Das erste Maiwochenende am Fallenbrunnen: Es sind die ersten lauen Nächte des Jahres, fast fühlt die Luft sich sommerlich an. Im Hof des Campus Fallenbrunnen der Zeppelin Universität stört jedoch ein Stampfen und Treten die Ruhe. Blumenbeete werden von einer Person im Anzug zerstört und zerhackt. Es tut nahezu weh, dem zuzusehen. Was passiert hier? Es rette doch jemand die Blumen!
Man ist gerade Zeuge der Performance „Blumenkinder – ein Wucherungsversuch“ von Vivien Clausen geworden. Sie ist Teil der Vorüberformierungen, einem Festival, das am 04., 05. und 06. Mai über den gesamten Fallenbrunnen verteilt stattfindet. Ein Projekt, welches das Augenmerk auf den Fallenbrunnen als Ganzes richten möchte und auf dessen Geschichte, die hinter und zwischen Kasernenmauern verborgen liegt. Weg von der rein zweckgebundenen Erfahrung des Ortes, hin zu einer Fläche, die zum Flanieren einladen möchte.
Eröffnet wird der Abend mit einem Konzert im Graf-von-Soden-Forum. Der Chor der Zeppelin Universität, den es so erst seit diesem Semester wieder gibt, trägt eine vom Klavier begleitete Komposition von Steffen Schleiermacher vor. Am ersten Tag des Festivals ist es sogar deren Uraufführung. Denn obwohl das Stück eigens für die Eröffnung des FAB3 2015 in Auftrag gegeben worden war, lag es bisher in der Schublade: Der geplante Festakt, für dessen Rahmen es geschaffen worden war, war damals abgesagt worden.
DER UMGANG MIT KONVERSION
So entstanden die Vorüberformierungen aus zwei Ideen heraus: Diese Komposition zur Aufführung zu bringen, einerseits. Eine Aufgabe, die Dr. Joachim Landkammer, einer der Hauptmitwirkenden von dozentischer Seite, durchaus „als Damoklesschwert über meinem Haupt“, wie er es ausdrückt, empfunden hatte. Andererseits wurde mit dem kleinen Festival einem Impuls aus dem vergangenen Frühling gefolgt. Im Rahmen eines „Day with.. Matthias Lilienthal“, einer kontroversen wie innovativen Figur der deutschen Theaterszene, war bereits im April 2017 das gesamte Fallenbrunnen-Areal mit Performances und Interventionen bespielt worden (Futur Drei berichtete). Landkammer und Prof. Maren Lehmann wollten damit fragen: „Wie kann man mit performativen Elementen mit einem Gelände umgehen? Wie kann man da zeigen, was es da gegeben hat, was es da geben könnte?“, sagt Landkammer. Da das Format so gut funktioniert hatte, kam die Idee auf, es in einem größeren Rahmen neu aufzusetzen. Dies mit dem Stück von Schleiermacher zu verbinden, lag da nahe. Thematisch beschäftigt es sich unter anderem mit der Verwandlung einer militärischen Kaserne in einen Ort der Bildung wie einer Universität. Musikalisch klingt es gemäßigt atonal, dabei dennoch harmonisch und setzt experimentell-performative Elemente wie Zischen, Reden und Papierrascheln ein. Kurz: Es ist ein hochkultureller, aber prägnanter Einstieg in einen Abend, an dem einem die Frage nach der Konversion des Fallenbrunnens in vielerlei Gewand begegnen wird.
Allen Besuchern ist vor dem Konzert eine Karte in die Hand gedrückt worden, auf der die über das Gelände verteilten Installationen eingezeichnet sind. Dass diese Karte auch auf den Plakaten abgedruckt war, war ein Teil der Strategie, um auch weniger kunstaffine Leute anzulocken, erzählt Anna Staab später. Staab ist als eine der zwei künstlerischen Leiterinnen der planende, organisierende und ermöglichende kreative Kopf hinter der Veranstaltung. Als ZU-Alumna hat sie den ZF-Campus noch ein Semester lang selbst miterlebt, andere Formen von ZU-Leben am Fallenbrunnen, wie die Container-Uni und den Fab 18 allerdings auch. Staab war von Lehmann zu der Podiumsdiskussion mit Lilienthal eingeladen worden, denn sie arbeitet inzwischen als freie Dramaturgin. Lehmann hatte sie dazu angeregt, „dieses Format von dem über das Gelände wandeln und sich mit dem Thema der Konversion beschäftigen“, noch einmal größer aufzugreifen, erzählt Staab. Grobe Überlegungen folgten, bis sie schließlich im November mit der konkreten Arbeit anfing. Sie suchte nach Locations ebenso wie nach Geschichten: „Wenn man da oben mal anfängt zu graben, teilweise auch im Wortsinne, dann tauchen auch ganz viele Akteure auf“, sagt sie.
ALTE UND NEUE AKTEURE
Dabei stieß sie unter anderem auf Ingrid Schmidt, die am jenem Wochenende des Festivals im Fahrradkeller zu finden ist. Die Künstlerin hatte hier einmal ihr Atelier. Das war vor über 15 Jahren, als die Galerie Plattform 3/3 (nun in der Kulturkaserne angesiedelt) noch in unserem aktuellen Campus beheimatet war. Schmidts Performance heißt „JETZT“, sie holt die Vergangenheit in die Gegenwart und verwandelt den Keller wieder in ihr Atelier. Ihre Arbeiten, großformatige Ergüsse von spritzender, zerlaufender Farbe und Lack, bedecken Wände und Boden. Im Nebenraum zeigt ein Film eine ihrer Ausstellungen Anfang der 2000er. In körniger Video-Ästhetik sehen wir die Kaserne etwas grau da liegen. Musikalisch untermalt wird das ganze Setting im Keller von zwei Geigen. Ein wenig überflutet werden die Sinnesreize da schon, aber als BesucherIn beginnt man, einen Sinn für die Historie dieser Wände zu bekommen.
UNTERSTÜTZUNG VON ALLEN SEITEN
Bereits im Vorfeld war der Austausch eingeplant: In Workshops wurden die meisten der Installationen von Studierenden entwickelt, „aber wir haben am Anfang schon versucht, möglichst breite Beteiligung vom Gelände zu bekommen“, erzählt Staab. „Das hat dann halt unterschiedliche Formen angenommen“ – bei Studierenden der benachbarten DHBW passte es weniger gut von den Semesterzeiten her, aber die Leute von der Werkstatt am Parkplatz hätten ihnen bei Dingen wie Strom oder Anhängern bereitwillig geholfen. Auch von der Stadt gab es Willen zur Kooperation. Dass das Heizhaus überhaupt zugänglich gemacht wurde, ist dem persönlichen Einsatz des Bürgermeisters Stefan Köhler zu verdanken und längst keine Selbstverständlichkeit. „Damit hatten wir mit am wenigsten gerechnet, wie viel Unterstützung wir auf diesem Gelände von allen möglichen Seiten bekommen haben“, freut sich Staab.
Auch alte Arbeiten werden gezeigt: Die Reifen der Werkstatt am Parkplatz dienen als Leinwand für Aufnahmen des dokumentarischen „Local Knowledge Institute“ und zeigen Interviews mit Menschen, die hier vor zehn Jahren am Wirken waren. Einen von Studierenden konzipierten Audiowalk kann man immer noch hören.
Landkammer ist wichtig, diese alten Dokumente im Hinblick auf die Zukunft des Geländes einzubeziehen: „Wir zeigen, dass wir uns nicht das erste Mal mit dieser Frage beschäftigen – wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal!“. Denn so lange es hier noch Brachflächen, Ruinen und Freiräume gibt, bleibt die Frage relevant. Die Vorüberformierungen haben auf kreative Weise gezeigt, wie das aussehen kann, und damit Denkanstöße gesetzt. Wie lange diese nachwirken werden, wird sich zeigen müssen. Es liegt auch in der Hand der Studierenden.