Dies ist die Fortsetzung des Gesprächs mit Herr Prof. Dr. Klaus Mühlhahn, dem neuen Präsidenten der ZU. Im ersten Teil stellten wir Fragen zu der Person hinter dem Amt, zu Herrn Mühlhahns Ideal der Universität und inhaltliche Fragen zu der zukünftigen Ausrichtung der ZU. Die Schwerpunkte sind diesmal die Reakkreditierung, Forschung und Lehre, sowie Fragen zum Austausch und Umgang mit China. Wir hoffen eure unbeantworteten Fragen werden geklärt und dieses Interview ermöglicht euch ein vollständigeres Bild über den neuen ZU-Präsidenten. Viel Spaß beim Lesen von Teil zwei des futurdrei Gesprächs mit dem neuen Präsidenten.
Reakkreditierung
Leon: Eine der dringlichsten Aufgaben der ZU ist das für 2022/2023 vorgesehene Reakkreditierungsverfahren. Trotzdem müssen wir zügig viele neue Lehrstühle schaffen. Ihre Rolle als leitende Person der Universität ist zentral. Welche Herausforderungen sehen Sie und welche Aufgabe haben Sie in dem Prozess?
Mühlhahn: Die Reakkreditierung und das Promotionsrecht sind zentral für die ZU. Für mich sollte diesem Prozess eine Frage voraus gehen: Wie können wir alle zusammen ̶ und damit meine ich jegliche Statusgruppen der Universität ̶ auf dieses Ziel hinarbeiten? Leicht wird es nicht. Wir müssen alle an einem Strang ziehen, denn vor dem Wissenschaftsrat brauchen wir Einigkeit und einen gemeinschaftlichen Auftritt. Nach dem Motto: Hier spricht eine Universität mit einer Stimme. Die Weichen dafür sind gestellt. Als meine Hauptaufgabe sehe ich, dafür zu sorgen, dass wir die Energie, die da ist, und die Diskussionen und Vorschläge bündeln und die richtigen Entscheidungen treffen. Dann wird es uns gelingen, mit Optimismus vor den Wissenschaftsrat zu treten und das Verfahren für uns zu entscheiden.
Ciara: Sie sagten alle Statusgruppen sollten an einem Strang ziehen. Das größte Problem bei dem Prozess ist aber, dass wir zu wenig besetzte Professuren haben. Die Verwaltung und die Studierenden können diese Positionen nicht neu besetzen. Wie genau wollen Sie dieses Problem angehen?
Mühlhahn: Es müssen Ausschreibungen gemacht und Berufungsverfahren eingeleitet werden, um am Ende auf die 38 Professuren zu kommen. Wir müssen schauen, wie wir diese Prozesse noch beschleunigen können. An der Freien Universität Berlin zum Beispiel sind Berufungsverfahren lang und kompliziert ̶ das brauchen wir hier nicht. Darüber hinaus hat das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst bereits Vorgaben gemacht, die erfüllt werden müssen. Einiges davon ist bereits passiert. Zum Beispiel, dass Forschungsförderung stattfindet und Forschungsleistung honoriert wird. Aber bei so einer Begutachtung kann man auch durch Begeisterung punkten. Der Wissenschaftsrat muss weithin überzeugt werden, dass wir auf einem guten Weg sind, dass wir die Kritik angenommen haben, dass wir die richtigen Maßnahmen ergreifen und die Entwicklung auf hohem Niveau weitergeht.
Leon: Es ist bekannt, dass die ZU ihre Mitarbeiter*Innen nicht auf dem Niveau staatlicher Universitäten bezahlt. Wie wollen Sie unter diesen Umständen Talente an der Universität halten und Neue anwerben?
Mühlhahn: Bezüglich der Gehälter ist in den letzten Jahren schon einiges gemacht worden. Vor ein paar Jahren war das Problem noch deutlich eklatanter. Man hat probiert, durch die Einführung einer Gehaltssystematik die Gehälter dem öffentlichen Dienst anzunähern. Das ist nicht einfach für eine Privatuniversität, denn man kann nur so viel verteilen, wie man hat. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass da die richtigen Maßnahmen unternommen wurden, wenn auch nicht so schnell, wie einige sich das gewünscht hatten.
Hinzu kommt mein Vorschlag: Wir haben den großen Vorteil, dass wir die Menschen begeistern können. Natürlich ist ein gutes Gehalt ein wichtiger Faktor. Jegliche Arbeitnehmerumfragen zeigen jedoch, dass Faktoren wie Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz, Flexibilität und Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine ebenso wichtige Rolle spielen. Wir müssen darauf hinarbeiten, uns von einer rein monetären Betrachtungsweise weg zu entwickeln.
Leon: Die ZU lebt von einem Diskursformat, von einer intensiven Lehre und einem regen Austausch. Die Reakkreditierung fokussiert sich jedoch insbesondere auf die Forschung und möchte diese ausbauen. Wie kann unter diesen Umständen die Qualität der Lehre gesichert werden?
Mühlhahn: Ich sehe hier keinen Gegensatz. Wenn hier sogenannte Cutting-Edge-Forschung stattfindet, wirkt sich das auch positiv auf die Lehre aus. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in der Forschung aktiv sind und viel publizieren, können Studierenden die neuesten Inhalte vermitteln. Wir müssen schauen, dass wir die Formate haben, damit die Forschung auch in die Lehre vorkommt. Es sollte gelten: Je besser die Forschung, desto besser die Lehre.
China, China, China
Ciara: Sie schreiben immer wieder für das politische Magazin Cicero, welches für seine konservative Ausrichtung bekannt ist. Wie passt diese konservative Ausrichtung mit unserer Universität und Ihrem Selbstverständnis zusammen?
Mühlhahn: Ich habe Cicero immer als ein liberaleres Blatt verstanden, das eine Vielzahl von Meinungen hat. Die Redaktion hat meine China-Artikel immer gedruckt, ohne Einfluss darauf zu nehmen. Dabei äußere ich mich manchmal sehr kritisch und manchmal sehr differenziert zu dem Land. Und gerade diese differenzierte Sicht findet man wenig in anderen Kontexten.
Leon: Wenn wir schon bei dem Thema sind: Warum eigentlich China und woher kommt ihre Faszination für dieses Fachgebiet?
Mühlhahn: Ich würde nicht sagen, dass ich eine Faszination für China habe. Ich habe mich mit der Volksrepublik beschäftigt, weil ich (wie viele andere auch) früh davon überzeugt war, dass es ein wichtiges Land ist, welches die Welt verändern wird. Darüber hinaus wollte ich mich mit Sprachen auseinandersetzen. Und so kam eins zum anderen.
Leon: In einem Artikel in der WELT wird die Kooperation zwischen der Universität Peking und der FU, dessen Vizepräsident Sie waren, kritisch beleuchtet. Der Autor bemängelt, dass die FU eine Professur zum Aufbau eines Lehramtsstudienganges für Chinesisch von Peking finanzieren lässt und sich dabei dazu verpflichtet, hierzulande chinesisches Recht einzuhalten. Wie stehen Sie dazu?
Mühlhahn: Das Programm ist dafür gedacht, die Förderung der chinesischen Sprache in den Schulen zu ermöglichen. Und genau deshalb haben wir damals den Antrag gestellt, denn in Deutschland sollten mehr Menschen Chinesisch lernen. Die Goethe-Institute machen nichts anderes und versuchen die deutsche Sprache im Ausland zu fördern. An der Berichterstattung störte mich vor allem, dass der Journalist sich geweigert hat, bestimmte Tatsachen zu Kenntnis zu nehmen, obwohl wir sie ihm als Universität mitgeteilt haben. So wird in dem Artikel betont, dass China Einfluss hätte nehmen können, dies war jedoch zu keinem Zeitpunkt der Fall. Wir sind also im Bereich des Hypothetischen, nicht des Faktischen. Man kann natürlich kontrovers diskutieren, ob es richtig ist, das Geld von China anzunehmen. In der Folge müsste man sich überlegen, ob es überhaupt richtig ist, Geld von autokratischen Regimen anzunehmen. Das haben wir damals anders beurteilt. Man kann aber nicht darüber diskutieren, ob China Einfluss genommen hat. Das ist faktisch geklärt, und das hätten wir auch nicht zugelassen.
Leon: Sie würden sagen, dass die Darstellung des Artikels, dass der Vertrag die FU in ihrer Wissenschaftsfreiheit einengt, überspitzt ist und eine Einflussnahme nie stattgefunden hat?
Mühlhahn: Genau.
Ciara: Aber ist es denn nicht problematisch, dem Land überhaupt die Möglichkeit einzuräumen, dass es Einfluss nehmen kann?
Mühlhahn: Der Punkt ist richtig, das würde ich heute auch nicht mehr so machen, sondern differenzierter betrachten. Eine Einflussnahme der Regierung im In- und Ausland, wie sie heute zu beobachten ist, gab es 2014 nicht. Trotzdem darf das nicht nur für China gelten, sondern auch für andere autokratische Regime und Unternehmen.
Leon: Anschließend dazu: In diesem Artikel kritisiert die Juristin Eva Pils vom King`s College London: „Das Abkommen gebe der chinesischen Seite sehr viele Möglichkeiten zur Einflussnahme, die zu Selbstzensur in Berlin führen könne. Es sei auch „absolut realistisch“, dass chinesische Studenten oder Forscher aufgrund kritischer Äußerungen in Deutschland nach ihrer Rückkehr nach China strafrechtlich dafür verantwortlich gemacht werden.“ Was sagen Sie dazu, wenn es konkret um Chines*Innen geht, die an der FU lehren und dann womöglich in ihrem Heimatland belangt werden?
Mühlhahn: Es ist möglich, und das kann ich auch nicht ausschließen. Jedoch weiß ich nicht, wie wir das als Universität je ausschließen können.
Leon: Und was bedeutet die Kooperation mit China und chinesischen Partneruniversitäten konkret für die ZU?
Mühlhahn: Ich bin jemand, der an die Notwendigkeit von Kooperationen mit China glaubt. Wenn wir uns sicher sind, was unsere Grundwerte sind, gibt es keinen Grund dafür, dass wir uns vor einem Dialog fürchten müssten. Den Dialog und Kooperationen halte ich für wichtig. Aber dies muss offen und kritisch geschehen, wir müssen die akademische Freiheit gewährleisten und politische Einflussnahme ablehnen. Dann sollten wir einem Gespräch mit China nicht aus dem Weg gehen, sondern uns dem stellen.
Ciara: In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau aus dem Jahr 2019 sagen Sie, dass China versucht, Eliten auf der Basis anonymisierter, leistungsorientierter Tests auszubilden. Einerseits kann das positiv gesehen werden, da solche Tests nicht nach Herkunft oder anderen Merkmalen diskriminieren. Ist es aber nicht auch problematisch, weil lediglich Effizienz und Effektivität betrachtet werden und kritisches Reflektieren außer Acht gelassen wird?
Mühlhahn: Auch ich sehe einen Nachteil bei der reinen Wissenswiedergabe. Ein solches System verlangt die Reproduktion von standardisiertem Wissen. Je exakter die Reproduktion, desto besser schneiden sie ab. Außerdem übt dieses anonymisierte System extremen Druck auf die Einzelpersonen aus. Ich teile Ihre kritische Perspektive also, aber eine Einschränkung würde ich machen. Ich bin davon überzeugt, dass die Fähigkeit, Kritik zu üben, in China immer noch da ist. Diese Fähigkeit kann auch ein solches System nicht unterdrücken. Freilich gibt es einen gewissen Anpassungsdruck, dieser wird aber primär nach außen produziert. Innerlich werden die Werte des Staates oft nicht ohne Weiteres angenommen. Eine solche Übernahme des Inneren durch Staatspropaganda findet meines Erachtens viel weniger statt als man im Westen vermutet. Ich glaube nicht an Hirnwäsche. Das chinesische System kann Konformität erzeugen, aber keine innere Überzeugung.
Ciara: Aber es ist ja trotzdem nicht erstrebenswert, seine Meinung nicht nach außen tragen zu können?
Mühlhahn: Ja, natürlich. Genau deshalb ist es wichtig mit den chinesischen Studierenden und Professorinnen und Professoren in Kontakt zu stehen, ihnen unsere Werte zu zeigen und ihnen zu ermöglichen, in einem sicheren Rahmen zu sprechen. Ich habe in China unterrichtet und war in den Seminaren mit einer großen Scheu konfrontiert. Die Studierenden äußerten sich kaum. Einige meiner schönsten Erlebnisse als Hochschullehrer waren, wenn am Ende eines Seminars das Eis etwas gebrochen war und sich die Leute besser und klarer artikulierten. Dieses Bedürfnis wird unterdrückt, aber der Wunsch ist da.
Ciara: In den USA wird oft vom American Dream gesprochen, der jedem Menschen durch harte Arbeit einen höheren Lebensstandard verspricht, sich aktuell jedoch als Mythos entpuppt. Chinas Herangehensweise ermöglicht bessere Aufstiegschancen, übersieht aber die menschlichen Veranlagungen. Wo sehen Sie in Bezug auf den angeblich fairen Elitenbildungsprozess in China Schwierigkeiten? Und wo sehen Sie eine goldene Mitte zwischen Freiheit und Chancengleichheit?
Mühlhahn: Ich will China jetzt auch nicht als Vorbild preisen. In solchen Interviews geht es mir darum, die konventionellen Auffassungen zu verändern. Ich wollte darauf hinweisen, dass China auch einiges an Stärken mitbringt. Trotz Parteihierarchie, Funktionären, Nomenklatura und Korruption gibt es so etwas wie Chancengleichheit. Zumindest in Bezug auf das Bildungswesen und das standardisierte Testverfahren. Es gibt viele in China, die ein Hochschulstudium schaffen, obwohl sie aus weniger privilegierten Schichten kommen. Es würde sich sehr empfehlen, hier mal einen internationalen Vergleich anzustellen. In Deutschland hat sich die Situation nämlich eher verschlechtert. Gehen Sie mal an eine staatliche deutsche Hochschule – kaum Studierende aus nicht akademischen Haushalten und fast ausschließlich Bildungsbürgertum. In Amerika habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht. Bildung heißt, Chancen zu geben. Diese Chancen sollten für jeden Menschen offeriert werden. Deshalb muss eine private Universität in einem breiten Rahmen Stipendien anbieten. Auf der Suche nach dem idealen Bildungssystem sollte man weder nur nach China schauen noch in die USA, sondern eine eigene Tradition wiederbeleben.
Leon: Die letzte Frage, bevor wir das Interview ausklingen lassen, dreht sich um die aktuelle Krise. Die Corona-Krise hat unsere gesamte Gesellschaft und auch die Zeppelin Universität getroffen. Wie würden Sie rückblickend die Maßnahmen bewerten und welchen Ausblick auf das Fall-Semester können Sie uns geben?
Mühlhahn: Es musste aus dem Stand heraus dieser Übergang von Präsenz zu online bewältigt werden. Niemand hat das vorhergesehen. Ich bin beeindruckt, dass und wie man es geschafft hat. Die staatlichen Universitäten hatten sieben bis acht Wochen Zeit, um sich darauf vorzubereiten, und selbst da ist es zu vielen Problemen gekommen. Wir stehen jetzt vor der Frage, wie das Herbstsemester wird. Wir müssen bedenken, dass der Schutz der Gesundheit das höchste Gut ist. Unter der Maßgabe, was da zulässig und sinnvoll ist, sollten wir so viel Präsenz wie möglich anbieten, die online begleitet wird. Ziel ist es, so viele Campus-Begegnungen wie möglich, die aber auch vertretbar sind, zu ermöglichen. Dann wird es mir auch hoffentlich möglich sein, selbst am Uni-Leben teilzunehmen, und wenn es sein muss auch mit Mundschutz.
Ciara: Danke für das Interview im Namen von futurdrei und den Studierenden. Es war sehr informativ und erfreulich, Sie besser kennenzulernen.
Leon: Auch wenn die Fragen fordernd wirken mögen, wünschen wir uns als Studierendenschaft einen regen und persönlichen Austausch mit Ihnen und freuen uns sehr, wenn Sie ein Bestandteil des Uni-Alltags werden und ihr schönes Büro auch regelmäßig verlassen.