Dag-Alexis Kopplin dreht sich eine Kräuterzigarette, neben ihm nippt Band-Kollege und Schulfreund Vincent Stein an seiner Cola – um die Stimme zu ölen, sagt er. Seit dem zwölften Lebensjahr kennen sich die beiden Mittdreißiger, die sich heute „SDP“ nennen und sich vom Verteilen ihres ersten Punk-Albums auf dem Schulhof zu einem Garant für Chart-Erfolge und ausverkaufte Hallen entwickelt haben. Das Konzert in der Neu-Ulmer Ratiopharm-Arena, erst kürzlich dorthin hochverlegt und trotzdem fast ausverkauft, bildet den Abschluss der wohl größten und erfolgreichsten Tour der Band-Geschichte. Bevor es im Sommer auf die größten Festivals Deutschlands geht, bringen die Berliner noch einmal über 5.000 Fans ins Schwitzen – mit Konfetti, einem Sarg auf der Bühne und einer wilden Mischung aus Rap, Pop, Rock, Punk und Ballermann-Beats. Kurz vor ihrem Auftritt im März sprachen die beiden mit Florian Gehm und Alina Zimmermann über unterschwellige politische Botschaften, Superheldenkräfte und den Albtraum vom Angestellten-Dasein.
Futur drei: Ihr spielt gleich Euer letztes Konzert, hochverlegt in die fast ausverkaufte Ratiopharm-Arena. Wie geht’s Euch nach einem wahren Tournee-Marathon?
Dag: Die Stimmung ist mental perfekt, aber die Stimme nicht mehr. Der Körper zeigt am Ende der Tour seine Symptome; aber unser Energie- und Motivationslevel ist ungebrochen hoch!
Vincent: Bei einer so großen Halle ist natürlich auch eine Portion Ehrfurcht dabei. Wenn ich jetzt tagsüber durch die Halle laufe, kann ich mir gar nicht vorstellen, dass das nachher voll wird – es ist ein bisschen so, als ob ich mir einen Film angucken würde.
Futur drei: Wenn man sich Eure Musik anhört, dann kann man sie kaum einem Genre zu ordnen. Was macht Ihr eigentlich – Punk, Schlager, Pop, Rap, HipHop?
Dag: Das fällt uns genauso schwer wie euch. Uns in Schubladen zu stecken funktioniert nicht. Daher ist unser Banddasein davon bestimmt, dass wir uns genau dieser Frage entziehen.
Vincent: Wir haben uns kennengelernt, da waren wir gerade einmal zwölf Jahre alt. Wir haben schon immer zusammen Musik gemacht – wir haben zusammen in einer Punkband gespielt und uns vor allem von unserer Motivation lenken lassen. Genau das hat uns von Anfang an gefallen und wir haben uns nie Gedanken darüber gemacht, ob wir beispielsweise eine Rockband sind und Rocksongs spielen müssen – sondern wirklich genau das gemacht, worauf wir Lust hatten. Und da wir beide total unterschiedlich sind und unterschiedliche Musik hören, ist eben jeder Song ein anderes Stück.
Dag: Aber unsere Konzerte sind auf jeden Fall Rockkonzerte – bis auf die Musik.
Futur drei: Viele Künstler in Eurem Alter nehmen von dieser Haltung Abstand, entwerfen lieber Konzeptalben und lassen sich auch vom kommerziellen Erfolg lenken. Wäre das eine Überlegung für Euch?
Dag: Noch finde ich Konzeptalben scheiße und hässlich – aber ich weiß, dass es Künstler manchmal einfach überfallen kann.
Vincent: Wenn wir morgen Lust auf ein Konzeptalbum bekommen, dann machen wir einfach eins! SDP ist eine riesengroße Spielwiese für uns und wir wollen uns darauf überhaupt nicht einschränken – wenn wir plötzlich ein Konzeptalbum nicht mehr als Einschränkung sehen, weil es uns auf einmal Spaß macht, dann kann es auch einfach passieren.
Dag: Vielleicht kann man es auch ganz einfach ausdrücken: Unser Konzept ist, dass es kein Konzept gibt. Jeder Song steht bei uns für sich – egal ob Liebeslied oder Rocknummer.
Futur drei: Trotzdem ziehen sich bestimmte Inhalte durch viele Eurer Songs – beispielsweise eine unterschwellige, politische Botschaft. Wollt Ihr mit erhobenem Zeigefinger sprechen oder habt Ihr auch da einfach Lust drauf?
Dag: Wir machen es gerade auf diese Art und Weise, weil wir nicht mit dem erhobenen Zeigefinger vorausgehen wollen. Natürlich haben wir zu vielen Sachen eine Meinung, aber wir versuchen diese Botschaften tatsächlich sehr unterschwellig einzubauen, sodass aber jedem mit einem gewissen Intelligenzquotienten klar wird, worum es uns geht.
Vincent: Für Typen wie uns geht das auch gar nicht anders – das ist unser Leben, das sind unsere Lieder. Und wenn wir über Themen schreiben, dann entscheiden wir selbst, ob wir auf der Klamauk-Ebene bleiben oder einen Satz einbauen, der eine Meinung transportiert. Verlogen wäre es, wenn man wabernde Metaphern aneinanderreiht und niemand versteht, was der Künstler denkt oder wer er ist. Ich würde aber gar nicht explizit von einer politischen Message reden – wir haben immer unsere Sicht auf die Dinge, die für sich wiederum politisch sind.
Futur drei: Ein weiteres Merkmal, das sich durch Eure Musik zieht, ist die Leidenschaft für Superkräfte – im Kampf gegen Zombies oder im Raumschiff über der Erde. Woher kommt diese Leidenschaft?
Dag: Unser Faible für Superhelden hat seinen Ursprung darin, wie wir aufgewachsen sind. Wir sind totale Kinder der 80er-Jahre.
Vincent: Nicht nur Comic-Superhelden, sondern alle Fantasiewelten aus Büchern, Comics und Rollenspielen vom Schwarzen Auge bis zu Star Wars sind in unseren Songs miteinander verwoben.
Dag: Auch das gehört alles zu unserem Leben – und unsere ganze Generation teilt diese Leidenschaften. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum viele Kinofilme und Spiele gerade so sehr gehypt werden. Außerdem wollten wir uns einfach gerne mal in solchen Superhelden-Kostümen sehen, als wir das Cover für unser aktuelles Album gestaltet haben. Jetzt können wir selbst das machen, was wir immer gesehen haben. Und das ist auch der Haupt-Spaßfaktor an der ganzen Sache.
Futur drei: Entstehen daraus auch Eure Ideen für die recht unkonventionellen Musik-Videos, die mit vielen Animationen oft im Comic-Stil gehalten sind?
Dag: Animationsvideos waren schon immer unser Ding – die machen wir zusammen mit unserem guten Freund Alexander Gellner, den wir schon aus der Schule kennen und der auch unsere Cover gestaltet.
Vincent: Wir nennen Alex manchmal das unsichtbare dritte Bandmitglied. Er hat seit unserem ersten Schulhofalbum die Cover und Animationvideos gemacht und ist genauso durchgeknallt wie wir. Zusammen lassen wir uns dann immer etwas Neues einfallen.
Dag: Und natürlich sind unsere Videos auch eine Frage der Umsetzbarkeit. Für unseren Song „Ich will noch nicht nach Haus!“, den wir zusammen mit Trailerpark aufgenommen haben, hätten wir gerne drei Tage lang gefeiert und daseinfach gefilmt. Doch nicht mal alle Band-Mitglieder wohnen in Berlin – und dann holen wir einfach Alexander ins Boot und heben das Video wieder auf eine animierte Ebene.
Futur drei: Wer im Internet nach Euch sucht, der findet wilde musikalische Vergleiche von Schlager-Witzbold Alexander Marcus bis zu den Rock-Legenden von den Toten Hosen. Gibt es überhaupt Vergleiche, mit denen Ihr Euch anfreunden könnt?
Dag: K.I.Z. ist zum Beispiel eine Band, die wir sehr schätzen und die wir schon immer gefeiert haben. Es gab einmal die Aussage, wir seien wie K.I.Z. nur mit weniger Tiefgang. Sowas wundert uns – gar nicht, weil uns die Musik nicht passt, mit der wir verglichen werden, sondern weil der Vergleich an sich nicht funktioniert und jemand unsere Musik dann offensichtlich nicht mal richtig gehört hat.
Vincent: Ansonsten freue ich mich über jeden Vergleich mit einer Band, die ich persönlich höre. Wenn man uns mit den Ärzten, den Toten Hosen oder Seeed vergleicht, dann freut mich das natürlich. Die Vergleiche zu Schlagerkünstlern kommen wohl daher, dass wir mal zwei oder drei, sagen wir, schlagerähnliche Songs gemacht haben.
Dag: Ich würde eher sagen, dass sind Songs, die auch beim Après-Ski gespielt oder von Schlager-Musikern gecovert werden. Und da bei uns so vieles ironisch zugeht, werden wir dann mit den bekanntesten ironischen Schlager-Künstlern wie beispielsweise Alexander Marcus verglichen, um diesen Teil unserer Musik damit zu beschreiben. Die Menschen lieben Schubladen und dann lassen wir ihnen diese einfach.
Futur drei: So lange wie Ihr schon Musik macht, fast so lange habt Ihr auch studiert. Bei Dag waren es Deutsche Philologie, Publizistik und Kommunikationswissenschaften und bei Vincent Musik-, Erziehungs- und Kommunikationswissenschaften. Klingt das nach einem guten Plan B zur Musik?
Dag: Musik war nicht immer Plan A und wir haben nicht alles auf eine Karte gesetzt und dann hat es geklappt – sondern wir beide haben sehr viel gemacht in unserem Leben. Nicht nur studiert und drei Arbeiten geschrieben, sondern auch wirklich gearbeitet.
Vincent: Ich bin auf jeden Fall für jeden Tag dankbar, an dem wir mit Musik unser Geld verdienen und solche Konzerte spielen können, zu denen so viele Leute kommen. Für mich wäre es auch in Ordnung, wenn ich etwas anderes machen würde – es gibt viele Sachen, in denen ich eine Befriedigung finden könnte. Man kann tausende Sachen machen um Geld zu verdienen, aber ich muss dabei auch wirklich glücklich werden. Ich habe viele Interessen, aber wahrscheinlich würde ich schon versuchen, trotzdem irgendwas mit Musik zu machen. Zum Beispiel haben wir beide schon mal bei einem Radiosender gearbeitet und dabei wirklich viel Spaß gehabt.
Dag: Bei mir sieht das etwas anders aus. Ich kann mir nur schwer vorstellen, irgendeinen normalen Job zu machen. Ich habe jahrelang neben der Musik als Parkour-Trainer gearbeitet und mir so meinen Lebensunterhalt zusammen verdient. Ich könnte mir aber nie vorstellen, irgendwo Angestellter zu sein und etwas zu machen, wo ich kein genaues Ziel habe, eine Lebenstätigkeit, die mir nichts bedeutet und bei der mir das Ergebnis egal ist. Arbeit muss mir einfach etwas bedeuten.
Den Eindruck, dass SDP auf der Bühne arbeiten, hat nach zwei Stunden voller bunt gemischter Musik wohl niemand in der Ratiopharm-Arena. Dass Dag und Vincent mit Leidenschaft bei der Sache sind, unterschreibt aber fast jeder Besucher. Mit wilden Outfits, charmanten Diskussionen und einer kurzen Akustik-Einlage fesseln die Berliner ihr Publikum in kürzester Zeit. Mit ihren Fans teilen sie ihren Whiskey, werfen eine Gummi-Pumpe von der Bühne und baden die verschwitzte Meute zum Schluss in einem bunten Konfetti-Regen. Was zwei Stunden lang in Neu-Ulm passiert ist, war weder Rockkonzert noch HipHop-Show – sondern eine riesige, gut gelaunte Spielwiese zweier Schulfreunde aus Berlin Spandau.