Am 5. März 2020 wurde Geschichte geschrieben. Fast 75 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist das vor wenigen Jahren noch Undenkbare wahr geworden. Ein Damm ist gebrochen oder besser gesagt: wurde gebrochen. Ein Damm, welcher das trockene demokratische Festland vor den blauen tödlichen Fluten schützt, wurde niedergerissen.
Die Rede ist natürlich von der sogenannten Mitte des Landtags von Thüringen, welche, um endlich wieder Macht verspüren zu können, gemeinsam mit der AfD einen Glatzkopf zum Ministerpräsidenten wählte. Einem solchen Glatzkopf zu gratulieren, wie es unter anderem der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP Wolfgang Kubicki getan hat, hat nichts mehr mit Höflichkeit zu tun, sondern entweder etwas mit mangelnder Abneigung gegenüber Nazis oder mit schleichender Demenz. Ich hoffe eher Letzteres und das denkt auch Parteikollege Konstantin Kuhle, der in der Sendung „Chez Krömer“ in diesem Kontext auf sein Alter anspielt und sagt: „Wolfgang wird langsam ein bisschen komisch“. Die Aufstellung und die Wahl des Glatzkopfs wurde von der sogenannten Mitte damit gerechtfertigt, dass man eine Alternative der bürgerlichen Mitte zu den Extrempositionen von links und rechts schaffen wollte. Plausibler ist die Erklärung, die Susanne Hennig-Wellsow bei Markus Lanz lieferte. Sie lautete: „reine Machtgeilheit“.
Die Rechtfertigung der sogenannten Mitte beinhaltet die Vorstellung politische Standpunkte in räumliche Kategorien einteilen zu können. Die Ursache des Dammbruchs ist genau dieses Raum-Denken und nicht, wie oft gesagt wird, Glatzkopfs Annahme der Wahl. Wenn jemand, der politische Interessen und Überzeugungen in all ihren Facetten und Ausprägungen runter bricht auf Begriffe wie rechts, mitte oder links, sich überlegt welche Politiker er auf keinen Fall unterstützen möchte, der wird wohl auf gewaltbereiten Vollidioten und Antidemokraten kommen. Wer sich davon distanziert – natürlich zurecht – der landet mit der Raum-Terminologie unweigerlich in der Mitte, weil diese von den Extremen am weitesten entfernt liegen. Und zack, fertig ist das Hufeisen.
Die Hufeisentheorie besagt, dass die äußeren Enden des Parteienspektrums genau wie bei einem Hufeisen auf derselben Höhe sind, also auf derselben Höhe der politisch-moralischen Verwerflichkeit. Der Tiefpunkt ist dann logischerweise in der Mitte. Doch diese Theorie ignoriert die Tatsache, dass Extrempositionen in mehr als nur zwei Richtungen entstehen können. Eine Partei beispielsweise, welche Freiheit, insbesondere wirtschaftliche Freiheit als oberstes Ziel hat, kann doch genauso verfassungsrechtlich und moralisch problematisch werden, wie zum Beispiel der Manchesterliberalismus zeigt. Das zweite Manko der Theorie ist, dass sie die tatsächliche Existenz einer Mitte suggeriert. In Wirklichkeit ist die Mitte jedoch nur eine willkürliche Selbstzuweisung, welcher sich quasi jeder bedienen kann, mal mehr und mal weniger erfolgreich. Das bedeutet die Mitte ist keine Konstante, sondern eine Variable, sie kann zu jenem werden wovor sie sich zuvor noch abgrenzte. Ähnliches könnte ein Tweet einer ZU-Professorin gemeint haben der da lautet: „Die Mitte ist ein Abgrund“. Von der Mitte zu sprechen mache nur Sinn, wenn polarisiert werden soll. Wer in Thüringen krampfhaft versucht hat die Mitte zu sein, der hat es erst möglich gemacht, dass man zum Abgrund des rechten Hanges wurde.
Die FDP ist von ihrem demokratischen Weg abgekommen und den Abgrund hinunter gerast. Auch wenn nur der Glatzkopf und seine Thüringer Komplizen am Steuer waren und die Verantwortung tragen, so hat doch auch der Autobesitzer eine gewisse Mitverantwortung. Er, Christian Lindner hätte als Bundesvorsitzender der Partei wissen können, dass sie rechts abbiegen werden und sie davon abhalten müssen. Er hätte dem Glatzkopf spätestens nach dem ein Dokument bekannt wurde, in welchem Bernd Höcke diesem und Mike Moring eine Kooperation anbot, handeln müssen, zum Beispiel mit der Ankündigung eines Parteiausschlussverfahrens im Falle einer Annahme der Wahl. Stattdessen stehen jetzt laut Raed Saleh nur noch SPD, Grüne und Linke uneingeschränkt zur Demokratie und zum Grundgesetz. Die FDP wohl gemerkt nicht. Weder er noch Annegret Kramp-Karrenbauer konnte ihren Laden im Griff behalten aber nur AKK zog daraus Konsequenzen und trat zurück. Die Machtgeilheit lässt grüßen. Bevor ein Anhänger der Partei mit den drei kitschigen Farben im Logo mit dem Argument kommt, dass Lindner mit der Vertrauensfrage durchaus Konsequenzen gezogen habe und seine politische Legitimität zurückgewonnen habe, muss folgendes gesagt werden: warum hat der FDP-Bundesvorstand Lindner sein Vertrauen ausgesprochen? Weil man tatsächlich denkt, er könne sich ausreichend von rechts abgrenzen oder weil man weiß, dass keine andere Person die Reichenpartei erfolgreicher führen kann? Es ist vermutlich Letzteres und das würde wieder für seine Machtgeilheit sprechen. Was die Reichenpartei jetzt braucht ist breiter Unmut, der in der untersten Hierarchieebene anfängt und in aller Deutlichkeit Lindner das Vertrauen abspricht. Denn es geht um mehr als ein paar Prozente bei irgendwelchen Wahlen. Es geht um das letzte Stückchen Haltung und Selbstachtung, um die Glaubwürdigkeit nicht in den rechten Abgrund zu stürzen und zuletzt um die aus der deutschen Geschichte resultierenden Verantwortung gegenüber der Menschenwürde.
Ein wichtiger erster Schritt wäre, wenn die LHGs (liberale Hochschulgruppen) aktiv und konsequent für ein neuen Mann – oder gibt es auch Frauen bei der FDP? – an der Spitze der FDP sein würden. Eine Möglichkeit dafür wäre Christian Lindner nicht mehr zu Vorträgen einzuladen bzw. ihn wieder auszuladen. Und hier kommt die ZU und ihre LHG ins Spiel. Christian Lindner wurde von der LHG für ein Vortrag eingeladen, welcher am 22. September 2020 stattfinden soll. Sollte die LHG Friedrichshafen nicht zu dem Entschluss kommen Christian Lindner auszuladen, dann sollte dies als Verweigerung den Damm zu reparieren angesehen werden. Es würde das Signal setzen, dass doch alles wieder in Ordnung sei. Es würde bedeuten, dass man sich nicht mit maximaler Deutlichkeit von den Geschehnissen in Erfurt distanzieren würde und man somit einen Beitrag zur Ermöglichung ähnlicher Geschehnisse leisten würde. Es wäre also auch im Interesse der Liberalen selbst das Versagen des Christian Lindners nicht zu verzeihen, denn nur so kann sie glaubwürdig vermitteln klare Grenzen nach rechts zu ziehen.
Dass die LHG meinem Rat folgen wird ist zweifelhaft. Ein Vortrag mit dem Bundesvorsitzenden einer Partei zu veranstalten wäre verlockend. Man würde sich als eine kleine LHG an einer kleinen Universität profilieren und die Strahlen des Rampenlichts genießen können. Wenn man nicht schon verstrahlt genug wäre… Denn wenn man sich Facebook-Kommentare ehemaliger LHG-Mitglieder anschaut, dann ist zu erkennen, dass sie mit dem rechten Auge kaum noch etwas erkennen. Was beispielsweise in der Kommentarspalte unter dem Veranstaltungshinweis eines Dozenten zu finden ist, ist fremdschäm-würdig. Es handelte sich bei der Veranstaltung um ein Gespräch mit der Thüringer Linken-Abgeordnete Katharina König, welche ihr Wissen über die rechte Szene mit den Studierenden teilte. Lange hat es nicht gedauert, bis Hufeisenbrillenträger Schnappatmungen bekamen. Ein Student brachte beispielsweise folgendes Zitat: „Der Faschismus wird wiederkehren unter dem Deckmantel des Antifaschismus“. Ob er das nach Halle und Hanau immer noch so sieht? Man weiß es nicht. Wenn man als angeblich gebildeter Privatstudent behauptet die Gefahr eines zukünftigen Faschismus komme von linken antifaschistischen Bewegungen, ist man entweder so verwirrt und verwechselt rechts mit links oder aber man ist selbst ein Rechter. Genauso gut könnte ich sagen: Der Faschismus wird wiederkehren unter dem Deckmantel des gebildeten Privatstudenten.
Ein anderer Student möchte gar nicht erst mit Andersdenkenden ins Gespräch kommen. Frau König erscheine ihm „als Gesprächspartner fragwürdig“, weil sie „über einen Bias“ verfüge. Seiner eigenen Logik folgend müsste man ihn von allen Diskussionen von Universitätsseminaren ausschließen, da er als LHG-Mitglied auch über ein Bias verfügt. Doch auch ohne einen auf den ersten Blick erkennbaren Bias ist bei niemanden vollkommenen Neutralität vorhanden. Darauf musste er von einem Dozenten hingewiesen werden. Trotz Jahren an einer Privatuniversität scheint diese Person nicht verstanden zu haben, dass doch gerade das Auseinandersetzen mit verschiedenen Meinungen zur Bildung beiträgt. Derselbe Student sagt außerdem, dass Frau König durch irgendwelche Aussagen die Arbeit der öffentlichen Institutionen, welche „zu der Tätigkeit gegen (Rechts-)Extremismus legitimiert sind“ diskreditiere. Heißt das er sieht im Kampf gegen rechts nur politische Institutionen legitimiert und nicht beispielsweise die Zivilbevölkerung? Ist für LHGlern die Zivilbevölkerung nur noch des Marktes wegen da? Es ist doch gerade die Zivilbevölkerung, welche die wirkmächtigste und auch legitimste Instanz für Tätigkeiten gegen rechts ist.
Ich bin also mit Hinblick auf die seltsamen Kommentare mehr als skeptisch, dass die LHG meinem Rat folgt und Christian Lindner ausladen wird. Doch vielleicht erkennt der aktuelle Vorstand, von dem keiner der Zitate stammt, dass mit Lindners Ausladung mehr und vor allem wichtigeres erreicht werden kann, als mit seiner Einladung. Vielleicht wird erkannt wie das Werkzeug der Ausladung dazu beitragen kann, dass der Damm wenigstens nicht noch mehr tödliches giftblaues Wasser in das demokratische Festland strömt. Nicht zuletzt damit die bunten blühenden Wiesen in ihrer Vielfalt nicht zerstört werden.
Bodo Ramelow, welcher nicht gerade als Freund der FDP gilt, hat am Tag seiner Wahl zum MP gesagt, dass Kemmerich ein demokratisches Angebot gemacht hat & die AfD eine List unterbreitete.
PS: Ramelow wurde 2014 selbst nur durch die AfD zum MP. Finde ich aber nicht weiter schlimm, Wahlen sind geheim und frei.