Dieser Beitrag zur Frage, wie die vielfach gepriesene, gängige Lehrform an der ZU, das Seminar in Kleingruppen, zum Zwecke des möglichst gewinnbringenden Studierens gestaltet sein sollte, ist zweifelsohne ein persönlicher Meinungsbeitrag, der unumgänglich auch durch meine eigenen Seminarerfahrungen an der ZU geprägt ist. Dennoch stehe ich für eine gewisse Verallgemeinerbarkeit (sicher nicht Allgemeingültigkeit) der folgenden Überlegungen ein und möchte daher bereits zu Anfang dazu einladen und auffordern, Gegenpositionen zu formulieren!
Im Folgenden geht es im weitesten Sinne um Seminare aller sozialwissenschaftlicher Disziplinen. Ich wehre mich gegen die Auffassung, dass unterschiedliche Fächer unterschiedliches Potenzial bieten, darin ein richtig spannendes, hochwertiges Seminar zu veranstalten, wie es manchmal etwa der Ökonomie nachgesagt wird. Ich halte Fachgrenzen in dieser Frage für unbedeutend. Ich möchte meine Überlegungen eher an der Unterscheidung zwischen verschiedenen Lehrformaten orientieren, insbesondere an der Frage, was ein Seminar von einer Vorlesung unterscheidet – wohl eine der wesentlichsten Unterscheidungen für das ZU-Marketing!
Ich meine, an der ZU drei Hauptformen des „Seminares“ beobachten zu können. Im ersten Fall hat die Dozentin, möglicherweise von einer ‚Massenuni‘ mit großen Vorlesungen kommend, gar kein Konzept von einem „Seminar“ und hält schlicht eine Vorlesung vor einer Kleingruppe. Dies mag gerade bei Einführungsveranstaltungen in Ordnung sein, braucht man schließlich erst einmal inhaltliche Grundlagen, bevor die Diskussionen fruchtbar werden. Zudem ermöglicht die Kleingruppe den Studierenden immerhin eine hohe Dichte an Rückfragen. Dennoch ist eine solche Veranstaltung kein richtiges Seminar, da jenes nicht in erster Linie über die Größe der ‚belehrten‘ Gruppe zu definieren ist.
Im zweiten von mir beobachteten Fall hat die Dozentin ein Konzept von „Seminar“, das sich vor allem über studentische Partizipation definiert. Die einfachste Art und Weise, Studierende partizipieren zu lassen, ist leidlich bekannt: wir begeben uns in einen nie endenden Reigen von Referaten und PowerPoint-Folien. Zwei Punkte kritisiere ich hieran besonders: erstens sind insbesondere endlos ausartende Referate am Ende nichts anderes als eine schlechtere Vorlesung. Ich halte sehr viel von meinen Kommilitoninnen, aber ich bin nicht an eine Universität gegangen, um nur von Studierenden etwas beigebracht zu bekommen. Zweitens halte ich studentische Partizipation zwar für ein wesentliches Merkmal eines Seminars, finde sie allerdings in der Form, die Studierenden Referate halten zu lassen, die schlimmstenfalls auch noch primär damit befasst sind, vorzubereitende Texte nachzuerzählen, eher verfehlt angewendet.
Dies bringt mich zur dritten Form, deren gängige Praxis es ist, einen Text vorzubereiten, der dann im Seminar in irgendeiner Weise Grundlage für die Diskussion des Themas oder Diskussionsgegenstand selbst ist. Dies mag flankiert sein durch studentische „Impulsreferate“ (im Unterschied zu den zuvor beschriebenen Referaten: kurz und nicht nacherzählend), einer Einführung durch die Lehrenden etc., entwickelt sich aber schnell primär zu einer Diskussion bestenfalls aller Seminarteilnehmerinnen zu Text und Thema. Diese Form kommt meiner Idealvorstellung sicher am nächsten, wie gleich zu lesen ist.
Kommen wir konkret zu den Kennzeichen, die ein ausgezeichnetes sozialwissenschaftliches Seminar (lat. übrigens seminare = säen) in meinen Augen haben sollte. Davon ausgehend, dass ein Seminar gerade den Unterschied zur Frontalität und Hierarchie zwischen Studierenden und Lehrenden in einer Vorlesung machen soll, und studentische Partizipation ein wesentlicher Punkt ist, möchte ich näher auf die Rolle der Beteiligten eingehen.
Ich komme nicht umhin, zu fordern, dass die Studierenden in erster Linie in der Verantwortung sind, sich angemessen auf ein Seminar vorzubereiten, wenn sie an dessen Erfolg interessiert sind. Diese Vorbereitung sollte mindestens in der Lektüre des entsprechenden Textes, Lehrbuchauszugs oder einem Blick vorab auf den Foliensatz bestehen – noch wichtiger als Vollständigkeit ist aber, dass diese Vorbereitung diskursorientiert geschieht. Damit meine ich: meine Vorbereitung sollte Fragen aufwerfen, ich sollte mich mit bestimmten Argumenten identifizieren, andere ablehnen, mir eine Meinung zu Problemstellung, Text und Thema bilden. Für diese Art der Vorbereitung muss natürlich das Seminarkonzept der Lehrenden bekannt sein – arbeiten wir im Seminar eng am Text? Orientiert sich die Diskussion entlang der Fragen von Studierenden? Wird der Text eingangs wiedergegeben? Erst unter diesen Bedingungen kann studentische Partizipation in ihrer gewinnbringendsten Form verwirklicht werden, nämlich als fundierte, qualifizierte Diskursbeteiligung. Die folglich aktiv kommunizierende Rolle im Seminar ergibt sich hieraus, denke ich – die Vorbereitung ist die Grundlage dafür, sie ist das Substrat der Diskussion.
Die Lehrende ist gewissermaßen die Protagonistin des Seminars. Sie hat die Aufgabe, die Vorbereitung der Studierenden zu ‚verwerten‘ und fruchtbar zu machen. Hierfür gibt sie Impulse zur Problemstellung, doziert zwischendurch, animiert, provoziert und moderiert. Sie sollte das Wissen und die Ideen der Studierenden erst freilegen, die Diskussion entfachen, die sich dann im besten Fall selbst trägt, gegebenenfalls etwas lenken, die Diskussionsbeiträge dann wieder bündeln und auf die Problemstellung, den Text, kurz: den Ausgangspunkt des Seminars zurückbinden. Die Lehrende ist dafür verantwortlich, ein wie auch immer geartetes Lernziel am Ende erreicht zu haben, etwa die Beantwortung einer Leitfrage, oder auch nur die diskursive Auseinandersetzung mit der Theorie eines großen Soziologen, einem ökonomischen Modell, einer politologischen Methode.
Zum Ende noch eine Bemerkung zur Didaktik: auch wenn es sich nicht um eine Vorlesung handelt, halte ich Dozieren als Methode, um dem Seminar einen Leitfaden zu geben, für sehr gewinnbringend. Der Diskurs hat aber immer Vorrang – dies ist in meinen Augen der wesentliche Unterschied des Seminars zur Vorlesung. Studentische Beiträge in Form von Impulsreferaten, die etwa einen Textausschnitt interpretieren, vergleichen, kontextualisieren etc., können ebenso dienlich sein. Dazu sollten sie sich im zeitlichen Rahmen halten, das Vorzubereitende nicht ohne jegliche Deutung, Kritik oder Anwendung nacherzählen – dies nimmt im Übrigen auch jeglichen Anreiz zur Vorbereitung – und eben grundsätzlich diskursorientiert konzipiert sein.
Sicher hat die hier präsentierte Konzeption Schwächen und baut auf wesentlichen Voraussetzungen auf: in erster Linie außerordentlich engagierte Studierende, die sich gründlich vorbereiten und partizipationsfreudig sind, sowie didaktisch kompetente Lehrende, die die beschriebene Moderations- und Bündelungsfähigkeit besitzen. Doch wird die Frage nach einem guten Seminar gestellt, darf dieses Konzept auch auf fähigen Beteiligten aufbauen, finde ich.
Wofür dies alles? Ich möchte unseren Blick und unsere Diskussionsfreude gerne auf die Keimzelle unserer Universität und unseres Studienalltags lenken, auf das Seminar. Was machen wir hier eigentlich tagtäglich, wie machen wir es, und noch wichtiger: wie wollen wir es machen und wann finden wir es gut? Und nun echauffiert euch über meine generalisierende Ausführung, nehmt meine Positionen auseinander und überzeugt mich von euren! Möge der zwanglose Zwang des besseren Argumentes entscheiden.
Guter Beitrag finde ich und ich teile dein Idealbild eines Seminars. Praktisch ist es aber einfach so, dass sich sowohl unterschiedlichen Dozenten wie auch unterschiedliche Thematiken zu verschiedenen Kurskonzepten anbieten. Im Optimalfall ist der Dozent ein fruchtvoller Moderator, aber bei einigen liegen die Stärken einfach woanders. Wenn ein Dozent einfach besonders gut im Vortragen ist, sollte er dies auch einsetzen, natürlich auch nicht zu viel. Diskutieren bietet sich ebenfalls bei manchen Thematiken besser an als bei anderen, Beispiel Philosophie vs. Statistik. Besonders in den ersten Sitzungen des Seminars kann man ruhig mehr auf dozieren setzen, finde ich außerdem.
Was mir wichtig ist, ist immer wieder interessante neue Lehrmethoden auszuprobieren. Ein Statistikseminar muss vielleicht nicht so viel Diskussion bieten wie ein Philosophieseminar, aber man kann trotzdem zwischen Dozieren, Gruppenaufgaben, Impulsvorträgen, Anwendungsbeispielen und Grundsatzdebatte variieren.
Methodenvielfalt in der Seminargestaltung fördert die Aufmerksamkeit, das Interesse und den Perspektivenreichtum.