Sex: ein Garant für Aufmerksamkeit und noch immer Tabuthema in der deutschen Gesellschaft – dabei scheint sich die ganze Welt um die schönste Nebensache der Welt zu drehen. Im Alltag finden wir das Motto ‚Sex Sells‘ in nahezu jeder Werbung wieder. Auch im Privaten gilt: sobald das Wort in einer Unterhaltung fällt, ist einem die Aufmerksamkeit der Umstehenden sicher. Auch wir jungen Menschen haben häufig noch ein Problem damit, ernsthaft über das Thema zu reden. Warum eigentlich? Und wie können wir das ändern?
Für viele von uns ist Sex ein heikles Thema. Man ist schüchtern und weiß nicht so recht, wie man darüber sprechen soll. Man hat es nie gelernt – wo auch? Gute Vorbilder gibt es kaum, Beate Uhse war vor unserer Zeit. Oft habe ich das Gefühl, dass es gerade uns jungen Menschen schwer fällt, Wünsche in Worte zu gießen. Diese Meinung teilt auch Peter Wettstein, Autor und Shibari Artist. Er ging als Teil der 68er-Bewegung für sexuelle Freiheit und gesellschaftlichen Umbruch noch auf die Straße: „Es gibt so viel Interesse an Sex, gerade von jungen Menschen. Egal ob es ums Fesseln geht oder das entdecken ihrer eigenen Sexualität, die Neugierde ist groß. Doch mit dem Partner darüber zu reden, fällt vielen umso schwerer. Sex ist heute Privatsache.“
Wir genießen so viele Freiheiten, wie noch nie zuvor. Die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Homosexuellen, Kinkstern, Genderfluiden und Co ist auf einem Allzeithoch. Laut einer Umfrage praktiziert die Hälfte der Deutsche regelmäßig Oralverkehr und immerhin ein Fünftel steht auf Anal. Dennoch scheint es, dass im Privaten eine Welle der Prüderie eingesetzt hat. Wir tolerieren viel, reden aber nicht darüber.
Haben es Heterosexuelle zu leicht?
Ist man Hetero und Vanilla, sind Normen und Ansprüche recht klar. Was geht und was nicht, ist von außen durch gesellschaftlichen Konsens geregelt. Vom Einzelnen wird erwartet, dass er sich mehr oder minder daran hält. Eben dieser Anspruch scheint eine unsichtbare Barriere zu schaffen. Es muss schließlich nicht darüber geredet werden. Wir kennen doch schon alles. Diese Denkweise ist aber grundlegend falsch.
Wer Queer ist, hat hier einen kleinen Vorteil: Man fällt aus der Norm. Homosexuelle bis Kinkster müssen sich mit ihrer Sexualität auseinandersetzen. Wir müssen lernen, unsere Wünsche zu kommunizieren, weil sie aus der Norm fallen. Das bedeutet aber nicht, dass es uns leichter fällt, offen mit unserem Partner zu sprechen. Wir wissen lediglich besser was wir brauchen.
Das Geheimnis von gutem Sex
„Ganz banal: Kommunikation. Jeder hat eigene Geschichten, die er aber nur ungerne rausrückt. Wie möchte ich, dass mein Schwanz angefasst wird oder wie will meine Partnerin ihre Möse gestreichelt bekommen. Jeder ist da sehr unterschiedlich“, meint Matthias Grimme, Herausgeber von Schlagzeilen und Publizist, im Interview. „Es ist erstaunlich, wie viele Männer sich erfolglos abmühen ihre Partnerin zum Orgasmus zu bringen, dabei könnten sie einfach fragen. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch die Frauen in einer Bringschuld. Jeder ist für seinen Orgasmus selbst verantwortlich: Du musst kommunizieren, was du brauchst.“
Schlucken oder Spucken?
Seine Bedürfnisse zu ignorieren und herunterzuschlucken führt häufig zu Frustration. Diese wird schnell auf sich selbst oder den Partner projiziert. Man fühlt sich als Versager oder gibt dem Partner die Schuld. Vielleicht ist man auch wütend oder niedergeschlagen. Im schlimmsten Fall frisst man seine Gefühle in sich hinein und stumpft ab. Ebenso falsch ist es seine Bedürfnisse einfach nur auszuspucken. Der Andere ist vielleicht überfordert. Schnell rutscht man auch in vorwurfsvolle Formulierungen ab. Dann wird das Gespräch schnell zum Ping-Pong Spiel, statt zur lustvollen Problemlösung. Wir sollten uns über jeden Sex-Talk freuen. Über den Mut, den unsere Partner oder wir selbst aufbringen.
Gibt es einen richtigen Zeitpunkt?
Es gibt sogar mehrere – je nach Thema. Während des Sex: die Leidenschaft brennt, wir sind in Ektase, aber irgendwas fehlt. Eine Kleinigkeit könnte besser sein, dann nur raus damit! Ihr wollt, dass euch der Partner beim Doggy-Style auf den Arsch schlägt? Sie soll euch in den Hals beißen oder die direkte Stimulation der Klitoris ist gerade einfach zu viel? Dann sagt, was Sache ist. Euer Partner kann nur verstehen was ihr braucht, wenn ihr es kommuniziert. In klaren, einfachen Worten: „Etwas weiter Links“, „Beiß mich!“, „Ich will dich Reiten“.
Beschäftigt euch Sex auch nach der Zweisamkeit weiter, gibt es einen grundlegenden Redebedarf. Offen mit seinem Partner zu sprechen ist eine Fähigkeit, die wir uns erarbeiten müssen. Geht es aber um unsere Sexualität, scheint es gleich doppelt so schwer.
Es geht hier weniger um den perfekten Zeitpunkt als um die ideale Atmosphäre. Die wenigsten Menschen sind es gewohnt offen darüber zu reden, Selbstzweifel sind ganz normal. Am besten ist es, etwas Abstand zu gewinnen, der Ort sollte die notwendige Privatsphäre bieten. Beide Partner sollten sich entspannt fühlen. Für die einen bedeutet das gemeinsam auf dem Sofa kuscheln, andere bevorzugen einen Kaffee auf dem Balkon oder einen Spaziergang im Wald. Achtet darauf, dass ihr nicht gestört werdet und jeder die Möglichkeit hat, sich bei Bedarf zurückzuziehen. Setzt den anderen nicht unter Druck, wenn euer Partner Zeit braucht, gebt sie ihm.
Wie fange ich das Gespräch an?
Allein mit einem Blatt Papier. Zuerst müsst ihr euch bewusst sein, welche Bedürfnisse ihr habt, bevor ihr sie kommunizieren könnt. Setzt euch mit euerer eigenen Sexualität auseinander.
Wenn ihr wisst, was ihr euch wünscht, könnt ihr es eurem Partner kommunizieren. Wichtig ist, dass ihr dabei so klar wie möglich kommuniziert. Die einen mögen es eher medizinisch und reden von Penis, Vagina und Eichel. Schüchterne reden eher von da unten, dem Kätzchen und vom kleinen Tod. Wer es etwas perverser mag, rammt gerne mal seine Fleischpeitsche in ihre Lustgrotte. Letztlich müsst Ihr entscheiden mit welchen Ausdrücken ihr euch wohl fühlt. Von Verniedlichungen rate ich ab. Euer Partner muss Verstehen worüber ihr redet, denn ‚da unten‘ gibt es sehr viel zu entdecken.
Sei ehrlich und beschreibe, was du dir wünscht
Ihr redet über eure eigenen Gefühle und Wünsche, nicht über den anderen. Das bedeutet: Ihr beschreibt euch, nicht euren Partner. Vorwürfe und Schuldzuweisungen sind fehl am Platz. Erwähnt stattdessen, was euch gefällt oder wie euch der andere schon verwöhnt. Kann er besonders gut lecken? Ist sie ein Naturtalent im Reiten? Raus damit!
Mögt Ihr es lieber romanistisch oder wie zwei kämpfende Wölfe? Dominant? Devot? Gleichberechtigt? Lernt eure Bedürfnisse in Worte zu fassen. Je konkreter, desto besser. Wenn ihr euch z.B. unsicher seid, ob ihr gefesselt werden wollt, dann kommuniziert das so klar wie möglich. Ihr bittet euren Partner also nicht nur euch Handschellen anzulegen, sondern teilt ihm auch mit, dass das für euch neu ist. Es ist in Ordnung, Unsicherheit mit dem Partner zu teilen.
Natürlich sollte man als erwachsener Mensch offen über vergangene Beziehungen reden können. Doch gerade beim Thema Sex sind die Ex-Partner häufig ein wunder Punkt. Wenn ihr einen Ex hattet, der überragend in einer Technik war oder euch anders den Kopf verdreht hat – beschreibt eure Wünsche und lasst den Ex, wo er hingehört: raus aus dem Gespräch.
Wie ist das Wetter? Locker über Sex reden.
Sex ist ein Thema wie jedes andere, es gibt keinen Grund nervös zu sein. Wollt ihr oder euer Partner darüber reden, ist das etwas Positives – ihr wollt euer Liebesleben verbessern! Es gibt keine Vorwürfe, sondern mehr Spaß für beide. Je selbstverständlicher ihr die Situation handhabt, je unaufgeregter und selbstbewusster ihr agiert, desto wohler und normaler fühlt ihr euch.
Stellt auch immer wieder offene Fragen: Wie denkst du darüber? Lasst einander genügend Raum und Zeit. Vielleicht hat euer Partner noch nie über eine bestimmte Praktik nachgedacht. Zeigt eurem Partner, dass ihr Verständnis habt. Druck erzeugt nur Gegendruck – es ist normal, wenn euer Partner ein paar Tage Zeit braucht. Das wichtigste ist, ihr hört einander zu und lasst euer Gegenüber ausreden.
Erkundet gemeinsam eure Bedürfnisse und vielleicht entdeckt ihr ja einen verborgenen Wunsch, der euch das nächste Wochenende versüßt.
TheOtherSide – Die Kolumne für Sex, Liebe, Leidenschaft. Letzten Donnerstag Ging es um den digital Detox euerer Bezihungen. Kommende Woche erzähle ich euch die Geschichte der O.