H – ello. Begrüßt uns das Schild am Eingang zu einer Woche Pizza, Pasta und Pitchen. Italien, H-Farm. Der Blockkurs, den alle wollten. Und jetzt sind wir hier, irgendwo auf dem Land, in der Nähe von Venedig. Rechts ein Parkplatz und links ein Acker, nach Universität sieht es noch nicht aus aber die H-Farm ist ja auch exklusiv und einmalig innovativ.
Rechtwinklige, kerzengerade New-York-Block-Style-Wege verbinden die dunkelgrau-modern-minimalistisch-flachbedachten Campusgebäude, zäunen die knallgrünen Fußballfelder und leeren Rasenflächen ein, sind unser Highway zum Bistrot Amor. Wir werden von Jazz-Musik aus dem Off begleitet, während wir in Richtung Abendessen spazieren. Er wird lauter, dann wieder leiser, als würden wir uns darauf zu und wieder wegbewegen. Woher kommt die Musik?
Wir laufen neugierig zum einzig lebendigen Gebäude auf dem Campus. Sechs riesige goldene venezianische Masken mit langen Schnäbeln zieren das Glasgebäude des Bistrot Amor von außen, ihre kleineren Doppelgänger hängen über der Bar. Sie blicken undurchsichtig lächelnd von oben auf uns herab. Wir sind allein mit einer jungen Frau hinter dem Tresen. Wo sind die 3000 Menschen, die hier studieren und arbeiten?
Im Glashaus werfen wir mit Vouchern. Dabei füllen wir unsere hungrigen Bäuche mit Pizzen vom Durchmesser einer Untertasse, Joghurt aus Espresso-Pappbechern und handflächengroßen Wraps. Wir können alles bekommen und bezahlen mit Papier. Die Tellerchen, Becherchen und das eingepackte Besteck werden dreimal am Tag weggeworfen. Ist ja alles kompostierbar? Schlaraffenland. Und das 100 % klimaneutral.
Der hippe Vertical Garden an den Glaswänden, bestückt mit Basilikum, Salbei, Frühlingszwiebeln und Rosmarin, bildet das gesamte Spektrum eines Pflanzenlebens ab. Ich fühle mich an diesem Abend besonders mit einer verwelkten Minze verbunden, die ihre Blättchen erschöpft hängen lässt. Der Tag war lang – 24 Stunden eben. Zwei fröhliche Zitronenbäumchen versorgen uns in der frühen Winterdunkelheit mit Sonne. Müde mühen wir uns mit abendlicher Konversation und stoßen an, auf die Geschichte dieses Ortes mitten im Nirgendwo. Wir leben neben den kargen Äckern im Luxus, Villa Annia sei Dank.
Am nächsten Morgen entdecken wir den Ursprung der Musik. Grasgrüne Lautsprecher an jeder Wegkreuzung geleiten die wohlgedeihenden Entrepreneurs zwischen Incubator, Accelerator, Mensa und College hin und her. Der Tag beginnt mit Ed Sheeran, endet mit Don Giovanni und all die Stücke dazwischen werden zum Soundtrack unseres Lebens – und dem von Schülern und Studierenden. Oder zur hinterhältigen Indoktrination eines Entrepreneur-Spirit.
Das Gelände ist so weitläufig, dass sich die Studierenden und die Mitarbeiter weit verstreuen. Bunte Liegestühle grasen einsam auf dem Rasen. Ab und an versammeln sich die sportlichsten Entrepreneurs zum Fußballtraining auf dem Rasen. Dolce Vita. Fremde kommen hier nicht vorbei, es ist kein Ort, an dem irgendwer zufällig landet. Heute ist Feiertag.
Human-Farm.
Menschen-Farm.
Ja, ich übersetze das hier, obwohl ich weiß, dass ihr Leser alle selbst dazu in der Lage seid. Lasst euch diesen Namen jetzt einen Moment auf der Zunge zergehen, sprecht ihn aus, lasst ihn in eure Gehirnwindungen eindringen und durch die Synapsen tröpfeln.
Human-Farm.
Menschen-Farm.
Was wird auf dieser Farm gezüchtet?
Entrepreneur:innen. Seit 2005.
Der durch seinen Erfolg desillusionierte Gründer verfolgt die Mission, dass die zukünftigen Firmenchefs und Unternehmensgründer durch die Nähe zur Natur und dem Acker auch im Business und mit ihrem Mindset auf dem Boden bleiben. Sie sollen seinen Fehler nicht wiederholen. Das erfahren wir im Internet.
Ein Nachmittag. Inspirational-Talk. Der Speaker zeigt in seiner Power-Point-Präsentation das Bild eines schlichten, ursprünglichen Holzrades: „What do you see? Please describe.“ Wie zu erwarten, bleibt die Entrepreneurial-Audience erst einmal stumm. „Just describe, what you can see on this picture, it’s easy.“, versucht er das Publikum zu motivieren. Ein Entrepreneur aus der Reihe vor mir hebt die Hand. „Disruption“, antwortet er selbstbewusst. Der Speaker zieht die Augenbrauen zusammen und gibt ein undefinierbares Zustimmungs- oder Ablehnungsgeräusch von sich. „Describe what you can see“, ermuntert er erneut. Disruption war es wohl nicht. Ein anderer Entrepreneur traut sich: „Innovation“, sagt er stolz. Alles klar.
Beim Frühstück, als ich auf das „H-ello“-Schild in der wunderschön begrünten Gewächshausmensa blicke, denke ich darüber nach, inwiefern Institutionswortwitze eigentlich zur Entwicklung herausragender Persönlichkeiten beitragen. ZUhören, ZUkunft, ZUfall? Ich beiße in meinen mehligen Frühstücksapfel. Bis heute frage ich mich nach der weiteren Bedeutung von H-ello. Und, weil das doch eigentlich immer geht, auch nach dem Sinn.