#MeToo, Abtreibungsverbot und Frauenquote: Die Diskussion um Geschlechtergleichstellung ist in Deutschland relevant wie nie. Auch an der ZU gibt es seit 2019 eine intersektional-feministische Initiative, die solche Themen auf die Tagesordnung bringen und Plattform für Diskussionen und Safe Space bieten will: Das LAUT KOLLEKTIV. In der letzten Ausgabe von Initiative im Spotlight 2020 stellt Hannah diese Gruppe vor und unterhielt sich dafür mit Sophie Hamann und Ragna Hübner.
Sophie hat das LAUT KOLLEKTIV 2019 sozusagen gegründet. Es entstand aus der Initiative BeBrave, die sich gegen sexuelle Gewalt einsetzte. Damit wollte sie einen Raum schaffen, in dem sich Opfer sexueller Belästigung äußern können. Im Interview erzählt sie: „Ich habe davor oft Diskussionen mitbekommen, Artikel gelesen oder Beiträge gesehen, und war oft super wütend und frustriert, dass es zum Beispiel keine internationale solidarische Frauenbewegung gibt. Das macht mich wütend, weil es ist doch eigentlich so einfach – es liegt doch eigentlich auf der Hand, was die richtige Antwort ist – und ich war so frustriert und verzweifelt und wütend drüber, dass ich dachte, ich kann da nicht die Füße stillhalten, das würde ich mir in 20 Jahren – dramatisch gesagt – nicht verzeihen. Dann habe ich mich mit der damaligen Gründerin von BeBrave kurzgeschlossen, und konnte aus dieser Rastlosigkeit heraus irgendwie dann nicht mehr aufhören.“
Intersektionalität
So entstand das LAUT KOLLEKTIV, welches für Gleichberechtigung, Offenheit, Diversität, Intersektionalität und einen offenen Diskurs an der Uni einsteht. Das Kollektiv möchte aber nicht nur „Gute-Laune-Feminismus verbreiten“, sondern auch Themen anstoßen, die abseits des Mainstream-Feminismus liegen. Deshalb haben sich die Mitglieder das Ziel gesetzt, Speaker*innen einzuladen, die auch über intersektionale Themen referieren, also wie Feminismus z.B. mit dem Thema Rassismus oder der queeren Szene zusammenhängt. Damit wünschen sie sich, gesamtgesellschaftlichen Dynamiken mehr Rechnung zu tragen: „Feminismus bedeutet für uns eben nicht nur, dass Frauen gleichberechtigt sind zu Männern, es geht viel weiter. Der intersektionale Aspekt ist für uns essentiell, das heißt, dass Sexismus nicht zwingend darin begründet liegt, dass das Patriarchat herrscht, sondern dass dieses Patriarchat auch gestützt wird durch andere Diskriminierungsformen wie Klassismus, Homophobie und Rassismus, sodass unsere Definition [von Feminismus] sehr viel weiter geht als Mann und Frau, sondern auch ins Genderthema, ins Hautfarbenthema und ins Religionsthema“, erklärt uns Sophie. „Also kurz gesagt: Gleichheit und Freiheit für alle“, fügt Ragna hinzu.
Veranstaltungen und Treffen
Um Aufmerksamkeit für diese Themen zu schaffen, hat das LAUT KOLLEKTIV auch schon mehrere Rednerinnen an die Uni eingeladen. Der Einstieg erfolgte im Herbst 2019 mit einem hochkarätigen Event: Die Initiative durfte die russische Band Pussy Riot begrüßen. Bei einem Frühstückstalk wurde über Themen wie Politik und Feminismus in Russland diskutiert, aber auch über Klimapolitik und Nachhaltigkeit. Ein Jahr später, im Herbst 2020 hatte das Kollektiv die queerfeministische Rapperin Sookee zu Gast und sprach mit ihr darüber, wie wichtig eine inklusive und gendergerechte Sprache ist und welche Werte in Bezug auf Frauen und Minderheiten besonders im Rap-Business über die Sprache transportiert werden. Außerdem referierte die Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp dieses Jahr über Care-Work und die wirtschaftswissenschaftliche Perspektive genderpolitischer Themen.
Einige der Veranstaltungen des LAUT KOLLEKTIVs (v.l.n.r.): die Protest-Band Pussy Riot, die Journalistin Dr. Antje Schrupp und Rapperin Sookee
Neben diesen Veranstaltungen traf sich das LAUT KOLLEKTIV vor Corona jeden Sonntag, um sich in einem entspannten Rahmen bei einem Glas Wein zu unterhalten und auszutauschen. Außerdem häkelten die Mitglieder bei diesen Treffen aus Wolle kleine runde Brüste, wie ihr sie auch auf dem Bild unten sehen könnt. Mit diesen mit Watte gefüllten Wollbrüsten hat es etwas ganz Besonderes auf sich: Sie können, wenn sie gut genug gehäkelt sind, als Brustprothese für Brustkrebsüberlebende an Mammografiezentren gespendet werden (natürlich nicht als Implantate, sondern als BH-Einlagen). „So weit sind wir aber bis jetzt nicht gekommen, weil Corona uns einen Strich durch die Rechnung gemacht hat“, sagt Sophie.
Momentan trifft sich die Gruppe alle zwei Wochen digital, um sich auszutauschen. Trotz Corona hat das Kollektiv dieses Semester auch noch eine weitere besondere Aktion verwirklicht: Im Online-Semesterapparat der Bibliothek wurde ein digitales Bücherregal mit Literatur weiblicher Autorinnen und/oder zu feministischen Themen bereitgestellt, das im nächsten Semester auch in der Präsenzbibliothek umgesetzt werden soll. Die Vorschläge zu den Büchern wurden im Kollektiv gesammelt.
Warum brauchen wir eine feministische Hochschulgruppe?
Irgendwie ist Feminismus ja immer noch ein polarisierendes Thema in unserer Gesellschaft. Obwohl es ihn schon lange gibt, existieren teilweise immer noch negative Stereotypen über Feminist*Innen. Die Meisten wissen inzwischen, dass Feminismus nicht für Dominanz der Frauen über Männer steht, sondern für gesellschaftliche Gleichberechtigung und intersektionale Inklusion. Trotzdem gibt es immer noch Menschen, die dieser Aussage widersprechen würden. Mit dem Engagement im LAUT KOLLEKTIV wollen die Mitglieder solchen Missverständnissen begegnen und auch in unserem universitären Umfeld Debatten fördern: „Letztlich ist die Universität ein Ort, um eine Diskussionsplattform zu schaffen und ich denke, dass diese Initiative eine gute Grundlage bietet, um zu reden und zusammenzukommen“ sagt Ragna. „Feminismus, Intersektionalität, Offenheit und Gleichberechtigung sind zurzeit sehr brisante Themen, und ich denke, dass es sehr wichtig ist, hier an der Uni eine Meinung zu vertreten. […] Ich denke, jeder sollte sich damit persönlich auseinandersetzen, weil es um Gleichberechtigung geht.“
An der Zeppelin Universität war die Rezeption der Initiative durchweg positiv, im Vergleich mit den Erfahrungen anderer feministischer Hochschulgruppen und Initiativen keine Selbstverständlichkeit. Trotzdem brauchen wir auch an der ZU eine feministische Gruppe. „Wir haben bei der Gründung der Initiative auch Handlungsbedarf gesehen, weil man oft nach Partys Geschichten von Formen von sexueller Belästigung gehört hat und das einfach nicht akzeptabel ist. Dem wollten wir entgegenwirken“, erklärt Sophie. „Aber eigentlich ist überall Bedarf dafür.“ Für die Opfer sexuellen Missbrauchs möchte das LAUT KOLLEKTIV eine Safe Space schaffen und Leitfäden zum Umgang entwickeln.
… und dass man sich nicht die Achselhaare pink färben muss, um Feminist*in zu sein
Sophie über Ihre Vision vom Ende der Vorurteile gegenüber Feminst*innen
Visionen
Für die Zukunft hoffen Ragna und Sophie, dass die Initiative erhalten bleibt, wächst und sich strukturell weiterentwickelt, wenn die beiden bald Praxissemester machen. Aber auch für den Feminismus allgemein wünschen sich die beiden eine breitere Etablierung. „Meine Vision ist, dass viele Leute erkennen, dass Feminismus kein Unwort ist, und dass man sich nicht die Achselhaare pink färben muss, um Feminist*in zu sein, sondern dass es einfach darum geht, solidarisch zu sein mit jeder Form von Diskriminierung […] und dass auf einer politischen und gesellschaftlichen Ebene ein größeres Verständnis und eine größere Verschwesterung geschaffen wird, um mit dieser produktiven Wut mehr zu erreichen und um gegen das Patriarchat und gegen systematische Unterdrückung einzustehen“, erzählt Sophie.
Um Beweise dafür zu finden, dass es auch in aufgeklärten europäischen Staaten Diskriminierung und Missbrauch von Frauen gibt, muss man nicht lange suchen. „Man muss sich nur eine Statistik der Polizei anschauen, um zu sehen, dass Feminismus in Deutschland kein Abfallprodukt oder Nebenschauplatz ist, sondern sehr notwendig“, erläutert Sophie, die sich mit Partnerschaftsgewaltdelikten gegen Frauen beschäftigt hat. Auch die Debatte um reproduktive Rechte im Zusammenhang mit dem kürzlich beschlossenen Abtreibungsverbot in Polen ist für die beiden ein wichtiges und zukunftsrelevantes Thema. „Ich finde es krass, dass Leute versuchen, einer Frau vorzuschreiben, ob sie abtreiben darf oder nicht und ich frage mich, woher diese Leute sich das Recht auf diesen Eingriff in die Intimität und die Persönlichkeit anleiten“ erzählt Ragna. Wie die Proteste gegen das Abtreibungsverbot in Polen sich zu einer viel größeren gesellschaftlichen Bewegung entwickelt haben, finden beide spannend, „weil Feminismus ja nicht nur die Opposition gegen das Verbot von Abtreibungen ist, sondern so viel mehr als das.“
Einen weiteren unverbindlichen Einblick in das Kollektiv gewährt eine Folge des Podcasts “LG vom See” auf Welle 20. Und wer Teil des LAUT KOLLEKTIVS werden, ein Thema ansprechen oder in Zusammenarbeit mit der Initiative ein Projekt umsetzen möchte, ist jederzeit herzlich eingeladen, die Initiative auf Instagram anzuschreiben (@daslautkollektiv) oder eine E-Mail das daslautkollektiv@zeppelin-university.net zu schreiben.
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