Spotlight: Perus “Leuchtender Pfad”

Die Motive waren bekannt, der Schrecken der Umsetzung neu: Der maoistische "Leuchtende Pfad" prägt bis heute die Geschichte des modernen Peru.

Gewalt als Hebamme der Gesellschaft?

 

Peru ist ein Land voller Gegensätze. 77% der Peruaner leben in Großstädten, allein in Lima lebt und arbeitet über ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Die Hauptstadt Perus mutet erstaunlich europäisch an und ist von Modernisierung und Globalisierung gezeichnet. Von der wirtschaftlichen Entwicklung profitiert man auf dem Land nicht, und so zieht es die Menschen in die Städte. Sie werden getrieben von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, während die Vergangenheit das Land nicht loslässt. Der Terror des „Sendero Luminoso“ (leuchtender Pfad) prägt Peru bis heute und erzählt die Geschichte eines Landes, das mit der Geburt der Zivilgesellschaft ringt.

Ende 2015 wurden 54 Menschen nach jahrzehntelanger Gefangenschaft aus der Gewalt der Guerillaorganisation Leuchtender Pfad befreit. Diese hatte Frauen dazu missbraucht, in der Landwirtschaft zu schuften und Kinder zu gebären, die der Organisation später als Kindersoldaten dienen mussten. Auch wenn der Leuchtende Pfad die grausame Blüte seiner Macht längst hinter sich gebracht hat, wird vermutet, dass er weiterhin bis zu 80 Kinder und Erwachsene festhält. Auch in der Erinnerung der Menschen, vor allem derer älterer Generationen, sind die Verbrechen der Terrororganisation noch allgegenwärtig. Wer Peru verstehen will, muss sich daher mit den Geschehnissen rund um den Leuchtenden Pfad auseinandersetzen.

In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts beherrschte eine kleine, weiße Oberschicht den Staat und bestimmte die Geschicke der indigenen Bevölkerung. Damals lebte ein großer Teil der Bevölkerung auf dem Land oder in den „pueblos jovenes“, den Elendsvierteln der Stadt, häufig ohne Trinkwasserversorgung oder elektrisches Licht. Die zahlreichen Armen des Landes hatten weder Zugang zu Bildung noch zu medizinischer Grundversorgung. Die wirtschaftliche und kulturelle Spaltung des Landes in die schmale Wüstenzone Costa, die weitgehend karge Sierra und die weitläufige, aber kaum besiedelte feuchttropische Selva verstärkt die Schere zwischen Arm und Reich, früher wie heute.

1968 kam in Peru eine nationalistische Militärregierung unter dem General Velasco Alvarado an die Macht. Unter dieser wurden Agrarreformen durchgeführt und der enteignete Großgrundbesitz in genossenschaftliche Strukturen überführt. Das Schulsystem wurde ausgebaut und das indigene Erbe Perus popularisiert. 1979 wurde eine Verfassung ausgearbeitet und am 18.5.1980 fanden in Perú die ersten freien Wahlen statt. Der Weg der Militärjunta zwischen Kapitalismus und Kommunismus wurde damit in demokratischer Manier in die Hände des Volkes gelegt.

Leider wurden damit nicht die erhofften Grundlagen für eine friedliche und prosperierende Zukunft geschaffen. Die Bodenreformen und Genossenschaften waren nicht überall erfolgreich, sondern wurden als Fortsetzung der Enteignung von Bauern und Dorfgemeinschaften angesehen. Trotz verbesserter Bildungsmöglichkeiten hatte die überwiegend indigene Bevölkerung keine Chance, in die Mittelschicht aufsteigen. Hinzu kam eine neoliberale Wirtschaftspolitik der ersten demokratischen Regierungen. Unter Alan Garcia wurde der Schuldendienst begrenzt und IWF und Weltbank erklärten Peru für nicht mehr kreditwürdig. In der Folge nahm die Inflation dramatische Ausmaße an und brachte Millionen Menschen um ihre Ersparnisse. Die Korruption der Politiker und hoher Funktionäre bestimmte alle Lebensbereiche der Bevölkerung und machte ein Ausbrechen aus den zum größten Teil miserablen Umständen praktisch unmöglich.

In dieser komplexen Lage begann der Leuchtende Pfad seinen entschiedenen Kampf gegen Militär und parlamentarische Demokratie. Die Bewegung entwickelte sich aus der maoistischen Partei Perus, der PCP-Bandera Roja, unter der Führung des Philosophie-professors Abimael Guzman. Ihr geistiges Zentrum war die Universität Ayacucho, an der Guzman lehrte. Die Mitglieder des Leuchtenden Pfades rekrutierten sich aus Lehrern und Studenten, sowie Cocabauern aus dem Amazonasgebiet. Die Anführer kamen aus traditionell antidemokratischen, autoritären und ständischen Gesellschaftsstrukturen des Landes. Im Jahre 1980 begann der Leuchtende Pfad seinen Kampf gegen Imperialismus, Kapitalismus und Revisionisten wie Gewerkschaften und andere linke Parteien. Letztere galten als Verteidiger der Privilegien einer Minderheit von Arbeitern und verhinderten durch ihre Teilnahme an Wahlen und Verfolgen einzelner sozialer Interessen eine Revolution.

Der Leuchtende Pfad beschritt den Weg der Revolution ohne das Volk. Was die Menschen brauchten, war eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse, die Beseitigung der Korruption und wirtschaftlichen Wachstum. Doch der Leuchtende Pfad missbrauchte die im Land herrschende Armut und Unzufriedenheit, um Ideologie und Terror zu verbreiten. Das Zitat eines Mitgliedes des Sendero Luminoso offenbart die schreckliche Logik der Organisation: „Manchmal ist die Verbreitung des Terrors notwendig, weil die Massen Vorteil aus der Situation ziehen wollen. In diesem Fall muss man Angst und Terror verbreiten, denn nur dann werden sie die Partei respektieren. Den Menschen soll man Angst machen. Die, die die Partei kennen, respektieren sie. Bei denen, die die Partei nicht kennen, soll man Angst erzeugen. Wenn du nicht tötest, wirst du getötet.“

Nach dieser Systematik wurde ein Guerillakrieg geführt, Sabotageakte verübt, Menschen gezielt ermordet. Nach einigen Jahren wütete der Terror des Leuchtendes Pfades in über der Hälfte des Staates. Er verlangte von den Bauern bedingungslose Unterstützung und zwang sie mit Gewalt in den Dienst. Das Militär übte Vergeltung. Jeder Bauer der Sierra und Selva stand zu dieser Zeit unter Generalverdacht und konnte Gegenstand der Verfolgung werden. Das „Leuchten“ hatte sich in einen Flächenbrand verwandelt.

Erst 1992 konnte die peruanische Regierung unter Fujimori, selbst eine der zwielichtigen Gestalten neuerer peruanischer Geschichte, durch eine Politik der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung mit Hilfe von Militär, Geheimdienst und Bürgerwehren, den „Comites de Autodefensa“, die Bewegung zerschlagen und ihre Führung gefangen nehmen. Später wurde eine Wahrheitskommission, die „Comision de la Verdad“, eingesetzt, die die vielen Menschrechtsverletzungen auf beiden Seiten des Terrors untersuchte und der Öffentlichkeit bekannt und zugänglich gemacht hat.

Bis heute ist Peru keine vollständig gefestigte Demokratie. Der langjährige Terror hat das Land immer wieder zurückgeworfen und die Kluft zwischen Arm und Reich bleibt tief. Umsturzversuche endeten im Chaos und nur ein langwieriger, inkrementeller Reformprozess kann die gewünschten Entwicklungen herbeiführen. Eine Erkenntnis hat auch der Leuchtende Pfad zu diesen Entwicklungen beigetragen: durch Gewalt wird die Gesellschaft nicht zur Welt gebracht.

 

Rubrik 'Spotlight'

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