Vereint im Misstrauen
„Sie ruinieren unser Land.“ Es sind Sätze wie dieser von John*, die einen aufhorchen lassen. Mit sie meint er die überwiegend schwarze Bevölkerung Südafrikas. John ist Anfang 60, gehört der weißen Afrikaans-Minderheit an und unterrichtet an einer Grundschule in Potchefstroom, die ausschließlich von schwarzen Kindern aus dem benachbarten Township besucht wird.
Die Schule steht dabei sinnbildlich für die gespaltene Gesellschaft Südafrikas: Schwarze Kinder werden von überwiegend weißen Lehrern unterrichtet. Das allein besitzt zwar noch keine Aussagekraft, doch wer hinter die Fassade schaut, mit Lehrern und Schülern über Monate hinweg zusammenarbeitet, der merkt recht schnell: Das Verhältnis der beiden Bevölkerungsgruppen ist geprägt von großem Misstrauen. Vorurteile, versteckter Rassismus und eine hohe Kriminalitätsrate prägen die südafrikanische Gesellschaft auch mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Apartheid-Regimes.
Aber was sind die Gründe für das andauernde Klima des Misstrauens? Eine vollkommen zufriedenstellende Antwort dafür gibt es nicht, höchstens einzelne Erklärungsansätze. Da sind zum einen die offensichtlichen sozio-kulturellen Unterschiede, die dazu führen, dass es noch immer starke Separierungstendenzen im gesellschaftlichen Leben gibt. Die weiße Bevölkerung lebt in den Städten zumeist in Häusern, die aus Angst vor Kriminalität mit hohen Mauern oder Zäunen umgeben sind. Die große Mehrheit der schwarzen Bevölkerung dagegen lebt in den sogenannten Townships – die meisten von Ihnen aufgrund wirtschaftlicher Zwänge notgedrungen, immer mehr aber auch freiwillig. Nicht selten ziehen wohlhabendere Schwarze aus familiärer und kultureller Verbundenheit das Leben im Township dem in der Stadt vor. Auf den ersten Blick mag dieses Geflecht befremdlich wirken, auf den zweiten aber kann man für die Abwehrhaltung beider Seiten durchaus Verständnis aufbringen.
Zumindest leichte Abhilfe würde in diesem Kontext eine politische Führung schaffen, die mit ihrem Handeln Gleichheit und Gerechtigkeit vorleben und damit den Dialog und die Kooperation zwischen den kulturell diversen Bevölkerungsgruppen fördern würde. Doch davon fehlt in Südafrika momentan jede Spur. Das politische Führungssystem sowie der Verwaltungsapparat sind durchzogen von struktureller Korruption. Die stärkste Partei des Landes, der aus der Widerstandsbewegung heraus entstandene African National Congress (ANC), hat nach und nach wichtige Posten im Land mit ihm wohl gesonnenen Funktionären besetzt. Dementsprechend liegt Südafrika im aktuellen Korruptionsindex von 2014 auf Platz 67 – hinter seinen Nachbarländern Namibia (55) und Botswana (31).
Ein weiteres Problem, mit dem Südafrika zu kämpfen hat, sind die enormen Einkommensunterschiede. Mit einem Gini-Koeffizienten von 62,5 zählt das Land am Kap zu den aktuell vier ungleichsten Gesellschaften der Welt. Zwar erlebte Südafrika nach der politischen Wende von 1994 einen wirtschaftlichen Aufschwung, doch vom insgesamt wachsenden Wohlstand haben bislang nur wenige profitiert. Der Großteil der Bevölkerung lebt noch immer in ärmlichen Verhältnissen. Viele Schwarze fühlen sich deshalb verraten: Ihr Traum von einem Leben in Wohlstand, der vor mehr als zwei Jahrzehnten durch die Wahl ihres Nationalhelden Nelson Mandela zum Präsidenten hervorgerufen wurde, ist vielfach ausgeträumt. Verantwortlich dafür machen sie vermehrt auch die aktuelle politische Führung, allen voran den konfus agierenden Präsidenten Jacob Zuma. Der 73-Jährige verwendete zuletzt nicht nur öffentliche Gelder für den Ausbau seiner Privatresidenz, sondern brachte auch das Kunststück fertig, innerhalb von vier Tagen seinen Finanzminister gleich zweimal auszutauschen. Viele Weiße sehen die Entwicklungen in ihrem Land mehr als kritisch. So meint John, der die Situation zu Zeiten der Apartheid noch gut vor Augen hat, beispielsweise, dass Präsident Zuma und der ANC das Land herunterwirtschaften würden – eine Ansicht, die eine unterschwellige Abneigung gegenüber den Schwarzen beinhaltet. Wenn man John danach fragt, ob er die Zeit der Apartheid besser fand als die heutige Gesellschaftsform, ist seine Antwort eindeutig: Ja.
Auch in der schwarzen Bevölkerung brodelt es. Das zeigen nicht zuletzt die jüngsten Proteste überwiegend schwarzer Studenten gegen das aus ihrer Sicht ungerechte und zu stark an der Apartheid orientierte Bildungssystem. Das paradoxe aber ist: Trotz wachsender Unzufriedenheit mit ihrem Präsidenten werden die meisten Schwarzen, allen voran die älteren und die weniger gebildeten, auch in Zukunft den ANC wählen. Die Partei symbolisiert das Ende ihrer Unterdrückung vor mehr als zwanzig Jahren. Eine andere Partei zu wählen kommt für viele nicht in Frage, auch aus Sorge vor einer erneuten Unrechtsherrschaft durch die Weißen. Die Folge: Der ANC besitzt ein einzigartig langfristiges, demokratisch legitimiertes Gewaltmonopol – ein Zustand, der wenig Raum für Fortschritt und Erneuerung bietet. Allein die junge Generation, die nicht unter dem Eindruck des Apartheid-Regimes steht, könnte sich auf lange Sicht vom ANC lösen und damit einen Politikwechsel herbeiführen.
Eines steht fest: Südafrika hat einen steinigen Weg vor sich hat. Es wird dauern, bis das Land auch nach innen jene tolerante und friedlich zusammenlebende Regenbogennation ist, als die es sich nach außen hin schon jetzt gerne präsentiert. Wie lange, das wird nicht zuletzt von der Entwicklung des politischen Systems abhängen. Nicht auszuschließen, dass Lehrer John „bessere Zeiten“ nicht mehr erleben wird.
* Der Name wurde von der Redaktion geändert. Die Aussagen und Ereignisse sammelte Jakob während seiner achtmonatigen Arbeit an einer Schule in Potchefstroom.
super zusammengefasst.
Die aktuelle Entwicklung rund um Zuma wird dem ANC weiterhin schaden. Ob das allerdings einen politischen Wechsel bringt? Bleibt wohl eine rhetorische Frage.