Alissa Lipp gründete dieses Jahr #Auflebenin FN um Friedhofshafen wieder ins Reich der lebenden zu befördern. Wir haben über Ihr Projekt, die Stadt und die Wahrnehmung der Zeppelin Universität durch die Häfler gesprochen. (Part II)
Wir sitzen zu dritt auf der Terrasse des Ferdinand, die Sonne badet die Scenerie in ein warmes Gold. Der Kellner bringt uns zum Smalltalk noch zwei Weinschorle für Alissa und mich, sowie ein Meckatzer für ihren Mann. Wir tauschen Geschichten aus: wo wir aufgewachsen sind, was mich nach Friedrichshafen verschlagen hat und warum sind Alissa und ihr Mann noch immer am See leben. Es ist ihre Heimat, hier fühlen sich die beiden Wohl. Für Alissa bedeutete das aber auch, Verantwortung zu übernehmen. Sie liebt ihr Zuhause mit all seinen Fehlen, deshalb setzt sie sich mit Herzblut und Leidenschaft für ein lebenswerteres Friedrichshafen ein.
Die Stadt der halben Sachen.
Friedrichshafen hat für jeden eine andere Bedeutung. Alissa zeigt die Gegensätze auf: die Stadt für die Nachtschwärmer als Friedhofshafen bekannt, gilt sie andernorts (dank Diskoschiffen) als Ballermann vom Bodensee. Touris sehen Fiedrichshafen als Zeppelin-Stadt und wirtschaftlich ist der Hafen die Industriestadt der Region sowie Produktions- und Innovationszentrum. Daneben soll die Kreisstadt noch zur Universitätsstadt avancieren – allerdings ohne Studenten öffentlich einzubinden. Und natürlich gibt es noch Friedrichshafen als Einkaufs- und Kulturstadt …
… dieser Spagat muss aufhören, fordert Alissa. Die Stadt muss sich bewusstwerden was sie sein will – hier ist die Verwaltung gefragt: Wie soll Friedrichshafen in 10 Jahren aussehen und worauf wollen wir uns konzentrieren? Egal wofür sich die Stadt entscheidet – Kultur und Nachtleben werden eine Rolle spielen müssen. Damit Unternehmen erfolgreich sind, braucht es auch attraktive Standorte. Nur sie sind in der Lage Young Professionals – also die Innovationstreiber von Morgen – auf Dauer zu halten. Ein hohes Gehalt oder eine gute Ausbildung in Betrieb oder Uni allein reicht heute nicht mehr aus, um die besten Leute zu locken. Auch die Zeppelin Universität ist für viele nur eine Durchlaufstation, DHBW-ler fahren am Wochenende oft heim. Studierende zieht es in die Welt hinaus, kaum einer bleit am See. Der Hafen ist hat kein sexy Image: er ist eher der unliebsame Onkel, der sich in tiefstem Schwäbisch erkundigt, was denn diese OpenAir Konzerte kosten und sich über die hemmungslose Jugend beschwert. Keiner kann ihn so richtig leiden, doch er nun mal da und wir müssen uns mit ihm arrangieren.
Wir blicken auf das Schwäbische Meer: Während unseres Gespräches zieht ein Schwarm Jogger an uns vorbei. Wie Schwalben, so wirkt es, scheinen sie auf Beute am Seeufer zu hoffen.
Unsere Unterhaltung driftet in Richtung der fundamentalen Probleme in Friedrichshafen: Selbst, wenn wir das Freizeitangebot in FN hätten – es könnte nicht genutzt werden. Alissa sieht die Ursachen hierfür in den zu engen Sperrstunden … mit eines der Größten Probleme stellt jedoch der ÖPNV. Hier sind wir uns einer Meinung, „Als ich 2015 am See anfing zu studieren warben die Busse mit dem neuen Nightliner“ – bis Mitternacht! Alissa verdrehte die Augen und wir fangen an zu lachen. Andere Nahverkehrsbetriebe würden sich wahrscheinlich schämen so zu werben; ein Nightliner sollte um Mitternacht anfangen und nicht aufhören.
Der Bodo kann nicht mehr Verbindungen anbieten, weil kein Bedarf da ist – es ist kein Bedarf da, weil niemand das kulturelle Angebot wahrnehmen kann. Wir sind uns einig – man muss endlich das Henne-Ei-Paradigma durchbrechen. Ohne ÖPNV wird es auch kein Nachtleben in FN geben.
Welche Rolle spielen wir ZUler in der kulturellen Landschaft?
Die Zeppelin Universität tauchte 2003 einfach hier am See auf. Für Alissa – wie für viele andere Häfler – waren die ZUler anfangs Exoten, reiche Sonderlinge, Querdenker. Mit den Jahren versuchte man aber immer mehr Brücken zu bauen: Die lange Nacht der Musik, Singing Balconies und Seekult sind solche Verbindungspunkte; auch die City of Musik ist ein Forum für den Austausch zwischen Studierenden und Häflern. Es ist wichtig, dass wir aufeinander zugehen und voneinander lernen.
Alissa und ich sind uns jedoch einig: noch fehlt es an Orten der Begegnung – Kulturveranstaltungen sind ein guter Anfang, aber wir brauchen etwas Permanentes. Ein Café Herz etwa oder ein Alibi á la Weingarten von Studenten für die Stadt. Wenn Friedrichshafen eine Universitätsstadt werden möchte, muss man eine studentische Kultur nicht nur grummelnd aushalten, sondern auch fördern.
Integration ist unsere Herausforderung als Studierende, eine Parallelgesellschaft nützt niemanden.
Wir sind über 1.400 Studierende, 1.400 angehende Sozialwissenschaftler einer der besten Universitäten des Landes. Was ist unsere Antwort auf die Frage: Wie wird aus einem Nebeneinander ein Miteinander?
So what?
Die Häfler interessieren sich für uns Studierende! Wir sind Teil der Stadt – auch wenn es manchmal verdächtig nach Parallelgesellschaft aussieht. Egal wieviel Kommunikation das Marketing und die Studierenden selbst betreiben, wir sprechen doch nur zu uns selbst, unseren Peers und Interessierten die ohnehin schon alles wissen. Wir Zubras müssen endlich unsere Nachbarn und Mitbürger als Zuhörer begreifen und mit ihnen auf Augenhöhe reden. Dafür fehlt bislang noch ein Forum der Begegnung. Ein studentisches Café wäre überragend, aber vielleicht beginnt man erstmal mit einem Auftritt der Drama Society im GZH und lädt die ganze Stadt dazu ein.
Der Abend geht seinem Ende zu, wir müssen alle morgen früh raus. Die Sonne ist bereits vor 20 Minuten untergegangen, die Jogger sind nach Hause in Nest geflogen und kümmern sich um den Nachwuchs. Ich fahre die leeren Straßen meiner Wahlheimat entlang und träume davon wie sich die Stadt nach meinem Erasmussemester verändert haben könnte.