Jeder Student erinnert sich an das Gefühl nach den Abiturprüfungen: Endlich frei! Doch niemand hat uns auf die große Freiheit vorbereitet. Auf einen Schlag haben wir mehr Möglichkeiten als je zuvor: 326 Ausbildungsberufe und 17.945 Bachelorstudiengänge in Deutschland, 1.489 allein in Baden-Württemberg – Münzwurf scheint hier nicht wirklich eine Option zu sein.
Die vergangenen drei Monate durfte die erste Kohorte ihren inneren Kompass ausrichten und Erfahrungen am See sammeln – aber warum entscheiden sich Abiturienten dafür, 3.900 Euro für ein Teilzeitstudium zu zahlen? Und welchen Nutzen hat die Universität davon?
Erleben, wie Uni funktioniert. Ein Semester lang.
Mit 16 ECTS gilt das Semester als Teilzeitstudium. Belegt werden können grundsätzlich alle Bachelorkurse. Dieser Service existiert quasi kostenlos an jeder Universität des Landes. Einfach einschreiben und wählen worauf man Lust hat. Warum also knapp viertausend Euro für sechs Monate zahlen?
Vorab: der Mehrwert besteht nicht in den Kursen, auch die Struktur des Programms allein rechtfertigt keinen Betrag dieser Größe. Was das Kompass-Studium einzigartig macht, sind der Zugang zur ZU und das persönliche Coaching. Kompass-Studierende bekommen Zugriff auf unsere Alumni, die Möglichkeit sich in die Gemeinschaft einzubringen und Initiativen zu nutzen. Hier kann man Softskills aufpolieren oder mit Initiativen wie Nepals die Welt verändern.
Für Bewerber mit moderaten Finanzen gibt es sogar Vollstipendien, jedoch nur, wenn man aus der Region Bodensee-Oberschwaben stammt. Damit ist zwar die Finanzierung des Coaching-Programms geklärt, auf die Frage der Lebenshaltungskosten liefern sie aber keine Antwort. Die Miete, mit ca. 400 Euro im Monat, stellt vermutlich die höchste Hürde für die Zeit am See. Damit wird ein großer Teil der Abiturienten per se ausgeschlossen. Auch der Staat hält sich hier raus, einen BAföG-Anspruch gibt es nicht. So bleibt das Programm, trotz Stipendium, eine exklusive Angelegenheit.
Erleben, wie BWL funktioniert. Ein Semester lang.
Das Kompass-Studium stellt eine schöne Case Study für angehende Wirtschaftswissenschaftler da. Das Projekt ist die kommenden Semester auf Verlust ausgelegt und wird zu großen Teilen durch das Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg finanziert. Gemeinsam mit drei weiteren Konzepten erhält es eine Förderung über 1,5 Millionen Euro über drei Jahre. Aber warum sollte man ein Programm finanzieren, das keinen Gewinn macht? Pure Nächstenliebe?
Nein. Die Zeppelin Universität muss auf dem Markt um die besten Studierenden werben. Der Konkurrenzkampf ist hart: es gibt immer mehr Hochschulstandorte und bei nahezu 18.000 Studiengängen ist es nicht leicht, neue Alleinstellungsmerkmale zu schaffen. Das Kompass-Studium sticht dennoch heraus. Es senkt die Hemmschwelle, man verpflichtet sich keine vier Jahre, sondern schnuppert etwas hinein.
Ein guter Deal für beide Seiten. Wenn es wirklich nicht passt, hat man einen klaren Cut. Auf der anderen Seite gibt es den Lock-in-Effect. Der Umzug nach Friedrichshafen, die Mitarbeit in Initiativen und neue Freunde, sie alle binden einen an die Stadt am See. Die Kosten eines Wechsels erscheinen vergleichsweise hoch und man entscheidet sich vielleicht doch für Friedrichshafen.
Warum wir einen Kompass und kein Smartphone brauchen.
Wer möchte, hat heute sein ganzes Leben in der Tasche. Man kann mittlerweile alles auf dem Smartphone machen: Freundschaften pflegen, Filme schauen, Kunst genießen, dank Spotify bekommt das eigene Leben sogar einen Soundtrack. Wir haben unser Leben als Flatrate auf dem Handy. Es ist unsere eigene kleine Bubble – Rückzugsort und Quelle für Inspiration zugleich. Was wir hier jedoch nicht machen können sind echte Erfahrungen. Wer das Abenteuer sucht braucht einen Kompass, kein Smartphone.
Luisa, Hannah und Linus haben sich für ein kleines Abenteuer an der ZU entschieden. Sie gehören zur ersten Kohorte der Kompass-Studierenden.
Luisa hat die letzten beiden Jahre in Hamburg gelebt. Für sie war von Anfang an klar, dass sie an eine kleine Universität möchte. „Die Unterrichtsatmosphäre ist genau das, was ich gesucht habe“, schwärmt sie, „an der ZU ist man nicht einfach eine Matrikelnummer, sondern ein Mensch mit Namen.“ Besonders begeistert sie die Diskussionskultur – ihr absoluter Albtraum wäre es, an einer Universität mit anonymen Massenvorlesungen zu studieren. Das Programm begeistert sie dadurch, „dass man aus den Kohorten ausbricht und in den Kursen Studierende aus den verschiedenen Semestern kennenlernt. Gerade die Betreuung durch die Studies ist klasse.“
Auf die Frage ob sie weiß, wie viele Initiativen wir haben, antwortet sie prompt: „Ich erinnere mich an das Initiativen-Heftchen, das war so dick … ich schätze mal 90.“ Trotz der großen Auswahl hat sich Luisa für eine entschieden: Tatendrang. Hier akquiriert sie Unternehmen für das Start-up Village bei ZUtaten im kommenden Frühjahr.
Hannah ist Abiturjahrgang 2018 – das letzte Jahr hat sie in Berlin gelebt und an einem sechsmonatigem Coaching-Programm teilgenommen, dabei ging es eher um Persönlichkeitsentwicklung als Karriereplanung. Um ihren Kurs neu zu justieren, nimmt sie am Kompass-Studium teil. Gefunden hat sie das Angebot im Netz: „Anfangs war die Website mein einziger Kontaktpunkt, ich habe alle Inhalte gelesen, besonders die Beschreibungen der Studiengänge waren sehr spannend. Mein Bauchgefühl hat daraufhin „ja“ gesagt. Entscheidend war für mich das Motto ‚Zwischen Wirtschaft, Kultur und Politik‘.“
Damit war für sie Vielfalt und Interdisziplinarität ausschlaggebend. Hier liegt aber auch einer ihrer Kritikpunkte. Das Kursangebot ist etwas zu klein, besonders vermisst sie Gender Studies und Kurse zur Digitalisierung. Kritisch überlegt sie: „Ich wünsche mir Realität, mehr Probleme, die am Anfang auftreten können, z.B. Zeitdruck bei der Wohnungssuche. Typische Studentenhürden fehlen, weil man so stark umsorgt wird.“
Hannah nutzt alle Möglichkeiten – und dennoch hat sie gelegentlich das Gefühl, etwas zu verpassen. „Soapbox finde ich zum Beispiel richtig spannend, aber bei 12 Kursen, ZUtaten und Sport bleibt einfach keine Zeit.“ Sie ist begeistert: „es gibt mehr als genug Angebot! Ich finde es super, dass alle die Initiativen so ernst nehmen und dass Engagement gelebt wird! Besonders bei der Female Founders Night fand ich es beeindruckend, wieviel Energie da reingesteckt wurde! Wie Studies etwas auf die Beine stellen, das sonst professionelle Eventmanager organisieren.“
Mit Linus spreche ich am Wochenende. Sich direkt ins Studium zu stürzen war für ihn keine Option. Damit war das Schnupper-Studium an der ZU die perfekte Alternative. Hier testet er die sozialwissenschaftlichen Fachbereiche. Die andere Hälfte seines Gap-Year will er etwas Naturwissenschaftliches probieren.
Ob sich das Studium für ihn gelohnt hat? „Ja! Ich habe Kurse aus allen vier Bereichen gewählt. Das Coaching hilft mir persönlich relativ viel!“, fast schon erleichtert ergänzt er, „… Kulturwissenschaftliche Fragen finde ich eher nicht so geil, das Themengebiet ist überhaupt nicht meins.“ Er ist froh darüber, selbst wenn man nicht sein Traumstudium findet: man kann zumindest ausschließen, was nicht zu einem passt. Die Initiativen begeistern ihn, sich dauerhaft engagieren kann er allerdings nicht, die Wochenenden sind für seine Freundin reserviert.
Friedrichshafen als Universitätsstandort
Das wohl größte Manko für die drei Kompass-Studierenden ist der Standort – nachdem er in Hamburg aufgewachsen ist, war der Umzug für Linus eine große Umstellung, „Der See und die Berge hauen es raus, aber die Stadt – geht so. Es ist eine kleine Uni, man macht nur mit Leuten aus der Uni was.“ Er kritisiert auch den fehlenden Kontakt zu den Häflern.
Hannah ergänzt, „Stuttgart, dann ein Jahr Berlin, dann FN als krasser Gegensatz. Ist schwer zu beurteilen. Ich kann nicht sagen, dass ich ein Stadtmensch bin, weil ich Natur nie so erlebt habe. Ich merke, dass ich die Natur hier am See genieße, aber ich bräuchte noch etwas mehr Kontrastprogramm zur ZU – kleine Uni und so, … ich muss aufpassen, dass es mir nicht zu viel wird. Ich genieße es, in der Großstadt anonym zu sein.“, ihr selbstbewusster Tonfall gerät dabei leicht ins Wanken. Mit Sehnsucht schildert sie, „Ich vermisse es, auf Veranstaltungen zu gehen, spontan mal raus zu gehen, … das ist in Friedrichshafen einfach nicht möglich. Ich finde es schön, dass es so viel in der Uni gibt, war öfter abends bei Vorträgen, aber das ist auch wieder Zeit, die ich extra an der ZU bin.“
Luisa teilt Hannahs Meinung, ihre Kritik schlägt aber schnell in eine Faszination für das studentische Angebot um: „In Hamburg hatte ich coole Cafés, Bars, Boutique – hier ist zwar auch was los, aber in einer komplett anderen Richtung. Die Studenten organisieren so viel, besonders gefallen mir die Global Talks und natürlich die WG Partys. Es gibt so viel, das kann man zeitlich gar nicht schaffen!“