Queer ist ein Schlagwort, das polarisiert. Anfangs als Beleidigung gedacht, wurde es zum Trotzwort. Die Queer-Community, zu der neben Homosexuellen vor allem Transgender, Trans-, Inter- und Asexuelle gehören, hat sich das Wort in den 80ern und 90ern zurückerobert. Heute hat es eine überwiegend positive Konnotation. Queer steht für gesellschaftlichen Fortschritt und Weltoffenheit. Werte die wir auch an der ZU leben wollen. Im Interview erzählt uns Tristan was es bedeutet, queer zu sein und warum wir die Queer-Initiative an der ZU brauchen.
Vor dreieinhalb Jahren hat es Tristan an den See gezogen. Das Konzept der Uni hat ihn überzeugt, die Lehre, das Persönliche. Als er sich bewarb, spielte seine Orientierung noch keine Rolle, damals hatte er sogar eine Freundin. Seine eigene Sexualität akzeptierte er in vollem Umfang im ersten Semester seines Studiums an der ZU.
Du hattest dein Coming-out vor circa vier Jahren. Wie hat sich deine Selbstwahrnehmung seitdem verändert?
Coming-out ist ein schwieriger Begriff. Es hört sich so nach einem singulären Ereignis an, nach einem Turning-Point. Als sei man dann auf einmal ein geouteter Homo, mit fettem Schriftzug auf der Stirn. So funktioniert das nicht.
Das Coming-out ist ein Prozess. Zuallererst muss man die eigenen Neigungen gegenüber sich selbst eingestehen. Für mich war dieser Punkt nach einer AStA-Party in Köln, ich ging mit einem attraktiven Typen nach Hause und wusste, was ich in Zukunft will. Danach sprach ich mit engen Freunden und Mitbewohnern darüber. Auch meiner Mutter konnte ich es nicht länger verheimlichen – irgendwann sprudelte es beim Telefonat aus mir raus. Nach einem kurzen Schweigen, und dem Versuch die Szene durch einen Witz aufzulockern, war sie froh über meine Offenheit.
Es gibt nicht das eine Coming-out, es ist jedes Mal eine neue Herausforderung. Eine Person nach der anderen. Nachdem ich noch mehr Queers kennenlernt habe, weiß ich wieviel Glück ich mit meinem westlich-liberalen Hintergrund habe. Freunde aus anderen Kulturkreisen oder mit wertkonservativer Erziehung haben es nicht ganz so leicht.
Im Rahmen der Coming-Out Week wurdest du von unserer französischen Kollegin, Chloë Fraser, für SciencesPortraits interviewt. Du hast davon erzählt, wie du dich anfangs gegen deine Neigung gewährt hast. Warum hast du deine Sexualität als Problem angesehen?
Damals habe ich stark mit mir selbst gekämpft. Mein Umfeld war zwar weltoffen und divers. Meine Freunde und Klassenkammeraden sind in einem liberalen Kontext aufgewachsen, gebildete, bürgerliche Haushalte, Gymnasium in Köln Lindenthal. Dennoch war schwul eine gängige Beleidigung. Ich kannte auch niemanden, der offen homosexuell oder queer war. Allein die Vorstellung im Sportunterreicht aufgezogen zu werden, war echt gruselig und das obwohl wir von einem Kölner Gymnasiumreden.
Wie meine Freunde hatte ich diesen klischeehaften Lebenslauf im Kopf – Karriere, Kinder – ich redete mir ein „normal“ zu sein und wehrte mich, obwohl ich wusste, dass ich in diesen 0815-Lebenslauf nicht reinpasse.
Wie fühlte sich der Prozess der Selbstakzeptanz an? Man stellt ja nicht einfach über Nacht für sich fest: ich bin homosexuell.
Der Zeitraum zwischen meinem offenen Umgang und meinem aktiven Engagement in der Community war sehr kurz. Ende November bin ich von der AStA Party zu einem Typen nach Hause und drei Monate später habe ich mit Nina Queer@ZU übernommen.
Ich glaube, dass bei mir bereits sehr viel davor passiert ist und ich es in dem Moment nicht so wahrgenommen habe. Jeder soll nach seiner eigenen Fasson leben, offen für seine Meinungen und Neigungen einstehen. Das umzusetzen war für mich ein Befreiungsmoment.
Sich zu engagieren war für mich die logische Konsequenz – niemand sollte aufgrund seiner Neigungen Angst spüren oder das unwohle Gefühl im Magen zu haben, etwas verheimlichen zu müssen. Niemand sollte sich für andere Menschen verstellen müssen.
Gegenüber SciencesPortraits hast du die Meinung geäußert, dass Homosexuelle, im Vergleich zu Heteros, es schwerer haben das klassische Modell einer monogamen Beziehung zu führen. Siehst du das heute genauso?
In gewisser Weise ja – unsere Situation ist eine andere und ich glaube es ist nicht leicht einen passenden Partner zu finden. In absoluten Zahlen sind wir auch schon weniger, außerdem habe ich den Eindruck wir schwanken zwischen den Extremen. In Subkulturen gibt es häufig sehr starke Szenegänger und als Gegenstück die Peripherie, die sich weniger über ihre Sexualität definiert und sie nicht so stark nach außen kommuniziert.
Ich kann aber immer nur für die Homos reden, nicht für die andren. Innerhalb der Queer Community sind die Strömungen sehr verschieden. Ich würde schon sagen, dass unsere Beziehungen anders sind, dass es schwieriger ist einen passenden Partner zu finden. Blickt man in die Beziehungen haben wir nicht mehr, sondern einfach andere Probleme als Heteros und Cisgender Paare.
Wer queer ist, muss ich intensiver mit der eigenen Sexualität auseinandersetzen, fühlt sich aber vielleicht auch eher allein dabei, weil man nicht in die Norm passt. Welche Tipps kannst du aus deiner Erfahrung geben?
Konkrete Tipps sind immer stark kontextabhängig. Wenn man das Gefühl hat eine tolerante Familie und Freunde zu haben, kann man das sicher in einer entspannten und intimen Atmosphäre besprechen. Der Moment des Coming-Out macht einen sehr verletzlich. Deshalb sollte man sich in einem Tempo öffnen, in dem man sich auch wohlfühlt.
Es ist ungeheuer wichtig, dass es Anlaufstellen und Safe-Spaces gibt. Sie sind Orte, in denen man öffnen und Erfahrungen austauschen kann; über das erlebte diskutiert.
Netzwerke und Anlaufstellen gibt es deutschlandweit. In jeder größeren Stadt gibt es zum Beispiel einen Ableger des VLSP (Verband für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, intersexuelle und queere Menschen in der Psychologie). Der Verband ist der richtige Ansprechpartner für alle Farben des Regenbogens. Letztendlich ist genau dafür auch die Queer@ZU da, wenn auch in kleinem Rahmen.
Siehst du dich in der Pflicht etwas nach außen zu tragen? Fühlst du dich unter Druck – immerhin vertritt, wer offen zeigt, dass er homosexuell ist, auch immer die Community mit.
Gute Frage. Letztlich wird hier immer etwas intimes politisiert. Ich spüre in jedem Fall einen gewissen Repräsentationsdruck. Wir sind hier, wir sind bunt, wir zeigen wer wir sind – darauf sollte man auch stolz sein.
Friedrichshafen ist eine kleine Stadt, aber das nimmt uns nicht unsere Freiheiten. Im Gegenteil, wir ergänzen die Universität und bereichern die Gemeinschaft.
Unter Druck stehen wir auf jeden Fall, aber weniger auf unsere eigene Identität bezogen. Vielmehr darauf welches Bild wir selbst und unsere Aktionen von der Community zeigen. Wie extrem sind wir? Welche Stereotypen erfüllen wir? Diese Fragen sind sehr wichtig, da wir in einer kleinen Stadt, an einer vergleichsweise konservativen Universität studieren.
Wir sehen das als positive Herausforderung – Klischees schaden nicht nur. Wir können mit ihnen spielen oder sie auch brechen.
Die Queer Initiative, der du vorstehst, will Austausch fördern und ein Netzwerk schaffen. Wieso brauchen wir die Initiative an einem so toleranten Ort wie der ZU?
Es ist nicht so, dass jeder der sich mit dem Spektrum identifiziert seine Neigungen auch offen ausleben kann. Ich kenne genug Studierende die sich zwar als queer sehen, dass aber nicht nach außen tragen. Selbst an einem offenen Ort wie der ZU gibt es gesellschaftliche Normen und Einschränkungen.
Betrachtet man die Universität von außen, als Teil der Community, ist die Masse doch homogener als einem lieb ist. Ich weiß nicht wie das andere Minderheiten wahrnehmen, aber welche Subkulturen werden denn (offen) an der ZU vertreten?
In meinem Auslandsjahr habe ich die ZU in vielen Punkten lieben gelernt. Unser Angebot ist einzigartig, wir haben viel zu bieten – jedoch nicht im Punkt Queer. Uns fehlen die schrägen Vögel und muss offen fragen: Warum sind wir kein Hotspot der Diversität?
Ist dieser Wunsch nach Diversität auch die Motivation hinter der Queer Initiative?
Richtig. Ich möchte repräsentieren, nach außen tragen, zeigen, dass es uns gibt, dass wir an der ZU zuhause sind.
Queer-Organisationen, feministische Initiativen und Studierende, die für Gleichberechtigung eintreten, sind ein Grundpfeiler jeder Universität. Genau das macht sie aus, als Ort der Offenheit, Toleranz und freien Meinung. Vielfältigkeit sollte nicht nur akzeptiert, sondern auch gefeiert werden.
Deshalb sehe ich Queer auch als ein Muss für die ZU – auch, wenn wir klein sind, können wir für die notwendige Reibung sorgen. Progressiv kann man nur dort sein, wo Meinungen aufeinanderprallen und (sexuelle) Vielfalt gelebt wird.
Stammtisch in der Nach-Corona-Phase? Wie geht es dann weiter?
Queer schläft gerade ist aber noch nicht tot. Da Nina und ich werden kommendes Semester unseren Bachelor schreiben und suchen einen Nachfolger und hoffen im Fall auf viel Interesse. Nach Corona wird es auch wieder unsere zweiwöchigen Stammtische geben. Jeder ist hier gerne eingeladen. Es geht um Austausch, Neugier und Toleranz.
Im kommenden Semester würden wir gerne mit dem Laut Kollektiv zusammenarbeiten und gemeinsame Aktion planen. Stay tuned!
TheOtherSide – Die Kolumne für Sex, Liebe, Leidenschaft. Vergangene Woche haben wir euch Die Geschichte der O erzählt. Kommenden Donnerstag erscheint die letzte Folge der zehnteiligen Kolumne.