Cornelis Kayser, Tarek Stucki und Bianca Balint sind Anfang des Jahres in den Iran gereist. Im Nachfolgenden erzählt Bianca, welche Begegnungen sie dort gemacht haben und warum eine Reise in das Land am Persischen Golf mindestens einmal im Leben unumgänglich ist.
Es ist ein kalter Januartag, an dem sich drei abenteurerlustige ZUler auf dem Weg nach Fernost machen. Das Ziel: In knapp drei Wochen einen Einblick in das Land und Leben der Iraner zu bekommen. Unser Umfeld: irritiert bis besorgt, wieso wir denn unbedingt in so ein gefährliches Land reisen wollen – so gibt es zumindest die allgemeine Wahrnehmung vor. Dennoch stehen wir an jenem Tag am Frankfurter Flughafen am Gate Richtung Teheran, in Vorfreude auf das, was uns erwartet. Abgesehen davon, dass die Iraner, wie ich finde, das gastfreundlichste Volk der Welt sind, ist der Iran reich an kulturellen Bauten. Sei es der Imam-Platz in Esfahan, auf dem der Schah Polo spielte, oder das antike Bewässerungssystem in der süd-östlich gelegenen Stadt Shushtar: bei den insgesamt 23 UNESCO-Welterbestätten soll bisher kein Besucher um das Staunen herumgekommen sein. Jetzt wollen wir uns ein eigenes Bild verschaffen.
Für mich ist es zwar bereits die dritte Reise in den Iran, trotzdem habe ich noch längst nicht alles gesehen und bin ich jedes Mal ein wenig nervös, wenn es in die Islamische Republik geht. Das Land am Persischen Golf ist nicht unbedingt mit den besten Schlagzeilen behaftet: hinter China die meisten Exekutionen weltweit, wirtschaftlich schwer angeschlagen – weil jüngst von den USA erneut sanktioniert – und von einer Gleichstellung und -berechtigung von Mann und Frau ist man auch noch weit entfernt. Kein Wunder also, dass wir die einzigen Touristen im Flugzeug sind. Das erste Schauspiel lässt sich bereits bei der Landung am Imam-Khomeini-Flughafen beobachten: Neunzig Prozent der Frauen an Bord tragen kein Kopftuch, holen es aber unmittelbar vor Verlassen des Flugzeuges heraus, da das Tragen des „hejab“ gesetzlich vorgeschrieben ist. Als wir anschließend bei der Gepäckkontrolle im Ankunftsbereich gefragt werden, woher wir kommen und „Alman“ (Deutschland) antworten, müssen wir unser Gepäck nicht kontrollieren lassen. Meine Gedanken beginnen zu kreisen: Hätte ein Iraner, der aus Deutschland anreist, auch diese Bevorzugung erfahren?
Unseren ersten Reisestopp bildet die Millionenmetropole Teheran. Aber nicht nur für uns ist es die erste Anlaufstelle im Iran: Aufgrund ihrer Liberalität wird die Stadt von den meisten jungen Menschen bevorzugt. Mit den richtigen Kontakten kann man hier sogar die wildesten Underground-Techno Partys feiern – allen Verboten zum Trotz. Gleichzeitig ist die Hauptstadt aber auch ein Zentrum des konservativen Islam: Mit einer Fläche so groß wie ein Fußballstadion und 230 Meter hohen Minaretten befindet sich hier gerade die landesweit größte Moschee im Bau. Zum Vergleich: Die Aussichtsplattform des Berliner Fernsehturms liegt in knapp 200 Metern Höhe.
An unserem ersten Abend treffen wir Freunde von mir, die ich von meinen letzten Reisen kenne, in einem Café im Norden von Teheran. Cafés gehören zu den wenigen öffentlichen Orten, an denen sich junge Iraner treffen, um Spaß zu haben, da das strikte Alkoholverbot keine Bars oder Clubs erlaubt. Wie unter anderen Gleichaltrigen auch, geht es in unseren Gesprächen nicht die ganze Zeit um Unfreiheiten oder Politik. Letztlich kommen wir jedoch darauf zu sprechen, weil einer der Freunde anmerkt: „Das Einzige, was hier frei ist, sind meine Gedanken“.
Dieser tiefe Einblick in das Lebensgefühl der Iraner lässt uns am nächsten Tag entgegen unserer ausgeprägten Diskussionsfreudigkeit nachdenklich und in uns gekehrt zurück, während wir zu unserem nächsten Ziel nach Ghom fahren. Eine Frage lässt mich für den Rest der Reise nicht mehr los: Wie können Menschen Tag für Tag in diesem System leben und nichtsdestotrotz so herzlich und glücklich sein?
Nach einer kurzen Busfahrt erreichen wir schließlich Ghom, der neben Mashhad religiösesten Stadt des Iran. Während Teheran jung und vergleichsweise liberal ist, erleben wir hier das volle Kontrastprogramm: Der Großteil der Menschen, die wir auf der Straße sehen, trägt religiöse Gewänder und pilgert zum Schrein der Fatima Masuma – dem zweitwichtigsten Wallfahrtsort des Iran. Wie patriarchalisch diese Stadt geprägt ist, bekomme insbesondere ich als Frau zu spüren. Deutlich offenbart sich mir hier die Haltung gegenüber der Frau als Mensch zweiter Klasse. Während Cornelis und Tarek als „Brüder“ willkommen geheißen werden, kann ich mich glücklich schätzen, einen Blick abzubekommen. Dennoch lassen wir uns davon nicht beirren und sind in der Folge auf unserem Rundgang schwer beeindruckt von der Architektur und der Pracht des Schreins.
Da der für Ausländer verpflichtende Guide unsere Fragen zu den religiösen Hintergründen der Pilgerstätte nur unzureichend beantworten kann, führt er uns zum Schluss zum „Office for International Affairs“ – ein Büro, das eigens dafür geschaffen worden ist, ausländische Touristen über den Islam zu informieren. Ein junger thailändischer Doktorand der Islamwissenschaften empfängt uns dort mit den Worten „Ask me anything you want“. Während unseres zweistündigen Gespräches kommt eine Bandbreite an Themen zur Sprache: Angefangen bei der modernen Interpretation des Islams über islamischen Extremismus landen wir schließlich bei den Frauenrechten. Allein die Infragestellung des politischen Systems und insbesondere des Obersten Führers Ali Chamenei, bildet die rote Linie unseres Diskurses. Wir alle drei empfinden das Gespräch als bereichernd, zugleich manifestiert sich aber der Eindruck, dass der angehende Geistliche viele Fragen anders beantwortet hätte, wenn nicht drei iranische Mitarbeiter des Büros bei unserem Gespräch mitgehört hätten.
Dass die Iraner mindestens genauso wissbegierig über unsere Kultur sind wie wir über ihre, erfahren wir bei einer zufälligen Begegnung mit Sanaz, einer Schmuckverkäuferin auf dem Basar von Esfahan. In einem Mix aus Deutsch, Englisch und Farsi fragt sie uns, ob es in Deutschland normal sei, mehrere „Boyfriends“ zu haben. Sie habe ja schließlich „einen zum Wandern, einen, um ins Kino zu gehen und einen dritten zum Deutsch lernen“. Wir vier reden ausgelassen und genießen dieses spontane und ungezwungene Gespräch, doch klingt bei ihr im Verlauf immer wieder eine bittere Note an: „Hier ist alles kaputt“, sagt sie immer wieder auf Deutsch. Ein Satz, den sie von ihrem Deutschlehrer-Freund gelernt hat.
Wieder und wieder sind wir auf unserer Reise von der Offenheit und der Gastfreundschaft der Iraner beeindruckt. Für kurzzeitige Verwirrung sorgt nur regelmäßig die Situation, wenn Tarek irrtümlich für einen Landsmann gehalten und auf Persisch angesprochen wird, dann jedoch ich als blonde Deutsche mit meinen Farsi-Grundkenntnissen antworte.
Die nächste Überraschung erwartet uns, als wir bei einem Basar-Händler Geld wechseln wollen. Anstatt dass er versucht, uns mit einem unfairen Wechselkurs übers Ohr zu hauen – was angesichts der geschlossenen Wechselstuben aufgrund eines Feiertags für ihn ein leichtes Spiel gewesen wäre – verlangt er keinerlei Gebühr für seinen Dienst und teilt zusätzlich zu diesem Gefallen noch sein Mittagessen mit uns.
Vollgetankt mit Eindrücken machen wir uns auf den Weg nach Kermanshah, unserem letzten Reiseziel. Hier wollen wir endlich mal couchsurfen – von anderen Reisenden hatten wir darüber bis dato nur Positives gehört. Im Bus beginne ich, die Anfragen zu versenden und erhalte nach zwanzig Minuten eine Zusage. Da die Iraner im Schnitt selbst ein sehr spontanes Volk sind, überrascht es unseren Host Mohammad wenig, dass ich auf die Frage hin, wann wir ankommen, mit „We are already on our way“ antworte. Dem 28-jährigen gehört ein Board-Game-Café und er bittet uns Gesellschaftsspiele auszuwählen, die wir am selben Abend noch bis halb drei am Morgen spielen. In seinem Wohnzimmer bereitet er für uns ein Matratzenlager auf, da Perserteppiche zwar wunderschön, aber dennoch zu hart sind, um darauf zu schlafen.
Auch Mohammad und seine Frau interessieren sich sehr für unser Leben in Deutschland und drängen darauf am nächsten Tag bei unserer Autofahrt in die Stadt Cornelis´ Playlist hören. Pünktlich zum Sonnenuntergang fahren sie uns zu einem Aussichtspunkt, den wahrscheinlich nur die Einheimischen kennen. Bestens ausgestattet mit Schwarztee und Picknickdecke schweift unser Blick über die langsam angehenden Lichter Kermanschahs während Mohammad uns das persische Sprichwort „Eine Nacht sind keine tausend Nächte“ erklärt. Um uns die Bedeutung verständlich zu machen, vergleicht er es mit dem englischen „You only live once“, bloß ergibt es für uns im iranischen Kontext mehr Sinn, da man hier permanent spürt, dass man nie weiß ob man das, was man heute Nacht tut, morgen auch noch tun darf. Und auch auf die Frage, warum die Menschen hier trotz allen schwierigen Umständen so glücklich sind, hat Mohammad eine passende Antwort: „Es ist eine Art Überlebensstrategie. Wir wollen kein zweites Syrien sein, keinen gewaltsamen Umbruch haben. Manchmal müssen sich Veränderungen in kleinen Schritten vollziehen und die Hoffnung darauf haben wir nicht aufgegeben.“
Schweren Herzens verabschieden wir uns am Folgetag von unseren Gastgebern und begeben uns wieder in Richtung des Teheraner Flughafens.
Mit Blick auf unser Rückflugticket denken wir drei über das Gesehene, Gesagte und Erlebte nach – und über Privilegien, Macht, Freude und Gerechtigkeit. Über Frieden, Armut und Glück. Wir alle drei ziehen eigene Resümees und haben individuelle Highlights. Doch wenn es um den Iran geht, sind wir uns in einem Punkt einig: Als Tourist reist man mit einem viel zu schlechten Bild in das Land am Persischen Golf ein. Und nach den Erfahrungen und Begegnungen mit den Menschen vor Ort mit einem wahrscheinlich viel zu guten wieder aus.