Bis diesen Sonntag, den 29.11.2015, läuft eines der wichtigsten Referenden der Hamburgischen Geschichte: Wahlberechtigte Hamburger*innen können entscheiden, ob sie die Olympia-Bewerbung der Hansestadt für 2024 unterstützen. Der Gedanke an eine aussichtsreiche deutsche Bewerbung reizt nach dem Leipziger Debakel 2003 viele Bürger in ganz Deutschland. Andere sehen über den Tellerrand der Euphorie. Wenn sich beim Wort Elbphilharmonie dem Hanseaten immer noch die Nackenhaare aufstellen und Planer mit Worten wie Nachhaltigkeit und Chancen begeistern, ist es Zeit für eine Grundsatzdebatte.
Wir lassen ab jetzt Aspekte außen vor, sind blauäugig oder überkritisch und vertreten nicht unsere eigene Meinung, um uns der Frage zu widmen: Sollte sich Hamburg als deutsche Stadt um die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2024 bewerben?
Für Olympia in Hamburg
Hamburg und Olympia? Eine Chance für beide!
Bis vor wenigen Wochen noch sah es so aus, als ob das Referendum zum Heimspiel für die Olympia-Befürworter werden sollte. Immerhin sprachen sich im September in einer Umfrage 63 Prozent der Hamburger für eine Bewerbung ihrer Stadt aus. Doch durch die seit den Anschlägen von Paris omnipräsente Terrorgefahr sowie die anhaltende Flüchtlingskrise scheint die Zustimmung zu bröckeln. Höchste Zeit, um an dieser Stelle zu verdeutlichen: Olympische Spiele in Hamburg wären nicht nur für die Hansestadt und Deutschland, sondern auch für die olympische Bewegung eine große Chance.
Auch wenn profitgetriebene Sportfunktionäre oft das Gegenteil vermitteln: Die Ausrichtung sportlicher Großereignisse und die Einhaltung von Menschenrechten können nicht voneinander getrennt werden, sie gehören zusammen. Verständlich also, dass vor zwei Jahren auch in Deutschland die Kritik groß war, als mit Russland ein Land die Olympischen Winterspiele ausrichten durfte, das regierungskritische Bürger hinter Gitter bringt und es mit dem Schutz von Minderheiten, beispielsweise dem von Homosexuellen, weniger ernst nimmt. Mit Olympischen Spielen in Hamburg könnte Deutschland gleich zweierlei untermauern: Zum einen, dass es seine Stärke nicht nur daraus zieht, die moralische Keule über anderen Ländern zu schwingen. Zum anderen, dass die Austragung Olympischer Spiele in einem weltoffenen, sportbegeisterten und toleranten Land keine Ausnahmeerscheinung bleiben muss.
Immer höher, schneller, weiter: Das eigentlich auf den sportlichen Wettkampf gemünzte Motto scheint in den vergangenen Jahren auch in den Köpfen so mancher Sportfunktionäre und Entscheidungsträger Einzug gehalten zu haben. Nicht selten konnte man den Eindruck gewinnen, es gehe nicht mehr um den Sport und seine Athleten, sondern in erster Linie darum, sportliche Großereignisse an möglichst exotischen Orten in kostspieliger und pompöser Art und Weise auszurichten. So wurden für die Olympischen Winterspiele von Sotchi sämtliche Sportstätten, Hotels und Infrastrukturprojekte binnen weniger Jahre aus dem kaukasischen Boden gestampft, dementsprechend teuer war das zweiwöchige Großereignis. Mit gut 50 Milliarden Dollar soll es mehr gekostet haben als alle vorher ausgetragenen Winterspiele zusammen – in Anbetracht der sich weltweit auftürmenden Probleme blanker Wahnsinn.
Die Liste von finanziell und gesellschaftlich fragwürdigen Vergaben sportlicher Großevents ließe sich problemlos fortführen, Katar 2022 sei hier nur eins von vielen Stichworten. Und trotzdem, oder gerade deswegen, wären Olympische Spiele in Hamburg eine gute Wahl. Hamburg bietet hervorragende infrastrukturelle Bedingungen, die mit Blick auf die bei Olympia zu erwartenden Zuschauerscharen aus der ganzen Welt sicherlich verbessert werden müssen. Doch diverse Optimierungsmaßnahmen würden auch ohne Olympische Spiele anstehen, das sportliche Großereignis könnte im besten Fall als „Beschleuniger“ fungieren. Zudem verfügt Hamburg schon jetzt über eine Vielzahl an Sportstätten, nur ein Bruchteil der Austragungsorte müsste neu gebaut werden. Olympia in Hamburg, das wäre unter Nachhaltigkeitsaspekten der Beweis, dass weniger manchmal mehr ist, und würde damit einen längst überfälligen Schritt hin zu mehr Demut und Bescheidenheit im Sport markieren. Darüber hinaus sind trotz leicht sinkender Zustimmung beim Thema „Olympia“ noch immer viele Hamburger weit entfernt von ihrer typisch norddeutschen Zurückhaltung. Die Stadt brennt für Olympia, das verdeutlichen zahlreiche Aktionen der vergangenen Monate. Vor wenigen Wochen bildeten mehr als 6.000 Menschen im Hamburger Stadtpark die olympischen Ringe, was eine Einstellung des bisherigen Rekords im Vorfeld der Olympischen Spiele von London zur Folge hatte. Und seien wir einmal ehrlich: Wer hätte nicht Lust auf eine Wiederholung des deutschen Sommermärchens von 2006?
Hamburg und Olympia, das ergibt Sinn – für beide Seiten.
Von Jakob Rhein
Gegen Olympia in Hamburg
Die 5-ringige Brille abnehmen
Als Hamburger war auch ich erst Feuer und Flamme, als es wieder einmal um eine Bewerbung meiner Stadt für die Olympischen Spiele ging. Mittlerweile, aller Werbekampagnen zum Trotz, sind klar die Probleme mit der Bewerbung in den Vordergrund gerückt. Und das rechtzeitig zum Referendum, das aktuell läuft. Vorweg: Ich gehe davon aus, dass die Bevölkerung für die Bewerbung stimmt. Doch das heißt nicht, dass wir in Euphorie zu verfallen haben.
Mehrere Themenfelder nehmen mir die Freude, während die Stadtregierung sich verhält, als würde sie bald gratis Glück zum Mitnehmen an Bürgerinnen und Bürger verteilen. Olympia ist nicht nur Tourismus, beschleunigte Stadtentwicklung und Prestige, sondern auch wenig nachhaltiger Kostenträger, in Verruf geraten und – wie ich zuletzt erklären werde – wahrscheinlich gar nicht 2024 in Hamburg.
Das stärkste Argument der Olympia-Verteidiger ist stets die Nachhaltigkeit. Dabei wird dieser Begriff verdreht. Nachhaltig wäre es, die Differenzierung der Hamburger Wirtschaft voranzutreiben, sozialen Wohnungsbau zu intensivieren und Überlastung zu vermeiden. Teure Anlagen nach Olympia weiter zu nutzen, ist wünschenswert, macht aber das Mammut-Projekt nicht nachhaltig.
Für alle südlich der Elbe: Hamburg ist bereits mit drei gigantischen Bauprojekten beschäftigt. Das größte europäische Städtebauprojekt HafenCity wird in ehemaligen Hafenanlagen weiter ausgebaut; eine der meistbefahrensten Autobahnen Deutschlands, die A7, bekommt in einem 10-jährigen Bauprozess mitten in Hamburg einen Deckel; und einer der „Top-15-Bahnhöfe“ Deutschlands, der Bahnhof Altona, wird um 1,5 Kilometer verlegt. Am alten Platz entsteht ein Quartier mit zweitausend Wohnungen, Parks und Schulen.
Hamburg baut ohne Ende. Auch Olympia wäre in erster Linie ein Bauprojekt, natürlich von höchster Priorität. Allerdings soll keines der anderen hoch priorisierten Projekte vor 2024 abgeschlossen sein. Folge: Überlastung. Mit einem „schlanken“ Stadtbudget ist Olympia ohnehin nicht vereinbar. Der Hamburger Entwurf ist zwar sparsam und wohlüberlegt, oft wird er mit London verglichen. Doch letztlich kosteten die Spiele London neun Milliarden Euro – nach Abzug der Einnahmen. In Hamburg wird geplant, Kosten von fast acht Milliarden Euro auf den deutschen Steuerzahler umzuwälzen. Wie kann das gerechtfertigt werden? Das fragt auch der Bund und somit wird die Kostenfrage aktuell zur Streitfrage.
Zu glauben, das Prestige, das Olympia nach Hamburg bringen könnte, würde ewig anhalten, ist vermessen. Überhaupt sind Sportgroßereignisse zu einer Spielwiese für Despoten und Superreiche geworden: WM 2018 – Russland, Winterspiele 2022 – China, WM 2022 – Katar. Dazu kommen die mondänen Austragungsorte Pyeongchang und Tokio. Will Hamburg sich da einreihen? Will man ein Sportereignis, das heutzutage mit Prunk und Korruption in Verbindung gebracht wird in der ehrlichen Handelsstadt Hamburg?
Der Gedanke daran, ein positives Bild von Olympia und der Stadt zu vermitteln, ist naiv. Hamburg würde unter der Last der Projekte zusammenbrechen, käme Olympia dazu. Die Folgen nach 2024 sind nicht abzusehen, aber sicherlich sind eine sozialere Stadtentwicklung und Förderung des Breitensports nicht darunter.
Europa soll wieder Spiele ausrichten, Deutschland soll wieder Spiele ausrichten, heißt es andauernd von oben. Nur die Europäer und die Deutschen selber, die haben sich von paradiesischen Fieberträumen verabschiedet. Eine repräsentative Studie der WHU hat ergeben, dass nur 43% der Deutschen Olympia im eigenen Land ausdrücklich befürworten.
Das Schmankerl zum Schluss: Allein die Bewerbung selber kostet den Deutschen Olympischen Sportbund 50 Millionen Euro. 50 Millionen für ein Symbol: Denn kaum einer erwähnt, dass Deutschland dank „Überzeugungskraft“ höchstwahrscheinlich die Fußball-EM 2024 ausrichten wird. Zwei Großereignisse im selben Jahr – das ist unmöglich laut ungeschriebenem Sportgesetz. Und mit Paris, Rom und Los Angeles steht Ersatz einer ganz anderen Größenordnung bereit, vor dem ich selbst als stolzer Hanseat meinen Hut ziehe.
Von Phillip Käding
Shit,
schon wieder überzeugt…
Verdammt gut geschrieben hat er, dieser Käding! Ich habe leider dafür gestimmt und ärgere mich jetzt darüber. Naja…
Schöne Grüße aus dem Norden
Madmaxican