD fehlt es an Glaubwürdigkeit und dem Personal, um Inhalte zu verteidigen. Die CDU auf der anderen Seite hat keine klare inhaltliche Politik.
Profilierung ist für beide Parteien möglich und nötig, aber es wäre ein fataler Fehler, sich durch einen Sprung auf den band waggon zu profilieren, wie es Horst Seehofer wieder und wieder tut. Denn auch wenn ein Teil der Bevölkerung mit den Rattenfängern der AfD sympathisiert, erreicht man die gemäßigten unter ihnen nicht durch eine Legitimation der gefährlichen Thesen der „Alternative“. Die Mehrheit der Deutschen stimmt nicht mit rückständigen Forderungen nach Abriegelung und Homogenisierung überein, auch nicht die Konservativen. Und genau an diesem Punkt muss die CDU angreifen: Bald 12 Jahre Merkel haben gezeigt, wie man regiert, nicht aber wie man konservative Politik macht. Definitionen, Signale, Aufklärung, Besinnung. All diese Instrumente können helfen, die angstbürgerliche Spreu vom bürgerlich-konservativen Weizen zu trennen, ohne dabei einen Linksdrift zu erfahren. Zweifellos versuchen manche in der CDU sich an dieser Taktik, doch Querschläger wie BW-Spitzenkandidat Guido Wolf verwässern das inhaltliche Profil wieder. Die Christdemokraten müssen sich für die Post-Merkel-Ära rüsten, damit die Wählerschaft künftig nicht mehr nach der richtigen bürgerlichen Partei suchen muss.
Weitaus dramatischer sieht die Lage für die Sozialdemokraten aus: 20 Prozent sind zwar kein Schritt in die Bedeutungslosigkeit, wie viele behaupten; ein Schritt zurück waren die letzten Jahre dennoch (wenn nicht sogar einige große Schritte). Dabei ist sozialdemokratische Politik in vielen Policy-Feldern nötig und sogar allseits anerkannt. Dass die SPD wichtige Gesetze auf den Weg bringt und als kleiner Koalitionspartner gute Arbeit leistet, kann Sigmar Gabriel so lange vor sich her beten, bis er abtritt – Wähler bringt es ihm keine. Denn die SPD hat keine profilierten, sympathischen und geradlinigen Führungskräfte, bis auf Steinmeier, der nach vergangenen Niederlagen nicht die Zukunft der Partei ist. Die SPD setzt sich auch in der zweiten Großen Koalition nicht mit ihrer eigenen Identität auseinander und so langsam wird ein wenig Reflexion überfällig. Die Inhalte, Ideen und Projekte sind da. Doch eine neue Spitze muss mit dem Verkauf dieser Projekte beginnen, klar und deutlich. Flirts nach rechts, wie wenige Ortsverbände der SPD sie immer wieder betreiben, werden den Partei-Mainstream nicht erreichen und sind deshalb genauso schädlich wie das bewusste Schweigen in prekären Fragen – sei es Justiz oder Rüstung. Letztlich ist es die alte Leier vom sozialdemokratischen Kern, die ich besinge und die durch die schreckliche Führungsriege zugrunde gesungen wurde. Der Kern sozialdemokratischer wie auch christdemokratischer Politik im Jahr 2016 muss aber neu gedacht werden: Die Bevölkerung muss wieder von der Politik verstanden werden – holt man sie in ihrer aktuellen Lage ab und bietet verständliche Alternativen zur „Alternative“, ist viel getan.
Da wo die CDU ihre Kraft auf neue Inhalte lenken muss, braucht die SPD Kraft, um ihre Inhalte zu beleuchten. Eine Schieflage brauchen beide Parteien nicht, denn ein kompletter Rechtsrutsch der Bevölkerung ist nicht zu erwarten und nie von Dauer. Und bergauf lässt es sich immer schwerer kämpfen.
von Phillip Käding