Richard Schneider, ARD-Auslandskorrespondent und Nahost-Experte, war am Dienstag der erste Gast des Club of International Politics (CIP) in diesem Semester. Schneider leitete zehn Jahre lang das Studio in Tel Aviv, bis er 2016 nach Rom wechselte. Bei einem Workshop, in einem exklusiven Interview und während des öffentlichen GlobalTalks am Abend konnten wir Herrn Schneider kennenlernen. Wo sieht er die Herausforderungen des modernen Journalismus? Wie hat er Konflikt und Alltag in Israel erlebt? Und wie fühlt es sich an, nach langen Jahren wieder in Europa zu sein?
Eine Reportage in 2 Teilen von Phillip Käding und Ruben Drückler.
Als am Morgen des 23. Dezember die erste Twitter-Push-Nachricht auf dem Display seines Handys erscheint, steht Richard Schneider in seiner Küche und kocht Kaffee. Anis Amri soll in Mailand erschossen worden sein. Noch ist nicht klar, ob es sich bei dem Getöteten tatsächlich um den Attentäter von Berlin handelt, trotzdem bekommt Schneider schon den ersten Anruf aus der ARD-Redaktion: In 20 Minuten soll er vor der Kamera stehen. „Erst einmal gehe ich duschen, in einer Stunde bin ich im Büro“, entgegnet Schneider. Er ist sich der Bedeutung der Meldung zwar bewusst, weiß aber auch: Die Lage ist noch zu unklar; es gibt keine gesicherten Fakten.
Eine Stunde später steht Schneider vor der Kamera, seine Einschätzung ist aber, wie er selbst sagt, „Konjunktivjournalismus“ – es „soll“ sich um Amri handeln, die Lage „könnte“ hierzu und dazu führen. Zu diesem Zeitpunkt stützt er sich noch auf Informationen vertrauenswürdiger Nachrichtendienste – erst als ein befreundeter italienischer Kollege ihm Details bestätigen kann, atmet er durch.
Wie sich im Laufe des CIP-Workshops herausstellt, ist so ein Morgen symptomatisch für die veränderte Breaking-News-Berichterstattung großer Nachrichtenredaktionen. Schneider ist seit 1989 bei der ARD und war somit Teil des großen Umbruchs.
Der CIP konnte den Auslandskorrespondenten für einen mehrstündigen Workshop mit Studenten und einen offenen GlobalTalk am Abend des 21. Februar gewinnen. Die Veranstaltungen stellen das Auftaktprogramm des CIP für das Spring Semester 2017 dar – es folgen in den nächsten Monaten weitere Gäste, wie zum Beispiel der Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, Roland Hipp.
Das persönliche Kleingruppenformat bot eine hervorragende Diskussionsplattform mit einem aufgeschlossenen Gast, der trotz ernster Thematik selbst sichtlich Spaß am Format hatte. Das Mediengeschäft hat sich massiv verändert, das betont Schneider im Gespräch mit Futur drei:
„Es gab noch die Zeiten, wo die Korrespondenten gesagt haben: ‘Lass uns mal für 3 Wochen nach Teheran fliegen, vielleicht finden wir da was und können einen Weltspiegel machen.‘ Heute fragen mich die Leute, wenn ich sowas vorschlage: ‘Hast du nen Vollschuss?‘ Das ist vorbei.“
Die Geschwindigkeit der Berichterstattung ist enorm gestiegen; auch die Öffentlich-Rechtlichen können sich der Hype-Spirale nicht entziehen. Seit Twitter, so Schneider, haben die Journalisten das Monopol der Information verloren. Überall fänden sich die „selbsternannten Zeitzeugen“, die das Internet mit Informationen fluteten. Diese sind nur mit großem Aufwand zu verifizieren und zu widerlegen, weshalb nun beispielsweise der Bayerische Rundfunk eine eigene Fake-News-Einheit einrichtet.
Richard Schneider sieht den öffentlichen Rundfunk in Deutschland in einer besonderen Situation: In Zeiten der Unüberprüfbarkeit vieler Quellen seien öffentliche und gleichzeitig nicht politische Medien ein Garant für den Pluralismus. Allerdings ist das Misstrauen gegenüber den etablierten Medien massiv gewachsen, immer wieder steht der Vorwurf der Parteilichkeit im Raum.
„Der BR gilt ja als CSU-nah, der WDR gilt als SPD-nah. Das wird so dahingesagt – und je weiter weg man von Bayern ist, desto mehr wird das so gesehen“, sagt Schneider dazu. „Das erinnert mich dann ein bisschen an den Herrn Tur Tur aus Jim Knopf – je näher man dem Riesen kam, desto kleiner war er. So ist es auch mit Ideologien. Gibt es sie? Ja. Aber je näher ich komme, desto mehr muss ich meine Einschätzung hinterfragen.“
Einschätzungen zu hinterfragen ist eine der zentralen Qualitäten, die Schneider in seinen zehn Jahren in Tel Aviv einen Namen als führender Nahost-Experte im deutschen Fernsehen gemacht haben. Besonderen Wert legte er stets auf die ganzheitliche Sicht. In der Konfliktberichterstattung bedeutete dies vor allem, die Perspektiven aller Parteien nachzuvollziehen. Ganzheitlich heißt aber auch, das Leben neben dem Krieg zu beleuchten: Schneider tat dies mit 60 Filmen, die er während seiner Zeit in Israel produzierte.
„Ich wollte auch zeigen, wie schön dieses Land und diese Kultur ist. Es gibt ein Leben jenseits des Krieges“, sagt er Futur drei. Ganz nebenbei: „Die Filme verkauften sich auch sehr viel besser.“
Bei dem mit knapp einhundert Gästen gut besuchten GlobalTalk steht am Abend das Thema Israel im Fokus. In seiner Ansprache gibt Schneider einen kompakten Überblick über die Geschichte der Deutsch-Israelischen Beziehungen. Heute, so Schneider, sei Deutschland Israels wichtigster Verbündeter in der EU. Nichtsdestotrotz verändere sich die Beziehung der Staaten in den letzten Jahren merklich. Die jüngste Riege von Politikern aus beiden Ländern sei nun mehrere Generationen vom Holocaust entfernt, entsprechend verändere sich die Perspektive. In Israel würde Auschwitz nicht mehr als politisches Argument verwendet, in Deutschland nehme der Gewissenseffekt ab.
Besonders eindrucksvoll sind jedoch Schneiders persönliche Schilderungen aus der zweiten Intifada, die begreifbar machen wie Radikalismus und politischer Rechtsruck durch Angst auf beiden Seiten gespeist werden. Dieser Rechtsruck zeigt seine Auswirkungen bis heute – in einer Politik getrieben von Militärs, Gerichten und außenpolitischem Druck.
Schneider erzählt, in Tel Aviv habe sich damals aus Angst vor Anschlägen niemand mehr in einen Bus getraut, die Restaurants seien größtenteils leer gewesen. Grundsätzlich achtete die Bevölkerung darauf, nicht im Eingangsbereich zu sitzen, da sich Selbstmordattentäter meist bei der Sicherheitskontrolle am Eingang in die Luft sprengten. Eines Abends traf ein solcher Anschlag Richard Schneiders Stamm-Café, vierzig Menschen starben. Schneider kannte sie alle.
Trotz persönlicher Verbundenheit mit dem Einsatzgebiet muss immer die Professionalität im Vordergrund stehen. Und ob Kriegsgebiet oder Mailänder Vorstadt, eine Problematik ist omnipräsent: Wie nah man als Reporter dem Geschehen auch ist, mittendrin ist man fast nie, die ersten Informationen kommen selten aus erster Hand. Es stellt sich dann die Frage, wer diese erste Hand ist: Nachrichtenagenturen verlieren mehr und mehr an Bedeutung und die Verlässlichkeit von Twitter-Reportern ist schwer festzustellen.
Die Rolle des Korrespondenten wird zunehmend die einer einordnenden Instanz, welche nicht nur Fakten liefert sondern diese für den Zuschauer verständlich in den Kontext einbettet. Für Richard Schneider ist diese Rolle auch der Grund, weshalb die Öffentlich-Rechtlichen das Spiel der schnellsten Information mitspielen. Denn ansonsten, sagt er, wird die Deutungshoheit RTL überlassen.
Nach mehr als einem Jahrzehnt in Israel leitet Schneider seit letztem Jahr das ARD-Studio in Rom. Seine Erfahrungen und eine außereuropäische Perspektive hat er mit an den neuen Standort gebracht. Wir haben Richard Schneider also gefragt: Wie hat sich die Rückkehr angefühlt?
„Erstens war das für mich ein echter Kulturschock, obwohl ich Europäer bin. Wenn man 11 Jahre die Welt vom Nahen Osten aus betrachtet, entwickelt man auch eine sehr andere Sicht auf Europa. Und das zweite war die Feststellung, es ist nicht mehr das Europa, das man verlassen hat.“
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