Wenn man reist, entsteht oft die Situation, dass man in das Leben anderer Menschen hineinfällt. Man trifft ihre Freude, sieht ihr Morgengesicht, betrachtet die Bilder neben ihren Betten. Küsst ihre Mütter und schaut unter ihr Bett. Eine intensive Berührung. Und dann, nach einigen Tagen oder auch Wochen fällt man wieder raus. Zwei kleine tanzende Welten, die auf einander zufliegen, kollidieren, sich kurz in einander verzwirbeln und dann weiter jagen. Etwas von ihrem Kurs abgebracht.
Meine Reise führte mich von Deutschland über den Iran, in den Libanon. Davon möchte ich heute schreiben. Vom drinnen und draußen, vom Fusionieren und vom Auseinanderfallen.
Deutschland: Ich schaue durch die verdrehten Rollos, die verrenkt vor dem Fenster hängen. Draußen regnet es. Drinnen kratzt Samir die weiche Aubergine aus ihrer verkohlten Schale. Sie fließt auf den Teller, auf dem ich vorher mit einem kleinen Schnapsglas den Knoblauch zerdrückt habe. Der Knoblauchsaft nimmt außerdem das Salz auf. Samir nimmt nun eine Gabel zur Hand und vermischt alles. Das letzte was jetzt noch fehlt ist Tahin. Die Sesamcreme gibt dem Gericht den letzten Schliff und schon steht mein neu gewonnenes Lieblingsgericht vor mir: Mutabal in syrisch, oder Baba Ganoush auf libanesisch.
Libanon: Ein halbes Jahr später. Die selbe beige Creme, mit einem Olivenölsee in der Mitte. Über den See hinweg kann man den kleinen Hafen sehen, der von grünen Büschen und Palmen durchzogen ist. Es erinnert mich an ein Piratennest in der Karibik. Eigentlich handelt es sich aber um eine der ältesten dauerhaft besiedelten Städte der Welt: Byblos. Oder auf libanesisch: Jbeil. Die kleine Stadt beheimatet eine große Verteidigungsanlage, die zu dieser Jahreszeit mit blühenden Oleandern übersät ist. Sie lassen die verschiedenen Lagen der alten Stadt geheimnisvoll aufblühen.
Ein Volk, so alt und machtvoll, dass wir heute noch seine prunkvollen Bauten bestaunen können. Diese riesigen Weltreiche, sei es das römische oder das persische, schafften es durch eine gewagte Autonomiepolitik den untergeordneten Regionen mit all ihren vielfältigen Kulturen und Sprachen ihren jeweiligen Raum einzuräumen. Solange die Völker die Abgaben zahlten, wurde Freiraum gewährleistet. Das persische Reich zum Beispiel war schon immer ein Vielvölkerstaat und auch heute, bilden die Perser (die aus der iranischen Hochebene stammen) nur die Hälfte der iranischen Bevölkerung. Zu der zweitgrößten Gruppe gehören die Azeri. Außerdem gibt es Turkmenen, Luren, Araber und Kurden. In diesem Land werden eine Vielzahl von Sprachen gesprochen und die Azeri, die ich getroffen habe, beschreiben sich ebenso als Iraner. Genauso wie die Turkmenen, die im Nordosten des Irans leben.
Iran: Ich fahre mit meinem Freund Reza und seinen Freunden über eine mattgrüne Ebene. Der hellbraune Staub zieht sich bis weit unter die grauen Wolken. Über die Ebene sind Kamele verteilt, in großen Abständen zu einander grasen sie und lassen ihren Blick gleichmütig durch die Landschaft schweifen. Wir erreichen ein flaches Haus aus grobem Beton. Einige Frauen kommen aus dem Haus gelaufen, sie tragen farbenfrohe Kleidung und Kopftücher und sehen anders aus als die Iranerinnen, die sich meistens in dunklen Farben oder ganz schwarz kleiden. Sie zeigen uns das frischgeschlüpfte Kamelbaby. Es wird gestreichelt, angestarrt und berührt. Danach gibt es frisch gemolkene Kamelmilch und die Frauen laden uns nach drinnen in die Hinterzimmer ein, wo die handgemachten Teppiche geknüpft werden. Die persischen Teppiche sind weltberühmt. Jeder Region im Iran sind Farben, Muster und Material zugeordnet, welche die Region auszeichnen und besonders machen. Die Kamelmilch schmeckt sehr säuerlich, die feste Masse die auf der Oberfläche schwimmt greifen wir nun mit Brot und schieben sie in unsere Münder. Diese Kamelmilch ist Teil der Lebensgrundlage dieser Turkmeninnen. Das will nicht so richtig in meinem Kopf ankommen.
Als wir uns verabschieden, küsst eine alte Frau meine Hand. Ich kann ihr nur ehrfürchtig in die Augen starren, mich verwirrt umschauen, damit Reza mir begreiflich macht, dass ich nun ihre Hand küssen soll. Es ist eine Welt, die ich nicht ganz verstehe. Die Geschichte hat mit Baba Ganoush angefangen, einem Gericht, dass es bald in syrischen Restaurants in Friedrichshafen geben wird. Ein Faden, der sich von Deutschland, über den Libanon nach Syrien zieht. Ein weiterer Faden zog mich in den turkmenischen Teil des Irans, er zog sich durch das Fell der Kamele. Kollidierende Lebensentwürfe. Fäden, die trennen. Die zwischen uns verlaufen. Und Fäden, die aufgetrennt werden um das drinnen und draußen zu verbinden.
Zwei kleine tanzende Welten, die auf einander zufliegen, kollidieren, sich kurz in einander verzwirbeln und dann weiter jagen. Etwas von ihrem Kurs abgebracht.